Bedrohlich wachsende Ungleichheit
Entgegen den Hoffnungen vieler hat die Covid-19-Pandemie nicht zu mehr Gleichheit, Solidarität und Zusammengehörigkeit geführt. Im Gegenteil: Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter aufgegangen, Milliardäre haben von der Pandemie besonders profitiert (Infosperber berichtete). Diese Tendenzen wurden zudem durch entsprechende Steuergeschenke befeuert. Soziale Anliegen wie Geschlechtergerechtigkeit, Care-Ökonomie oder Völkerverständigung bleiben auf der Strecke.
Eine Plattform, welche die zunehmende Ungleichheit statistisch erfasst
Das Projekt Inequality.Org widmet sich der statistischen Erfassung der verschiedenen Formen von Ungleichheit und deren Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft. Getragen wird die Initiative vom Institut für politische Studien (Institute for Policy Studies) IPS, einer der fünf grössten Denkfabriken der USA mit Sitz in Washington DC. Nach eigenen Angaben tritt es für «Frieden, Gerechtigkeit und Umweltschutz» ein.
Im Folgenden sollen ein paar Aspekte der wachsenden Ungleichheit beleuchtet werden, die Inequality.Org aus verschiedenen Quellen zusammengetragen hat. Dazu gehören die Auswirkungen einer Steuerpolitik, die vor allem die Reichen und Superreichen bevorzugt (Tax Inequality), die Ungleichheit aufgrund ethnischer Zugehörigkeit (Racial Economic Device) und Geschlecht (Gender Gap) und die Rolle der Philanthropie. Obwohl sich die Angaben von Inequality.Org vor allem auf die USA beziehen, können diese unter Berücksichtigung der Grössenverhältnisse auf die meisten Volkswirtschaften im globalen Norden und Süden angewendet werden.
Steuer-Ungerechtigkeit
Die US-Steuerpolitik der letzten Jahre hat zu einer merklichen Entlastung der reichsten Personen und der grössten Unternehmen geführt. Im Gegenzug dazu kam es kaum zu einer Verminderung der Steuerlast bei den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten. Als Folge dieser vor allem unter Donald Trump durchgesetzten Steuerpolitik fehlt das Geld für dringende soziale, kulturelle und infrastrukturelle Investitionen der öffentlichen Hand.
In den «goldenen Jahren» von 1945 bis 1985 führte eine hohe Besteuerung der reichen Oberschicht zur Verminderung wirtschaftlicher Ungleichheit, hatte also eine im Grossen und Ganzen wirtschaftlich gerechtere Gesellschaft zur Folge. Der unmittelbare Zusammenhang von Steuersatz und Reichtum ist aus der folgenden Grafik ersichtlich. Während der Steuersatz für das reichste Tausendstel der Bevölkerung nach der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren auf praktisch 90 Prozent stieg, nahm dessen Anteil am nationalen Einkommen dramatisch ab. Diese Tendenz beginnt sich ab 1985 umzukehren: die Steuern für die Superreichen fallen auf unter 30 Prozent, ihr Einkommen dagegen wächst stark. 2018 betrug der Anteil des Einkommens der 0,1 Prozent Reichsten am Nationaleinkommen 10,84 Prozent, was seit 1929 nie mehr erreicht wurde.
Arme arbeiten, Reiche investieren
Dass die Steuerpolitik direkte Auswirkungen auf das effektive Einkommen der US-Bevölkerung hat, zeigt die folgende Grafik. Während das Medianeinkommen aus Kapitalgewinnen bei rund 12 Prozent des Gesamteinkommens einer Person liegt, beträgt dieses beim reichsten Hundertstel rund 34 Prozent und beim reichsten Hunderttausendstel gar 71 Prozent. Die meisten Personen erzielen ihr Einkommen aufgrund von Erwerbsarbeit; die reichsten dagegen aufgrund von Kapitalerlösen. Diese würden proportional weniger stark besteuert als die Erwerbsarbeit. Zudem fänden Superreiche genügend «Schlupflöcher», um ihre Steuern zu «optimieren».
Wirtschaftliche Ungleichheit aufgrund ethnischer Zugehörigkeit
Bekanntlich sind die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen der weissen Bevölkerung auf der einen und der nicht-weissen (Schwarze, Hispanics, Indigene) in den USA seit Jahrhunderten hoch. Man redet vom so genannten Racial Economic Device, also der wirtschaftlichen Kluft zwischen Menschen aufgrund ihrer ethnischen (in den USA wird noch immer die Bezeichnung Race verwendet) Zugehörigkeit. Diese hat sich aufgrund der Pandemie noch weiter vertieft.
Wie die folgende Grafik anschaulich zeigt, teilen sich «weisse» Haushalte 85 Prozent des Reichtums der USA, während nach Angaben des Statistikamtes 2022 nur 58,88 Prozent der US-Bevölkerung «weiss» waren. «Schwarze» besitzen mit 6,08 Prozent Anteil an der US-Bevölkerung nur 3,4 Prozent des Reichtums, und die 19,1 Prozent Hispanics gar nur 2,3 Prozent.
Mehr Schulden für die Ausbildung und nachher weniger Lohn
Auch beim Eigenheimbesitz oder den Schulden fürs Studium zeigt sich der Racial Economic Device: 30 Prozent mehr «Weisse» (nämlich 75 Prozent der weissen Bevölkerung) als «Schwarze» (45 Prozent der schwarzen Bevölkerung) besitzen ein Eigenheim. Bei den Studienschulden beträgt der Unterschied zwischen «schwarzen» und «weissen» Studierenden auf dem Bachelor-Niveau 13 Prozent und auf dem College-Niveau gar 26 Prozent. «Schwarze» mit Bachelor-Titel verdienen im Durchschnitt 27 Prozent und solche mit College-Abschluss 14 Prozent weniger als «Weisse» mit den gleichen Qualifikationen.
Besonders eklatant sind die Unterschiede beim Einkommen, wie untenstehende Grafik zeigt. Die 500 bestbezahlten CEO verdienen im Durchschnitt 18,4 Millionen US-Dollar. Darunter sind nur 4 «Schwarze» und 17 Hispanics, insgesamt also 4 Prozent. Diese beiden ethnischen Gruppen repräsentieren aber 31 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung der USA. Signifikant viele Menschen (43 Prozent der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung) aus diesen beiden ethnischen Bevölkerungsgruppen würden bei einer Anhebung des Minimumlohns auf 15 US-Dollar profitieren, wie dies für 2025 geplant ist.
«Gender Pay Gap»: Wirtschaftliche Ungleichheit aufgrund des Geschlechts
Das Problem der ungleichen Entlöhnung von Männern und Frauen ist auch in der Schweiz nach wie vor ein nicht gelöstes Thema. Dazu kommt die ungleiche Behandlung bei den Pensionskassen aufgrund unbezahlter Arbeit und beim Vermögen insgesamt. In den USA verdienen Frauen in praktisch allen Branchen weniger als die Männer (siehe Grafik unten). Am grössten sind die Unterschiede im Finanzbereich (rund 40 Prozent) und beim Management (rund 30 Prozent), am wenigsten auf dem Bau, wo nur 10,8 Prozent der Arbeitenden Frauen sind.
Die Gender-Unterschiede zeigen sich aber auch an anderen Stellen. So sind nur 10,4 Prozent der 500 bestbezahlten CEO in den USA Frauen. Bei den Arbeitenden mit einem Minimallohn dagegen liegt der Prozentsatz der Frauen bei 67,9 Prozent.
Doppelt so viel Rente für Männer wie für Frauen
Beim Vermögen zeigt sich ein ähnliches Bild: Weltweit gibt es unter den Dollar-Milliardären weniger als 12 Prozent Frauen. Bei den Altersrenten und Sozialzulagen ist der Gender Gap in den USA besonders stossend: Männer haben über 105 Prozent mehr Renten für ihren Ruhestand zur Verfügung als Frauen, und auch bei den Sozialzulagen beträgt der Unterschied zugunsten der Männer noch immer rund 24 Prozent.
Weltweit weist Südkorea mit 37 Prozent den grössten Gender Pay Gap auf. Am besten schneidet Luxemburg mit 3,4 Prozent ab. Gemäss Gleichstellungsbüro des Bundes liegt diese Zahl in der Schweiz bei 18 Prozent; 15,1 Prozent im öffentlichen und 19,5 Prozent im privaten Sektor.
Bei der unbezahlten Arbeit sind die Frauen vorn
Was beim Gender Pay Gap besonders ins Auge fällt, ist das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit, was ja bekanntlich auch Auswirkungen auf die Pension hat. In unten stehender Grafik ist der Anteil von Männern an der (unbezahlten) Care-Arbeit in verschiedenen Ländern ersichtlich. Am besten steht Belgien mit 63 Prozent da, die Schweiz liegt mit 61 Prozent an vierter Stelle, gleich hinter den USA. Die Türkei liegt mit nur 19 Prozent Männer-Anteil bei unbezahlter Care-Arbeit an zweitletzter Stelle, vor der Westbank und Gaza mit 16 Prozent.
Philanthropie und wirtschaftliche Ungleichheit
Spenden und Beiträge von nicht-profitorientierten Institutionen tendieren eigentlich zu einer Nivellierung der bestehenden wirtschaftlichen Ungleichheiten. Allerdings stellt Inequality.Org bei der Philanthropie, also bei individuellen Spenderinnen und Spendern und gemeinnützigen Organisationen, eine zunehmende Konzentration fest. Dieses als Top-Heavy-Philanthropy bezeichnete Phänomen führt dazu, dass der immense Reichtum in wenigen Händen eine Gefahr für die Autonomie von Non-Profit-Organisationen und damit auch der Demokratie insgesamt bedeutet.
Wer spendet, befiehlt
Auf jeden Dollar, den ein Milliardär «spendet», fehlen der öffentlichen Hand und damit der Allgemeinheit 74 Cents an Steuern. Damit bestimmen immer mehr die «spendefreudigen» Milliardäre, wie der Reichtum weltweit verteilt wird, und nicht die Politik. Man spricht bereits von einer neuen Aristokratie und dem Wiederaufkommen des Feudalismus. Die Spendenbereitschaft der «gewöhnlichen» Bürgerinnen und Bürger nimmt gleichzeitig ab.
Die Grossspenden von reichen Menschen (Spenden von einer Million und mehr) ist von 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2011 in zehn Jahren auf 17,5 Milliarden gestiegen. Inzwischen gilt als Minimum für eine «Mega-Spende» 450 Millionen US-Dollar.
Steuerbefreite Stiftungsgelder
Dabei fällt auf, dass die Superreichen ihr «Spendengeld» in privaten Stiftungen parkieren und damit dem Fiskus entziehen. Diese Stiftungen (mit einem Gesamtvermögen von 17,56 Billionen US-Dollar) können aufgrund ihrer Finanzmacht am Staat und Steuerzahler vorbei bestimmen, welche politischen Ziele unterstützt werden sollen oder nicht. Besonders bekannt ist die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die wegen zwiespältigen «Investitionen» immer wieder in die Schlagzeilen kommt.
An zweiter Stelle kommen die von den Philanthropen privat eingerichteten zweckgebundenen Donor-advised Funds und gleich dahinter die Spenden für Universitäten und Hochschulen. Dies ist besonders heikel, da damit die Freiheit der akademischen Lehre in Gefahr gerät und die Elitebildung an den US-Universitäten weiter zunimmt.
Fazit
Sogar die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben inzwischen die Alarmglocke geläutet. Die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit innerhalb von Staaten und im weltweiten Vergleich wird als ernst zu nehmende Bedrohung für das friedliche Zusammenleben der Menschen und den nationalen und internationalen Zusammenhalt angesehen. Autoritäre und populistische Regierungen betreiben zwar Politik mit dem Argument zunehmender Ungleichheit, feuern aber gleichzeitig den Trend weiter an.
Die (Steuer-) Politik galt bis vor kurzem als Instrument, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Inzwischen macht es allerdings den Anschein, als hätte die Politik die Kontrolle längst aus den Händen gegeben. Feudalistische und aristokratische Tendenzen nehmen zu, und damit auch die Möglichkeit von Volksaufständen und Stürmen auf die «Bastille». Einige Superreiche haben diese Gefahr erkannt und fordern vom Staat eine gerechtere Besteuerung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.