Bezahlbares Wohnen ist die Aufgabe der Gemeinden
Red. Dies ist der vierte und letzte Teil einer grossen Analyse zur Einwanderung. Teil 1, Teil 2 und Teil 3 erschienen in den vergangenen Wochen.
Einst waren es 100 Prozent, doch noch immer werden über 50 Prozent der Arbeit geldfrei in der Bedarfswirtschaft geleistet. Das ist gut so, denn nichts verloren in der Marktwirtschaft haben etwa die Schaffung von Lebensraum für Kinder und deren Förderung, die Zubereitung von Mahlzeiten am eigenen Herd und vor allem auch das Pflegen von sozialen Kontakten. Einsamkeit ist heute – vor Rauchen und Übergewicht – das weitaus grösste Gesundheitsrisiko. Doch steigende Bodenpreise und die Kommerzialisierung des Wohnens gefährden diese Nahversorgung und führen zu Vereinsamung.
Doch Bedarfswirtschaft braucht gute Rahmenbedingungen. Die Kommunen haben es in der Hand. Mit Hilfe des Baurechts können sie einen sinnvollen öko-sozialen Strukturwandel anstossen. Massgebend ist eine Wohnsituation, die Kontakte sowie den Austausch von Dienstleistungen ermöglicht: Kinder hüten, Werkzeuge ausleihen, beim Einkaufen helfen, der Nachbarin bei einer Reparatur zur Seite stehen, Jass-Abende veranstalten und vieles mehr. All dies gelingt innerhalb von Wohnbaugenossenschaften wesentlich besser als bei kommerziellen Wohnungsanbietern. Wo liegen die Unterschiede?
Kinderlose Doppelverdiener zuoberst auf der Wunschliste
Genossenschaften vergeben den Wohnraum nach Bedarf. Um eine 5-Zimmer-Wohnung zu ergattern, braucht ein Paar mindestens zwei Kinder. Kommerzielle Anbieter richten hingegen ihr Angebot auf eine kaufkräftige Kundschaft aus, kinderlose Doppelverdiener:innen stehen ganz oben auf ihrer Wunschliste. Im Vergleich zu Marktwohnungen kommen Genossenschaftswohnungen im Schnitt mit 14 Prozent weniger Wohnfläche aus – und gar 30 Prozent weniger Fläche als bei Eigentumswohnungen. Der Baulandbedarf von Genossenschaften ist damit um einen Viertel geringer. Der tiefere Flächenverbrauch resultiert auch aus dem Umstand, dass Genossenschafter:innen nach dem Auszug der Kinder leichter eine kleinere Wohnung finden können. Weniger Fläche bedeutet tiefere Wohnkosten; sie sind bei Genossenschaften um rund einen Fünftel tiefer im Vergleich mit den Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt.
53 Prozent aller Marktmieter:innen überlegen sich einen Umzug. Bei den unter 50-Jährigen sind es gar rund 60 Prozent; mit zunehmendem Alter sinkt wohl der Umzugswunsch, liegt aber immer noch bei rund 30 Prozent. Beinahe jede zweite Mietwohnung kommt bereits nach fünf Jahren wieder auf den Wohnungsmarkt. Anders sieht es bei den Genossenschaftswohnungen aus. Bei rund drei Vierteln bleibt die Bewohnerschaft fünf Jahre oder mehr in der selben Wohnung. Noch mehr bleiben am selben Standort wohnhaft. In einer gut durchmischten Siedlung können Kinder wieder so gehütet und erzogen werden, wie das früher üblich war: Teuere Kitas und Nannies werden durch gegenseitige Nachbarschaftsunterstützung ersetzt oder zumindest kostengünstig ergänzt.
Gemeindeland im Baurecht: ein Vorteil
Viele Genossenschaften bauten und bauen auf Land, das ihnen nicht selbst gehört. Es handelt sich um Grundstücke von Gemeinden, die den Genossenschaften im Baurecht für eine bestimmte Zeitdauer überlassen werden. Genossenschaften können so Siedlungen mit markant tieferen Anlagekosten erstellen. Die Gemeinden erhalten nach Fertigstellung der Siedlung einen Baurechtszins von der Genossenschaft. Besitzerin des Grundstücks bleibt die Gemeinde. So kann sie Einfluss nehmen auf die Gestaltung und Nutzung der Siedlung. Mit Baurechtsverträgen werden oft Gemeinnützigkeit und Kostenmieten vorgeschrieben.
Da sich die Gemeinden zinsgünstig verschulden können, sind die Baurechtzinsen für gemeinnützige Genossenschaften in der Regel tief angesetzt. Damit halten die Genossenschaften die Kosten tief und können ihre Wohnungen deutlich günstiger vermieten als kommerzielle Anbieter. So kann bei einer Wohnung im Gesamtwert von 800’000 Franken die monatliche Miete rund 800 Franken tiefer angelegt sein als bei einer vergleichbaren Wohnung zu einer Marktmiete.
Boden ist ein endliches Gut. Daher werden die horrenden Grundstückspreise in absehbarer Zeit kaum mehr günstiger. Darunter leiden nicht nur Wohnungsmietende, sondern auch Gewerbetreibende und die Dienstleistungsbranche – und damit die Versorgung der Schweiz.
Der Siedlungsbau auf Gemeindeeigentum im Baurecht könnte die Grundlage einer Immobilienpolitik sein, die sowohl dem Gewerbe als etwa auch dem Verkaufspersonal, dem Handwerk, den Pflegekräften und der Lehrerschaft bezahlbare Mieten ermöglicht. Das ginge in etwa so: Wenn eine Gemeinde nicht selber grössere Siedlungen baut, kauft sie zumindest Grundstücke oder bestehende Bauten auf, welche sie im Baurecht an gemeinnützige Bauträger abgibt. Dabei wird genügend Raum für das lokale Gewerbe und Dienstleistungen vorgesehen. Die Bauträger erhalten zudem die Auflagen, lokal tätige Bewerber:innen zu bevorzugen und für eine gute soziale Durchmischung zu sorgen. Die Mieten bleiben unter dem Marktwert, wobei gut Betuchte etwas mehr als die Kostenmiete bezahlen. Mit diesen Mehrerlösen wird ein kleiner Teil der Mieten subventioniert.
Entlastet die Strassen
Übrigens entlastet dieses Modell gar die Verkehrswege: 44 Prozent jener Menschen, die in Genossenschaften wohnen, arbeiten schon heute in ihrer Wohngemeinde. Bei Bewohner:innen von Marktwohnungen sind es hingegen nur 30 Prozent und bei den Wohneigentümer:innen gar nur 23 Prozent. Die Restlichen, also die wegen hohen Wohnkosten «Verdrängten», müssen lange Arbeitswege auf sich nehmen; das kostet viel Zeit und Geld – und belastet die Umwelt.
Apropos Umwelt: Ein wichtiges Kriterium für die Baurechtsvergabe muss die Ökologie- und Sozialverträglichkeit sein, dies sind wir unserem Planeten schuldig. Zudem muss das Potenzial der Bedarfswirtschaft voll ausgeschöpft werden. In unserem Buch «Ökonomie der kurzen Wege» haben wir ermittelt, dass ein Paar mit Kindern bei einer gut organisierten Bedarfswirtschaft pro Woche und Elternteil etwa 8 Stunden Erwerbsarbeit und weitere 2 Stunden Arbeitswege einsparen kann. Mit zwei Pensen zu je 50 Prozent bringt man eine 4-köpfige Familie durch und gewinnt erst noch Zeit für unbezahlte Arbeit. Rentner:innen können je nach Eignung gar noch mehr Stunden Freiwilligenarbeit leisten. Dadurch sinkt das Risiko der Vereinsamung ebenso wie zum Beispiel das Bedürfnis, Gemeinschaft auf Kreuzfahrtschiffen zu suchen, die – notabene – gar zu den grössten Umweltsündern gehören.
PS: Noch mehr bauen?
«Damit wird keine einzige Wohnung mehr gebaut.» Dieses Argument des Hauseigentümerverbands ist auch von einigen Leser:innen übernommen worden. Das ist richtig: Mit einem kommunalen Vorkaufsrecht kann zwar immerhin der Anstieg der Mietkosten deutlich gesenkt werden, aber das Wohnungsangebot wird dadurch nicht vergrössert. Doch wer so argumentiert, unterstellt erstens, dass die Bevölkerung weiterwachsen muss, und zweitens, dass wir darüber gar nicht erst diskutieren müssen. Wie wir im ersten Teil der Serie argumentiert haben, beeinträchtigt das anhaltende Bevölkerungswachstum die Kaufkraft und die Lebensqualität einer grossen Mehrheit der Bevölkerung. Zudem schadet die Arbeitsmigration auch den Herkunftsländern. Einverstanden: Eine Abkehr von der gewohnten Wirtschaftspolitik des Standortwettbewerbs birgt Risiken. Aber wir können das Problem auch nicht dadurch lösen, dass wir immer noch mehr, noch höher und noch dichter bauen – und damit die Bodenbesitzer noch reicher und die Mieter noch ärmer machen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Co-Autor des Artikels, Fred Frohofer, ist Vorstandsmitglied des Vereins Neustart Schweiz und der Genossenschaft NeNa1. Diese Genossenschaft will in Zürich eine städtische Siedlung für etwa 500 Menschen bauen.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Liegenschaften Stadt Zürich setzen seit wenigen Jahren bei Vergabe ihrer Wohnungen auf einen sogenannten „Zufallsgenerator“ und machen damit jedes Gemeinschaftsgefühl eines Quartiers kaputt! Die Ideologie dazu lautet „Diversität und Durchmischung“. Die früheren Zuständigen von Liegenschaften Stadt Zürich kannten die Menschen eines Quartiers, und wussten einigermassen, wer mit wem zusammenpasst. Das ergab eine Art von Gemeinschaftsgefühl, anstatt die heute übliche Anonymität.
Mehr Zuwanderung, mehr bauen. Verdichten bis zur Sardinenbüchse. Dabei spricht man von Geburtenrückgang – wo, und wo nicht? – und Überalterung. Die Erde hatte noch nie solch enorme Bevölkerungszahlen.