Sprachlupe: So reformierte Luther das Übersetzen

Daniel Goldstein /  Moderne Übersetzer suchen den treffenden Ausdruck in der Zielsprache und orientieren sich am Kontext der Quellsprache – wie Luther.

Dass Martin Luther den Anstoss – und einiges mehr – zur Reformation gegeben hat, ist wohlbekannt, dass er die Bibel übersetzt hat, ebenfalls. Er reformierte aber auch das Übersetzen. Frühere Übersetzer hatten sich eng an die (meist biblischen und meist lateinischen) Vorlagen gehalten, zuweilen die Wortstellung ans Deutsche angepasst, aber kaum den Wortlaut – nur schon, um nicht den Zorn der Kirche auf sich zu ziehen. Darum kümmerte sich Luther nicht, im Gegenteil: Auch das lateinnahe Übersetzen warf er den Papsttreuen vor, die er gern als Esel bezeichnete, wie im «Sendbrief vom Dolmetschen» (1530).

Man müsse, hält er ihnen entgegen, Müttern, Kindern und dem «gemeinen man auff dem marckt […] auff das maul sehen/ wie sie reden/ vnd darnach dolmetzschen/ so verstehen sie es den und mercken/ das man Deutsch mit jn redet. Als wenn Christus spricht/ Ex abundantia cordis os loquitur (Matth. 12, 34 / Luk. 6, 45). Wenn ich den Eseln sol folgen/ die werden mir die buchstaben furlegen/ vnd also dolmetzschen/ Auß dem vberflus des hertzen redet der mund. Sage mir/ Ist das deutsch geredt? […] vberflus des hertzen ist kein deutsch/ […] sondern also redet die můtter ym haus vnd der gemeine man/ Wes das hertz vol ist/ des gehet der mund vber/ das heist gut deutsch geredt/»

«Gewaltiglich verteutschen»

Ebenfalls sprachlich begründet Luther den Kernsatz, der Mensch werde «allein durch den Glauben» Gott gerecht (und nicht durch Werke, Röm. 3, 28). Zwar stehe das Wort «allein» nicht im Urtext, aber «wo mans wil klar und gewaltiglich verteutschen, so gehoret es hinein», wie etwa im Satz «Der Baür bringt allein korn und kein geldt». Neben dem Grundsatz, sich nach Art der Zielsprache auszudrücken, bringt der Reformator hier ein weiteres Prinzip des Übersetzens ins Spiel: im übrigen Text Hinweise darauf zu suchen, wie eine Stelle gemeint ist. Und da kommt ihm der Apostel Paulus mehrmals zu Hilfe, denn der «schuttets wol grὁber eraus», dass es nicht um die Werke gehe.

Luther beteuert, er habe «nicht allzu frey die buchstaben lassen faren/ Sondern […] habe ehe wὁllen der deutschen sprache abbrechen/ denn von dem wort weichen». Daher liess er Jesus nicht sagen, Gott habe den Menschensohn gemeint oder gezeichnet, sondern wörtlich, er habe ihn «versiegelt» (Joh. 6, 27). «Auf ihm ist das Siegel Gottes», macht die kürzlich erschienene Jubiläumsausgabe der Lutherbibel klar. Diese modernisiert indessen zurückhaltend: «Wes das Herz voll ist» lautet immer noch so. In der Zürcher Bibel steht, wie in vielen anderen, «wovon». Gelegentlich findet man auch «wem». Das ist aber falsch, denn es geht nicht um den Besitzer des Herzens, sondern um dessen Inhalt.

Vom Tempel ins Herz

Gemeint ist in den Evangelien ein übler Inhalt, wie der deutsche Bibelkenner Menno Aden im «Sprachspiegel» darlegt. Sowohl aus dem Zusammenhang als auch aus dem griechischen Wortlaut schliesst er, die richtige Übersetzung wäre wohl: «Aus eurem Mund spricht euer schmutziges Herz.» Hätten die Pharisäer da geschwiegen, so hätten sie aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht – aber diese Redensart kommt nicht aus der Bibel. Man meint damit heute auch nicht unbedingt ein Herz voller Bosheit, sondern nur eines, aus dem der Mund gerade nicht überfliesst.

Das Wort «Mördergrube» allein kommt sehr wohl aus der Lutherbibel: Was die Händler aus dem Bethaus gemacht haben, nennt Jesus so. Das Wort war vermutlich schon zu Luthers Zeiten ungewohnt. «Räuberhöhle», wie es originalgetreu in den meisten heutigen Übersetzungen steht, trifft die Sache besser, ist nur weniger drastisch. Die Redensart vom Herzen als Mördergrube scheint erst im 19. Jahrhundert aufzutauchen; in der Wikipedia-Liste geflügelter Worte wird die Verschiebung so gedeutet: «Durch das Zurückhalten schlimmer Gedanken wurde das Herz, der Tempel Gottes, bildlich zur Mördergrube, zu einem unterirdischen Schlupfwinkel für Mörder.»


Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Kürzlich hat er auf seiner Website Sprachhäppchen als E-Buch publiziert.

Zum Infosperber-Dossier:

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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