CO2-Budget: Seit Mitte März lebt die Schweiz auf Pump
Bestünde die Welt nur aus der Schweiz, hätte sie das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken, Mitte März endgültig vergeigt. Zumindest, wenn es in der Welt einigermassen gerecht zugehen soll.
Ihr CO2-Budget, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, hat die Schweiz am 15. März aufgebraucht. Diese «Klima-Pleite» ist ein moralischer Bankrott auf Kosten ärmerer Länder.
Diese Bilanz präsentierten mehrere Hilfswerke wie Fastenaktion (ehemals Fastenopfer) und das Hilfswerk der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (HEKS) Mitte März der Bundesregierung.
In einer Kampagne forderten sie mehr Klimagerechtigkeit und schärfere Klimaziele.
Wie kommen die Zahlen zustande?
Der Zeitraum, der der Welt noch bleibt, um das 1,5-Grad-Ziel von Paris zu erreichen, beträgt nur noch wenige Jahre, das zeigte der jüngste IPCC-Bericht. Selbst für eine Erwärmung von 2 Grad muss die Menschheit sofort grosse Anstrengungen unternehmen.
Dass das «Klima-Portemonnaie» der Schweiz am 15. März leer war, geht auf zwei Zahlen zurück: das CO2-Budget, das der gesamten Welt noch bleibt, und dem Anteil der Schweiz daran.
Ersteres stammt aus Simulationen des Klimageschehens, bei denen eine Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent besteht, dass die Erderwärmung bei einer bestimmten Menge CO2 in der Atmosphäre 1,5 Grad beträgt. Dabei gibt es Unsicherheiten, zusammengenommen sind diese Simulationen aber recht genau.
1990 hatte die Welt nach einer Berechnung des WWF von 2017 noch ein CO2-Budget von 1411 Gigatonnen CO2, 2011 waren es noch 850 Gigatonnen CO2, 2020 blieben noch 400 Gigatonnen.
Wer möchte, kann sich dieses Welt-Budget und die verbleibende Zeit bei voraussichtlichem Emissionsverlauf auf der CO2-Uhr des Mercator Instituts Berlin ansehen, das das verbleibende CO2-Budget für 1,5 beziehungsweise 2,0 Grad Erderwärmung in Echtzeit anzeigt:
Wie wird das Budget aufgeteilt?
Welcher Teil des Budgets der Schweiz zufällt, haben zehn kirchliche Organisationen in einem Workshop im letzten Jahr festgelegt. «Dabei entstand eine ethische Gewichtung nach Klimagerechtigkeit», erklärt Stefan Salzmann, Fachexperte Energie- und Klimagerechtigkeit bei Fastenaktion. Das Vorgehen ist nicht ganz neu, Organisationen wie der WWF oder ein Professor der ZHAW schlugen ähnliche Ansätze vor.
Die Aufteilung, die die Beteiligen festlegten, richtet sich
- nach dem gleichen Recht aller Menschen, Klimagase zu produzieren,
- nach dem Potenzial eines Landes, etwas gegen die Klimakrise zu tun, gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Innovationskraft eines Landes,
- nach der historischen Verantwortung. Viele der Klimagase, die sich jetzt in der Atmosphäre befinden, wurden in der Vergangenheit von nur wenigen Ländern produziert.
- nach den Emissionen, die ein Land im Ausland verursacht, zum Beispiel bei der Herstellung von Konsumgütern
Im Ganzen entstanden sieben Kriterien. «Jedes Kriterium allein ist ein Teil des Restbudgets», erklärt Salzmann, der grossen Wert darauf legt, dass die Rechnung, die ethische Gewichtung, die die Klimagerechtigkeit abbildet, auf wissenschaftlichen Daten beruht. Wie viel CO2 genau auf die Schweiz entfällt, hat das Institut für Nachhaltigkeits- und Demokratiepolitik (INDP) aus Luzern im Auftrag der beteiligten Hilfswerke ausgerechnet.
Tut die Schweiz denn gar nichts?
Die Schweiz hat bis jetzt zwar einiges unternommen, um ihren Anteil an der Klimakrise zu reduzieren. Sie könnte jedoch noch viel mehr tun.
Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat der Treibhausgasausstoss in der Schweiz zwischen 1990 und 2020 um 19 Prozent abgenommen. Gezählt wurden dabei die Emissionen auf Schweizer Territorium ohne den internationalen Flug- und Schiffsverkehr.
Wie viel ist das im internationalen Vergleich?
Verglichen mit anderen Industrieländern schlägt sich die Schweiz damit zwar recht gut – im Vergleich zum EU-Durchschnitt oder den Super-Emittern Saudi-Arabien und USA zum Beispiel. Pro Kopf verursachte ein Einwohner der Schweiz 2019 gerade einmal 4,16 Tonnen CO2, ein US-Amerikaner 14,44 Tonnen und ein Deutscher 7,75 Tonnen (Statista).
Wer bezahlt die Klimazeche jetzt?
Das ist aber keine Rechtfertigung. Klimamathematisch wie klimaethisch gesehen ist die Schweiz pleite. «Wenn die Schweiz zum 1,5-Grad-Ziel beitragen und dieses mit 66 Prozent Wahrscheinlichkeit erreichen will, dann ist das Guthaben an CO2 aufgebraucht – unser Konto ist leer», sagt Salzmann.
Sie lebt auf Kosten von Ländern wie Angola, Paraguay, Tansania und Usbekistan, die teilweise stark von der Klimakrise betroffen sind, aber wenig dazu beitragen. Madagaskar beispielsweise produziert kaum Kohlendioxid, leidet aber seit Jahren unter grosser Dürre.
Etwa 60 Prozent ihrer CO2-Emissionen verursacht eine Person in der Schweiz auch gar nicht hier, sondern im Ausland. Dort entsteht «graues Kohlendioxid», beispielsweise bei der Produktion von Lebensmitteln, Tierfutter oder bei der Herstellung von Konsumgütern. «Grau» heisst es deshalb, weil die globale Menge in der Bilanz gleichbleibe. «Die Emissionen werden vom BAFU dann einem anderen Land zugeordnet», erklärt Salzmann. Ziemlich ungerecht.
Was kann man dagegen tun?
Eine Begrenzung auf die eigenen Emissionen reiche eben nicht. «Neben einem ambitionierten Inlandziel braucht es mehr, wenn die Schweiz zu Klimagerechtigkeit beitragen will», sagt er. Fastenaktion und Partner fordern deshalb,
- dass die Schweiz Klimaneutralität schon für 2040 anstrebt, nicht erst für 2050 wie bisher geplant,
- dass die Schweiz im Ausland zu CO2-Minderungen beiträgt, ohne dies dem eigenen Inlandziel anzurechnen,
- dass die Schweiz ihren fairen Anteil am 100-Milliarden-Dollar-Ziel für die Bekämpfung der Klimakrise, das die Weltregierungen vereinbart haben, über öffentliche Mittel finanziert und neue und zusätzliche Mittel bereitstellt,
- dass die Schweiz für bereits eingetretene Schäden und Verluste finanzielle Mittel zur Verfügung stellt,
- dass der Schweizer Finanzplatz als «grösster Schweizer Hebel» zu den Zielen des Klimaabkommens von Paris beiträgt,
- dass erneuerbare Energieprojekte im Ausland auch nach sozialen Kriterien ausgerichtet werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Es ist heute praktisch noch völlig unklar, wie CO2-Neutralität in der Schweiz bis 2050 erreicht werden soll. Da ist die Forderung, diesen Zeitpunkt um 10 Jahre vorzuverschieben, natürlich eine tolle Idee. Das haben sich die Kirchenorganisationen zusammen mit WWF, ZHAW und BAFU ganz wissenschaftlich ausgedacht. Bravo!
Madagaskar scheint mir ein denkbar schlechtes Beispiel zu sein, da es einen Grossteil (es gibt dazu verschiedene Zahlen -75 / 90 %) seines Waldes abgeholzt hat. Kein Wunder hat es dazu sein «Mikroklima» zerstört. Es soll aber keine Entschuldigung dafür sein, dass wir weiter übermässig die Umwelt verpesten.
Das träfe auf viele europäische Länder genauso zu – Grossbritannien oder Griechenland zum Beispiel.
Hier mal ein paar Artikel, mit welchen irrsinnigen «Massnahmen» die Energiewende vollzogen werden soll:
Solarpark Hohensaaten: Investor möchte 370 Hektar Wald für Solarpark roden:
https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/wirtschaft/2022/05/hohensaaten-solarpark-wald-roden-energiewende.html
Windpark «Stillfüssel» bei Heiligkreuzsteinach: Das Ausmaß der Rodungen überraschte
https://www.rnz.de/nachrichten/region_artikel,-Region-Heidelberg-Windpark-Stillfuessel-bei-Heiligkreuzsteinach-Das-Ausmass-der-Rodungen-ueberraschte-_arid,273154.html
CO2 wirklich ein Übel? Die einen bezahlen für den Ausstoss, die anderen verkaufen CO2:
https://www.umweltdialog.de/de/wirtschaft/oekologie/archiv/2008-07-04_Linde_OCAP_Projekt.php
Das perverse Geschäft mit dem Klimawandel:
https://www.ecowoman.de/freizeit/natur/das-perverse-geschaeft-mit-dem-klimawandel-und-warum-wir-unsere-natur-nicht-verstehen-6185
Man sollte sich einmal fragen, ob es beim Klima nicht mehr um Investment statt Umwelt geht.