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Was tun mit dem vielen Geld? Kryptokönig Niklas Nikolajsen weiss es: shoppen. © SRF

Chronische Finanzkrise kostet uns viel mehr als akute Krisen

Werner Vontobel /  Akute Finanzkrisen sind spektakulär und teuer. Die chronische Finanzkrise kostet viel mehr, liefert aber keine Schlagzeilen.

Die letzte grosse Finanzkrise begann Ende 2007 mit dem Zusammenbruch der überhitzten Immobilienmärkte – erst in den USA, dann auch in Europa. In der Folge fiel das BIP-Wachstum der Schweiz von plus zwei auf minus zwei Prozent, war aber schon 2010 wieder in etwa auf dem üblichen Niveau. Der Gesamtschaden belief sich somit auf rund vier BIP-Prozent.

Auch in Deutschland und Frankreich ging das BIP-Wachstum jeweils nur ein Jahr lang um sieben beziehungsweise um rund vier Prozent zurück. Die USA verloren in den Jahren 2008 und 2009 im Vergleich zu 2007 zwischen fünf und sechs BIP- Prozente. Seither ist die Welt von akuten Finanzkrisen verschont worden. Doch die chronische Finanzkrise geht weiter und ist längst so sehr zur Normalität geworden, dass ihr Schadenspotential nicht einmal gemessen wird.

Einseitige Einkommensverteilung

Beide, die akute und die chronische Finanzkrise, haben eine gemeinsame Ursache: die einseitige Einkommensverteilung und den damit verbundenen chronischen Sparüberhang, der zu einer Anhäufung von Guthaben führt, die wiederum zu Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten verursacht. Neuerdings sind auch die Kryptowährungen davon betroffen.

Bei den akuten Finanzkrisen wird der Schaden durch das periodische Platzen dieser Blasen angerichtet. Das chronische Problem besteht darin, dass die Verwaltung und das Aufbewahren dieser Guthaben in der Summe deutlich höhere Kosten verursachen als die nur periodisch anfallenden akuten Finanzkrisen.

Der weitaus grösste volkswirtschaftliche Schaden wird durch die zu einseitige Einkommensverteilung verursacht. Sie führt zu reinem ostentativen Luxuskonsum auf der obersten Etage, der die «niedrigeren Stände» zum Mithalten zwingt. Der Mensch tickt halt so.

Statuskonsum ist Verschwendung

Wir vergleichen uns. Dies erzwingt einen Statuskonsum, der wenig zur Befriedigung unserer eigentlichen Bedürfnisse beiträgt und so gesehen reine Verschwendung ist. Und weil für die ärmsten rund 20 Prozent zu wenig bleibt, leiden diese unter Armut und angeschlagener Gesundheit. Vor allem die Männer sind betroffen. Studien zeigen, dass Männer der untersten Einkommens- und Bildungsschichten im Verlaufe ihres um fünf Jahren kürzeren Lebens fast neun Jahre länger krank sind beziehungsweise mit eingeschränkterer Gesundheit leben als die mit Hochschulabschluss.

Dazu kommen nun noch – gleichsam als Kollateralschäden – die Kosten dessen, was wir als chronische Finanzkrise bezeichnen. Selbst wenn die Börsen und Immobilienblasen nicht platzen, müssen die angehäuften Guthaben doch verwaltet werden. Das kostet.

Enorme Kosten

Im Falle der Schweiz sieht das so aus: Bei den aktuell etwa 1250 Milliarden Franken Guthaben der 2. Säule rechnet man mit reinen Vermögensverwaltungskosten von 0,6 Prozent. Das entspricht etwa 7,5 Milliarden Franken. Rechnet man auch die versteckten Kosten ein, kommt man (beziehungsweise der Blick) auf mindestes zwölf Milliarden Franken oder rund 1,5 Prozent des BIPs

Alle drei bis vier Jahre kostet somit allein die Verwaltung der Pensionskassenguthaben gleich viel wie eine akute Finanzkrise.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Neben ihren Pensionskassen-Guthaben besitzen die Schweizer (Stand Ende 2023) noch weitere rund 3500 Milliarden Finanzguthaben. Deren Verwaltung (Perfomance Fees, Depotgebühren, Agio beim Verkauf, versteckte Kosten et cetera) ist in der Regel deutlich teurer als die professionelle Vermögensverwaltung der Pensionskassen. Wenn wir vorsichtig mit 1,2 Prozent rechnen, bringt uns das auf 42 Milliarden oder gut fünf Prozent des BIPs.

Zwischenfazit: Das, was wir als chronische Finanzkrise bezeichnen, kostet uns pro Jahr mindestens so viel wie eine akute Finanzkrise. Doch eine solche gibt es nur alle 15 bis 20 Jahre.

Nur wenig reale Vermögenswerte

Doch es kommt noch schlimmer: Die privaten Netto-Vermögensansprüche von aktuell rund 4700 Milliarden sind nur noch etwa zu einem Fünftel durch reale Vermögenswerte wie Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge, elektrische Ausrüstungen, Knowhow et cetera gedeckt. Und die Schieflage wird immer ausgeprägter: Die «fiktiven» privaten Vermögensansprüche wachsen mit jährlich rund 180 Milliarden vier- bis fünfmal schneller als das reale Kapital und gut 12-mal so schnell wie die nominellen Lohneinkommen.

Das heisst erstens: Mit Spekulationen auf den Finanzmärkten kann man viel mehr «verdienen» als mit Arbeit. Dies erst recht, wenn man die Kursschwankungen betrachtet. Allein die inzwischen üblichen Wertsteigerungen der Immobilien von 3,5 Prozent jährlich schaffen gleich viel Einkommen wie drei Monate Arbeit der rund fünf Millionen Beschäftigten.

Zweitens: Die Besitzenden sind nicht dumm. Sie wissen, dass ihre im Wesentlichen gegen die Armen und gegen den Staat gerichteten Finanzansprüche nur so lange als nachhaltig erscheinen, als sie nicht im grossen Stil angemeldet werden. Wer Aktion oder auch Immobilien besitzt, muss damit rechnen, dass diese in der nächsten Finanzkrise entwertet werden. Ergo erscheint es als lohendes Geschäft, den Reichen «krisensichere» Kryptowährungen zur Absicherung ihrer Ansprüche anzudienen. Das Argument verfängt offenbar, denn aktuell sind gut 10’000 Kryptowährungen im Marktwert von gut 3000 Milliarden Euro im Umlauf.

Verschwendung von Arbeitskraft

Beides zusammen führt dazu, dass immer mehr Zeit und Arbeitskraft dafür verschwendet wird, neue Finanzinstrumente zu erfinden und an den Finanzmärkten zu spekulieren. Das Internet ist voll von «Finfluencern», die nichts anderes tun, als verängstigten Klein- und zuweilen auch Grossanlegern die sichere Anlagestrategie zu empfehlen, und die offenbar – siehe den Lamborghini, in dem sie sich fläzen – gut davon leben. Wie viel von unserem BIP damit verschwendet wird, ist schwer abzuschätzen, aber wir können das Problem mit einer kleinen Anekdote illustrieren:

Im noblen Suvretta-Hotel in St. Moritz (die Suite ab 1500 Franken) fand neulich ein Treffen von 250 «Krypto-Unternehmern» statt. Laut «Blick» verfügten diese über ein durchschnittliches Vermögen von 30 Millionen Franken, und sie zahlten für das fünftägige Seminar 11’900 Franken Sie gaben in dieser Zeit laut Veranstalter insgesamt 4,5 Millionen Franken oder 18’000 Franken pro Kopf aus.

Der Veranstalter spricht von «Nettowertschöpfung», so als kämen diese Ausgaben der Allgemeinheit zugute. Die beiden «Blick»-Reporter haben im Nobelhotel offenbar eine helle Zukunft gesehen: Sie reden von «Finanzunternehmern», von einem «hochkarätigen» Teilnehmerfeld, von einer «geballten Ansammlung von Kompetenz», die es ermöglichen, an Informationen zu kommen, «die nicht öffentlich zugänglich sind».

Besonders beeindruckt hat sie offenbar ein junger Engländer, der sein Physik-Studium geschmissen hat, nachdem er am eigenen Konto erfahren hatte, dass man mit Spekulieren statt Studieren viel schneller reich wird.

Das ist vielleicht der grösste Schaden, den die chronische Finanzkrise verursacht hat: die Umkehr der Werte: Wer heute vorankommen will, «weiss», dass der Königsweg zum Reichtum die Finanzspekulation ist – und wird von den Medien in diesem Irrglauben bestärkt.

Da hilft wohl nur noch die nächste akute Finanzkrise.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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5 Meinungen

  • am 16.02.2025 um 18:50 Uhr
    Permalink

    Sehr interessante Aussage im Artikel: «Beide, die akute und die chronische Finanzkrise, haben eine gemeinsame Ursache: die einseitige Einkommensverteilung und den damit verbundenen chronischen Sparüberhang, der zu einer Anhäufung von Guthaben führt, die wiederum zu Blasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten verursacht.» Das heisst wohl, der Staat muss dafür sorgen, dass kein «Sparüberhang, der zu einer Anhäufung von Guthaben» führt möglich ist. Das hätte wohl zur Folge, dass die Investmentbanker und sonstige Finanzgambler keine Spielkohle mehr hätten zum verzocken. Mit dem Erfolg, dass «chronische Finanzkrisen» nicht mehr möglich sein könnten. Die Frage ist wohl, wer hat die grössere Macht die Kohle unter Kontrolle zu bringen der Staat oder die Gross-Finanzzocker?
    Gunther Kropp, Basel

  • am 17.02.2025 um 07:57 Uhr
    Permalink

    Wenn man schon einen solchen Artikel schreibt, müsste der Autor dem Geld-, Finanz- und Wirtschaftssystem auf den Grund gehen und nicht nur bei der ungleichen Vermögensverteilung Halt machen.

    Was ist der Grund für die ungleiche Vermögensverteilung?

    Der Grund ist das von wenigen Bankiers geschaffene globale Fiatgeld-System!

    Informieren Sie sich darüber, z.B. anhand der Bücher
    – Die Humanen Marktwirtschaft von Peter Haisenko
    – Die Rothschilds von Tilman Knechtel

  • am 17.02.2025 um 09:34 Uhr
    Permalink

    Die Analyse von Werner Vontobel stimmt mit den Erfahrungen von Gary Stevenson überein, einem ehemaligen britischen Währungstrader aus einfachen Verhältnissen, der merkte, dass die Wirtschaft trotz der optimistischen Voraussagen der namhaften Ökonomen sich nach der Pandemie nicht erholte aufgrund der konstanten Umverteilung von unten nach oben. Das viele Geld, das die Superreichen verdienen, stecken sie direkt oder indirekt in «Assets» (Immobilien, Wasserwerke, etc.), welche die Bürger ohne Assets für ihr tägliches Leben zurückkaufen müssen. Die Staaten (= eigentlich die Hüter der kollektiven Assets) verschulden sich immer weiter bzw. verkaufen Assets und werden handlungsunfähig. Stevensons Buch (The Trading Game) ist sehr lesenswert und sein Youtube-Kanal lehrreich. Sein Credo: Asset Holders eines Landes müssen zur Kasse gebeten werden, so ist auch das Damoklesschwert der Steuerflucht weg.

  • am 17.02.2025 um 14:34 Uhr
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    Natürlich muss man fair bleiben: Nicht alle Vermögen wachsen exponentiell. Es gibt ja mittlerweile eine breite Schicht von Kleinanlegern, die mit ETFs, Aktien oder vielleicht sogar ein paar Bitcoin versuchen, ihr Erspartes vor der schleichenden Enteignung durch Inflation zu retten. Das ist doch die neue „Finanzdemokratie“, oder?

    Eigentlich genial: Während die ganz Großen mit Hochfrequenzhandel, Schattenbanken und steueroptimierten Offshore-Konstruktionen Milliarden verschieben, darf der kleine Mann auch mitspielen – mit ein paar Hundert oder Tausend Euro. So fühlt sich jeder wie ein kleiner Warren Buffett, während er seine Fonds-Renditen im Promillebereich optimiert.

    Doch in Wahrheit übernimmt diese neue Kleinanleger-Klasse eine entscheidende Funktion: Sie stabilisiert das System, indem sie die Illusion der Teilhabe aufrechterhält. Wer investiert, fühlt sich ja nicht mehr als Opfer des Systems, sondern als Teil davon – auch wenn die eigentliche Vermögensumverteilung weiterhin nach ob

  • am 17.02.2025 um 16:43 Uhr
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    Es gab keine Fianzkrise, sondern ein Systemkrise.
    Seit der neoliberalen Politik von Ronald Reagan steigt die Produktion weiterhin an, aber die Reallöhne sinken.
    Das führt zur Vergrößerung auf der Angebotsseite, aber Verringerung auf der Nachfrageseite.
    Die US Industrie sorgte dafür das die Banken ausreichend Kredite an die US bevölkerung gibt, wohlwissend das diese nicht zurückgezahlt werden.
    Diese antargonistische Widerspruch entlädt sich in immer heftigeren Krisen.

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