Migranten nemar74

Migranten ohne Arbeit und ohne Dach über dem Kopf © Depositphotos/nemar74

«Eine rohe Debatte – eine Debatte ohne Herz und Verstand»

Heribert Prantl /  Politiker sollten so handeln, wie sie behandelt werden möchten, wenn sie Flüchtlinge wären. Und nicht der AfD hinterherhecheln.

Portrait Heribert Prantl x.
Heribert PrantlHeribert Prantl © Sven Simon

Der Flüchtlingsschutz hat keinen parteipolitischen Hüter mehr. Die AfD gibt den bösen Ton vor, dem die CDU/CSU, die SPD und die FDP folgen. Die Grünen, die vor 35 Jahren die Anführer des Widerstands gegen die Grundgesetzänderung waren, sind stumm geworden. Und beim BSW vertritt Sahra Wagenknecht die Position, die seinerzeit ihr jetziger Ehegatte Oskar Lafontaine vertrat: der war damals – noch in der SPD – der erste prominente Sozialdemokrat, der eine Grundgesetzänderung propagierte und den Verzicht auf das einklagbare individuelle Grundrecht auf Asyl.

Es gab grosse Debatten, öffentliche und in den Sitzungen der Parteigremien. Heute gibt es nur noch den Wettbewerb, wer am schnellsten noch schärfere Forderungen stellt. Das geht so weit, dass jetzt die grosse europäische Errungenschaft, die offenen Grenzen, durch massive Grenzkontrollen in Frage gestellt werden.

Die Angst des Bodo Ramelow

In der aktuellen Debatte gibt es nur einen, der laut, klar und vernehmlich Kritik übt: Bodo Ramelow, der bürgerlich-linke Noch-Ministerpräsident von Thüringen. Er propagiert zwar schnellere Asylverfahren und die Abschiebung von Flüchtlingen, «die bei uns permanent die Regeln brechen»; er kritisiert aber zugleich die manifeste Ausländerfeindlichkeit der aktuellen Migrationsdebatte und fordert mehr Zuwanderung. Allein in Thüringen, so sagt er, fehlten Hunderttausende Arbeitskräfte.

Ramelow erklärt wörtlich im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: «Deshalb kriege ich langsam Angst vor der gesellschaftlichen Debatte, die von spektakulären und sehr negativen Fällen dominiert wird und nicht von den vielen Fällen, in denen Integration gelingt. Stattdessen wird beim derzeitigen Überbietungswettbewerb der Abschreckungsgrausamkeiten leider auch intensiv die Ausländerfeindlichkeit getriggert. Am Ende kommt nur das Gefühl raus: Die AfD hat es ja gesagt. Jetzt sagen es die anderen auch.»

Wenn wir Flüchtlinge wären

Ramelow hat recht. Die aktuelle Debatte ist eine völlig undifferenzierte, eine rohe Debatte, eine Debatte ohne Zwischentöne, eine Debatte ohne Herz und Verstand. Obwohl die Flüchtlingszahlen nicht steigen, sondern sinken, wird von einem Notstand geredet.

Der Notstand besteht nicht in der Zahl der Flüchtlinge, er besteht in der Art und Weise, wie darüber geredet wird. Der Notstand besteht darin, wie im Bundeshaushalt die Mittel für die Förderung von Integrationskursen gekürzt werden. Integrationsarbeit ist ein wichtiger Beitrag zu Sicherheit! Man darf sich nicht einschüchtern lassen von denen, die Gift und Galle spritzen; nicht von denen, die nicht die Zivilgesellschaft, sondern die Unzivilgesellschaft repräsentieren.

Es gibt hierzulande auch Zigtausende von Menschen, die immer noch und trotz alledem den Flüchtlingen helfen – beim Deutschlernen, beim Umgang mit den Behörden, beim Fussfassen in diesem Land. Von ihnen soll sich die Politik beeindrucken lassen. Sie handeln nach der Regel: Handeln wir so, wie wir behandelt werden wollten, wenn wir Flüchtlinge wären.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien zuerst als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Das Ausschaffen von Wirtschaftsflüchtlingen stellt demokratische Institutionen vor grosse Herausforderungen

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Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

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8 Meinungen

  • am 22.09.2024 um 13:07 Uhr
    Permalink

    Die Perspektive der Flüchtlinge ist nicht die Hauptperspektive eines Politikers. Ein Politiker dient der ansässigen Bevölkerung. Schuldkomplexe der weissen Bevölkerung müssen überwunden werden.

  • am 22.09.2024 um 14:23 Uhr
    Permalink

    Interessante Aussage im Artikel:: «Die aktuelle Debatte ist eine völlig undifferenzierte, eine rohe Debatte, eine Debatte ohne Zwischentöne, eine Debatte ohne Herz und Verstand.» Das könnte wohl heissen, dass die Ursachen warum Flüchtlinge aus den den Heimatländern die beschwerliche Reise nach Europa unternehmen mussten, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können unter den Teppich gekehrt werden, weil die Politik des Westens in den letzten 300 Jahren, die Ursache sein könnte, warum es auf der Welt sehr viele politisch instabile Länder gibt, die von Machthabern regiert werden, die gesteuert werden könnten Krisen zu verursachen, damit es eine politische Instabilität gibt, um deren Staaten wirtschaftlich besser unter Kontrolle zu haben, damit globale Konzern gute Gewinne machen können? Gibt es die Möglichkeit für stabile politische, demokratische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse zu sorgen, damit die Menschen nicht zu Flüchtlingen werden?
    Gunther Kropp, Basel

  • am 22.09.2024 um 17:52 Uhr
    Permalink

    ‹Handeln wir so, wie wir behandelt werden wollten, wenn wir Flüchtlinge wären. .. ist wohl ein Kernpunkt der gesamten Problematik.

  • am 22.09.2024 um 21:46 Uhr
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    …der liebe, gute Heribert Prantl

  • am 23.09.2024 um 07:48 Uhr
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    Bestimmen die gewählten Politiker die Strategie, oder diktiert das Volk den Politikern die Richtung? DAS ist das Problem. Angewandt auf die Frage der Migration (in der Spätphase nach 2015): Nahezu alle Politiker/Parteien verfechten die Werteskala des Grundgesetzes und die Aspekte der Demografie(«Willkommen»). Aber zunehmend größere Teile des Volkes (in den kommunalen Örtlichkeiten) reagieren konträr («Überforderung»).
    Was nun? Wer hat nun recht? DAS ist die Frage, die beantwortet werden muß. H.Prantl ist davon weit entfernt – zit.Prantl(«..Die aktuelle Debatte ist eine völlig undifferenzierte, eine rohe Debatte, eine Debatte ohne Zwischentöne, eine Debatte ohne Herz,Verstand..»). Das ist eine Beleidigung der Bemühungen des Volkes. Damit schafft er die Tatsache,daß die AfD sehr früh die Realität erkannt und Forderungen formuliert hat(warum auch immer) nicht aus der Welt.Ob die anderen nun hinterherlaufen oder spät, aber nun eigenständig, begreifen, ist dabei nicht mehr wichtig.

  • am 23.09.2024 um 08:42 Uhr
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    Mich würde der Grund interessieren, wieso Herr Prantl in keinem seiner Artikel je Empathie für die einheimische Bevölkerung fordert. Am 19.08.24 schrieb die NZZ von höchstständen bei Sexualdelikten und Messerangriffen in DE. Von deutschen Bekannten höre ich, dass sie sich, vorallem Frauen, nach Sonnenuntergang alleine nicht mehr raus trauen. Herr Prantel, aber auch der Infosperber, schweigen eisern dazu.

    Mir scheihnt, dass Ideologie dazu führt, dass einige Menschen mehr Empathie und Schutz verdient haben als andere.

  • am 23.09.2024 um 15:48 Uhr
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    Seit vielen Jahren kommen sehr viele Migranten nach Deutschland; das hat bislang kein Fachkräfteproblem gelöst und auch dem Sozialstaat keine Atempause verschafft. Im Gegenteil werden immer mehr erhebliche Steuermittel aufgewendet um Flüchtlinge unterzubringen, zu bilden, zu ernähren und zu integrieren. Der Mangel an Wohnraum, Kindergartenplätzen, Lehrern und allgemeiner Infrastruktur hat sich verschärft. Dazu kommt bei vielen Migranten ein Frauenbild dass sich mit der mühsam erkämpften und immer noch mangelhaft umgesetzten Gleichberechtigung der Frau nicht verträgt: muslimische Frauen bsp.-weise sind nicht einmal in der Glaubensausübung den Männern gleichgestellt – sie dürfen nicht gemeinsam mit den Männern, nur hinter ihnen oder gesondert, in der Moschee beten. Natürlich sind Rassenhass und Aufstachelung niedere Instinkte abzulehnen, allerdings sind auch Probleme der Migration und des verfallenden Sozialstaates zu lösen und das sicher nicht mit noch mehr Migration.

  • am 24.09.2024 um 02:00 Uhr
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    Die GFK regelt die völkerrechtliche Rechtsstellung der Flüchtlinge. Das Asyl Gesetz benennt die intl./nationalen Voraussetzungen der Schutzgewährung und Anerkennung als Flüchtling, den Schutz vor Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen. Mehr Gründe gibt es nicht. Im positiven Fall erhält ein Flüchtling im Land Asyl. Im negativen Fall ist er nicht Asylant, sondern er/sie ist als Migrant illegal im Land, bestenfalls «vorübergehend geduldet», da eine Abschiebung nicht möglich ist, was immer der Grund.
    Subjektiv empfundene Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind damit als Gründe für eine Asylgewährung gemäss Artikel 16a GG grundsätzlich ausgeschlossen.

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