Gläubige Christen gegen ukrainischen Nationalismus
Der Osten Europas ist kulturell eine reiche Landschaft. Verschiedene Sprachen und Dialekte, Schriften in lateinischen und cyrillischen Buchstaben, bis zum Zweiten Weltkrieg neben mehreren christlichen Kirchen stark verbreitet auch der jüdische Glaube und die Hafenstädte, vor allem Odessa am Schwarzen Meer, nachgerade Sammelbecken ganz unterschiedlicher Ethnien und Kulturen. Es könnte für die osteuropäischen Länder ein Anlass zu berechtigtem Stolz sein: Hier leben Menschen, die ihre eigene Kultur leben dürfen.
Die Realität ist, vor allem im Gebiet der heutigen Ukraine, schon fast das Gegenteil. Die im Macht-Interesse der USA und ihrer politischen Vasallen in Europa, also vor allem Deutschlands, Polens und der drei baltischen Staaten, finanziell unterstützte Kiever Zentralmacht tut alles, um kulturelle Eigenarten der Regionen einzuebnen und aus der Ukraine eine – vermeintliche – «Nation» werden zu lassen. Das vom Westen mit Geld und anderen wirtschaftlichen Verlockungen vorgegebene Ziel ist, ein politisches und militärisches Bollwerk gegen Russland zu werden.
Nicht alle machen einfach mit
Die jüdische Gemeinde der Ukraine ist anlässlich des Vormarsches der deutschen Truppen gegen Russland 1941 – nicht nur von den Nazis, auch unter aktiver Mitwirkung der einheimischen Bevölkerung – fast ausgerottet worden. Wer noch fliehen konnte, floh. Von etwa 2,7 Millionen Juden vor dem Zweiten Weltkrieg sind nur wenige jüdische Familien übrig geblieben. In der kommunistischen Sowjetzeit der Ukraine waren religiöse Gemeinschaften eh kein Thema. Aber nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 lebten die Kirchen neu auf und die Christen durften frei wählen, in welchem Ritual sie ihre Messe feiern und zu welcher kirchlichen Obrigkeit sie gehören wollten – bis 2018, als der vom Westen hofierte Staatspräsident Petro Poroschenko beschloss, auch die drei orthodoxen Kirchen zu «unifizieren» und jene, die zum Moskauer Patriarchat gehörten, zu schliessen bzw. dem Kiever Metropoliten zu unterstellen. Der klassische Fall, wie der religiöse Glaube der Menschen zum Zwecke politischer Macht missbraucht werden kann. (Infosperber hat darüber ausführlich berichtet.)
Zu leiden unter dieser Massnahme der Regierung hatten vor allem jene Gläubigen, die sich dem Patriarchen von Moskau zugehörig fühlten. Vielerorts kam es zu Kirchenschändungen durch ukrainische Nationalisten und oft wurden traditionell Gläubige auch geschlagen. Aber wie tiefer Glaube eben ist: Er lässt sich nicht einfach verbieten oder wegprügeln. Wo die Priester sich den Unifizierungsanweisungen aus Kiev verweigerten, wurden sie von ihren Gläubigen tatkräftig unterstützt.
Jetzt hat eine Gruppe von orthodoxen Journalisten einen knapp halbstündigen Film gedreht, in dem gläubige Menschen aus der galizischen Region Ternopol zu Wort kommen. Der Film erzählt die reale Geschichte einer Gemeinde der Ukrainischen Orthodoxen Kirche UOC des Moskauer Patriarchats. Dieser Gemeinde wurden zwei ihrer Kirchen von den nationalistischen «Gläubigen» des Kiever Patriarchats weggenommen, eine schon 2014, die andere drei Jahre später. Die Einwohner der zwei nebeneinander liegenden Dörfer spalteten sich auf in diejenigen, die der Ukrainischen Orthodoxen Kirche treu blieben, und in die anderen, die diese Menschen nun als «Moskali» beschimpften – eine in der Ukraine gängige abschätzige Bezeichnung für die Russen. Die Gläubigen gingen dann in ein anderes Dorf zum Gebet, ins Wohnhaus ihres Gemeindeältesten, und bauten zuerst eine provisorische Kapelle aus Spanplatten, um Zeit zu haben für den Bau einer neuen, richtigen Kirche. Alle Gemeindemitglieder, Männer und Frauen, waren an diesem Werk beteiligt. Jetzt haben sie ihre strahlend schöne neue Kirche und sind überglücklich. Zentrale Figur der Erzählung ist der Dorf-Priester Wasili. Zehn weitere Gemeindemitglieder kommen im Originalton zu Wort, was die Geschichte besonders authentisch macht.
In der Ukraine geht man davon aus, dass etwa 400 bis 500 Kirchen der UOC, also die Kirchenbauten der Kirche des Moskauer Patriarchen, von Anhängern der neuen, unifizierten Orthodoxen Kirche OCU (die Abkürzung ist leider zum Verwechseln ähnlich), mit rechtlich fragwürdigen Methoden übernommen worden sind. In vielen Gemeinden treffen sich die Gläubigen nun einfach an anderen Orten. Nicht zuletzt in wenigen Tagen wieder, wenn in den orthodoxen Kirchen nach dem julianischen Kalender Weihnachten gefeiert wird: nach unserem, dem gregorianischen Kalender, am 7. Januar.
Der eindrückliche Film kann im ukrainischen Originalton, aber auch in russischer und in englischer Sprache angeschaut werden: «Hymn of Love», ein «Hymnus auf die Liebe», geht ans Herz. Der Film stimmt erst traurig; man muss mitansehen, wie die Religionsfreiheit unterdrückt wird. Aber letztlich macht er sogar froh: Man darf miterleben, wie Menschen sich zusammenfinden und dem Gebot der christlichen Nächstenliebe folgend sogar darauf verzichten, die Schläger und Zerstörer ihrer Kirche zu verurteilen.
Ich habe den Film angeschaut und er ist wirklich beeindruckend. Es erstaunt mich immer wieder wie es möglich ist, teile einer Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen.