Keine Gedenktafel für David Frankfurter in Davos
Die frische Davoser Bergluft lockt so manchen Menschen an. Heute reisen vor allem jüdisch-orthodoxe Touristen ins Bergdorf, vor 100 Jahren kamen Russen und Deutsche dorthin, um ihre Lungenleiden zu kurieren. Von Letzteren traten ab 1933 viele der NSDAP bei, blieben aber in Davos wohnhaft. Das «Schweizer Radio und Fernsehen» (SRF) bezeichnete den Kurort als «Nazi-Hochburg in den Schweizer Bergen». Zeitzeugen berichteten, wie in Sanatorien mit Hitlergruss begrüsst wurde und auf Schulen die Flagge mit Hakenkreuz wehte. Einer der prominentesten Nazis in Davos war Wilhelm Gustloff, Landesgruppenleiter der NSDAP, der dafür sorgte, dass möglichst viele seiner in Davos lebenden Landsleute sich zur NSDAP bekannten. Um dem ein Ende zu setzen und der Welt zu zeigen, dass Juden die Diskriminierungen und Schikanen durch das nationalsozialistische Regime vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht kampflos hinnahmen, reiste 1936 ein junger Jude namens David Frankfurter aus Deutschland in die Schweiz. In Davos erschoss er Gustloff in dessen Wohnung und stellte sich sogleich den Bündner Behörden, die ihn noch im selben Jahr zu 18 Jahren Haft und lebenslänglicher Landesverweisung verurteilten.
Gefahr einer Pilgerstätte
Die Haftstrafe von David Frankfurter wurde nach Kriegsende 1945 frühzeitig beendet und auch der Landesverweis wurde 1969 aufgehoben. Eine öffentliche Gedenkstätte existiert jedoch nicht. Deshalb wandte sich letztes Jahr ein seit mehr als 30 Jahren in Zürich lebender Exil-Davoser an die Gemeinde. Er schlug die Einrichtung einer Gedenktafel für David Frankfurter und für den Widerstand gegen die Nationalsozialisten und ihren Davoser Hauptsitz vor und fragte nach, weshalb eine solche noch nicht existiere. Seine Beweggründe erklärt der Initiant gegenüber «tachles»: «Immer wenn ich an den blauen Häusern im Kurpark vorbeilaufe, fehlt etwas: eine Tafel gegen das Vergessen, ein Schild und Hinweis, dass hier der NSDAP-Leiter der Schweiz, Wilhelm Gustloff, unbehelligt von der Davoser Gemeinde und den Schweizer Behörden lebte. Bis ein junger Jude namens David Frankfurter gegen dieses Unrecht-System rebellierte.» Beim Kleinen Landrat Davos stiess das Gesuch auf Ablehnung. Das Attentat und die Reaktionen auf politischer Ebene seien «zu komplex, um auf einer Infotafel zusammengefasst zu werden». Zudem bestehe die «Gefahr», dass eine Gedenktafel «zu einem Pilgerort für die eine oder andere Gruppierung werden könnte», so der Kleine Landrat in seiner Antwort. Auf Nachfrage von «tachles», wer denn konkret mit «eine oder andere Gruppierung» gemeint sei, kam keine klare Antwort. Man könne sich ja selbst eine Meinung bilden, vor dem «geschichtlichen Hintergrund». Wenn also Neonazi-Gruppierungen gemeint sind, die den Ort als Pilgerstätte für den von der NSDAP zum Märtyrer erhobenen Gustloff nutzen würden, weshalb werden sie nicht gleich genannt? Oder hat Davos Angst vor jüdischen «Pilgern», die eines der Ihren Gedenken wollen, der sich dem Schreckensregime widersetzte? Angesichts der vielen jüdischen Touristen dürfte Davos wohl kaum ein Problem mit weiteren jüdischen oder auch einfach historisch interessierten Besuchern haben – weshalb die vage Formulierung gewählt wurde bleibt also unklar..
Keine Aufarbeitung in der Schule
Für Thomas Campolongo, den Ideengeber, ist die Absage unverständlich: «In meiner Zeit als Gymnasiast habe ich in der SAMD (Schweizerische Alpine Mittelschule Davos, Anm. d. Red.) ein Foto aus dieser dunklen Zeit gesehen, das Schüler und Lehrer auf der Haupttreppe versammelte, alle stolz und freudig den Hitlergruss zeigend. Schlagartig wurde mir bewusst, dass alle diese arm- und beinamputierten Touristen, die in den 1960er- bis 1980er-Jahren zum Davoser Strassenbild gehörten, ehemalige Soldaten der Wehrmacht waren, ob schuldig oder unschuldig. In der Schule erfuhr ich nichts darüber. Auch nicht über die Nazis in Davos. Und David Frankfurter wurde nicht ein einziges Mal erwähnt im Geschichtsunterricht.»
Das ursprüngliche Nein zur Gedenktafel stammt vom damaligen Landamman Tarzisius Caviezel. Sein Nachfolger Philipp Wilhelm gab auf Anfrage von «tachles» die Auskunft, dass der Antrag seit seiner Amtsübernahme nicht mehr zur Sprache kam, da das Geschäft mit dem Entscheid seines Vorgängers als abgeschlossen gilt. Der Initiant hat nun auf eigene Kosten ein Strassenschild mit Aufschrift «David-Frankfurter-Weg» anfertigen lassen und der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich übergeben. Davos, so der Landrat, biete «Interessierten mit der Dokumentationsbibliothek eine hervorragende Möglichkeit, sich über David Frankfurter und das Attentat auf Wilhelm Gustloff zu informieren, ebenso den damaligen Zeitgeist aufzunehmen, der in Davos zu Zeiten des Dritten Reiches herrschte». Dies sei «die richtige Art, die Ereignisse und die Geschichtsschreibung zu bewahren und zu werten».
(Dieser Bericht erschien erstmals im jüdischen Wochenmagazin tachles und wurde mit dessen Einverständnis von infosperber.ch übernommen.)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Dieser Artikel ärgert mich in mehrfacher Hinsicht: 1) Die Rolle von Wilhelm Gustloff wird völlig inkompetent dargestellt: Tatsächlich wäre er bei einer Eroberung der Schweiz durch die deutsche Wehrmacht «Gauleiter» geworden. 2) Immer wenn ich den Satz lese «davon habe ich in der Schule nichts gehört», kommt mir die Galle hoch. Es gibt noch andere Informationskanäle! 3) Wenn in den 60er bis 80er Jahren in Davos «Arm- und Beinamputierte» spazierten: Wieso sollten das Angehörige der ehemaligen Wehrmacht sein?! Was soll dieser «Kurzschluss»? 4) Was ist erreicht, wenn ein Platz oder eine Strasse nach einem Attentäter (dessen Beweggründe ich sehr gut verstehe!) genannt wird? Das ist die Vorstiufe zur Forderung, die Behörde solle sich «entschuldigen» oder eine «Entschädigung» bezahlen. 5) Was spricht dagegen, auf Wunsch einen Platz oder eine Strasse nach einem Menschen zu nennen, der in einer bestimmten Hinsiucht Vorbild sein kann (was David Frankfurter durchaus ist!)? Diese «Zurückhaltung» riecht stark nach Feigheit.