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Eine Fehlgeburt ist für die meisten Frauen eine grosse Belastung. In den USA kommt für einige noch die Angst dazu, deshalb zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. © Thirdman/Pexels

USA: Schwanger – und mit einem Bein im Gefängnis

Daniela Gschweng /  Seit in einigen US-Bundesstaaten strenge Abtreibungsgesetze gelten, wurden mehrere Frauen nach Fehlgeburten angeklagt.

Langjährige Gefängnisstrafen wegen Fehlgeburten – das glaubt man nur von streng religiösen Ländern wie El Salvador zu kennen. Dort müssen Ärzte jeden Verdacht auf Abtreibung melden. Tatsächlich werden aber auch in den USA Frauen deshalb verurteilt und eingesperrt. Besonders, seit etliche Bundesstaaten das Abtreibungsrecht verschärft haben. Für die Anklage genutzt werden dabei oft Gesetze, die sich gar nicht auf Abtreibung beziehen.

Ein Beispiel: Im März 2023 hatte Amari Marsh eine Fehlgeburt. Dass sie schwanger war, hatte die Studentin aus South Carolina erst kurz zuvor erfahren. Ein Schwangerschaftstest war Ende 2022 zwar positiv ausgefallen, Marsh hatte jedoch weiter Regelblutungen. Wegen starker Bauchkrämpfe suchte sie im März 2023 ein Spital auf, das die Schwangerschaft feststellte. Am Abend zuhause kamen die Krämpfe wieder und sie hatte einen Abort. So beschreibt es unter anderen das Magazin «Mother Jones».

Festnahme und Hausarrest

Für eine 22-jährige Studentin ist das bereits eine Menge, die es zu verdauen gilt. Was dann passierte, erst recht: Marsh wurde festgenommen, verbrachte drei Wochen im Gefängnis, 13 Monate in Hausarrest und wurde wegen Kindsmisshandlung angeklagt. Mögliches Strafmass: 20 Jahre bis lebenslang. Erst im August wurde sie freigesprochen und hatte dabei noch Glück.

Im März 2023 galt noch eine 20-Wochen-Frist für den Abbruch einer Schwangerschaft. Seit August 2023 bestraft South Carolina jeden Abbruch einer Schwangerschaft ab dem Zeitpunkt, an dem Herztöne des Embryos festgestellt werden. Das ist etwa ab der sechsten Schwangerschaftswoche.

Das Urteil, das nur «Dobbs» genannt wird und ein anderes namens «Roe» ersetzte

Die Neuregelung geht zurück auf eine Entscheidung des obersten US-Gerichtshofs im Juni 2022, die das bis dahin gültige Recht auf Abtreibung einschränkte. Dieses Recht basierte nicht auf einem Gesetz, sondern auf zwei Grundsatzentscheiden der obersten US-Gerichtsbarkeit. Das bekanntere Urteil ist «Roe v. Wade» von 1973, in dem der Oberste Gerichtshof feststellte, dass jede Frau in den USA ein Recht auf Abtreibung hat.

Es galt wie gesagt bis zum Juni 2022. Dann entschied das Supreme Court erneut. Und zwar, dass die US-Verfassung doch kein Recht auf Abtreibung beinhalte. Jeder US-Staat dürfe die Regeln zu Abtreibungen in Zukunft selbst festlegen. Das Gericht kippte mit diesem Urteil in der Sache Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization das vorhergehende Urteil Roe v. Wade. Die USA traten «mit Dobbs in eine neue Ära» ein. So formulierten es viele Medien, Frauenrechtsgruppen und NGOs.

Mindestens 14 US-Staaten erliessen nach dem Urteil Abtreibungsverbote, die in einigen Fällen auch Schwangerschaften durch Inzest und Vergewaltigungen einschliessen. Auch die Mitwisserschaft über eine Abtreibung wurde strafbar.

Die Kriminalisierung der Schwangerschaft

Viele Frauenrechtsorganisationen befürchteten eine drastische Verschlechterung der Versorgungslage schwangerer Frauen, insbesondere marginalisierter und armer Frauen und solcher mit Problemschwangerschaften.

Sie behielten Recht. Es kam zu vermeidbaren Todesfällen, weil Frauen eine Prozedur verweigert wurde, die bis dahin Routine gewesen war. Einige Frauen wurden nicht behandelt, weil Ärztinnen und Ärzte Angst hatten, sich unter den neuen Gesetzen strafbar zu machen. Abtreibungstourismus aus US-Staaten mit Verboten in solche, in denen Abtreibungen weiterhin legal sind, sei häufig, berichtete die «New York Times» im Juni.

Die Gesetzesänderung hatte noch andere Folgen: Das verfrühte Ende einer Schwangerschaft wurde generell verdächtig. Laut der Organisation Pregnancy Justice wurden in dem Jahr nach dem normalerweise nur «Dobbs» genannten Supreme-Court-Urteil etliche Frauen in den USA wegen Fehl-, Früh- und Totgeburten angeklagt.

Vorbestraft wegen Fehlgeburt?

Auch, wenn selten darüber gesprochen wird: Fehlgeburten sind häufig. Etwa jede sechste Schwangerschaft endet damit, das zeigen Statistiken in den USA wie in Europa. Die meisten Fehlgeburten geschehen vor der 10. Schwangerschaftswoche. Oft bemerkt die schwangere Frau gar nicht, dass sie schwanger ist. Sie hält den Abort für eine verspätete Regelblutung.

Zu Fehlgeburten kann es zum Beispiel kommen, wenn der Embryo genetische Schäden hat. Die Gesundheit der Mutter oder Probleme beim Einnisten des befruchteten Eis können eine Rolle spielen. Im Einzelfall ist die Ursache oft nicht feststellbar. Eine Fehlgeburt ist für Frauen oft eine grosse psychische Belastung.

Seit der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Abtreibungsrecht geändert hat, häufen sich die Verdachts- und Rechtsfälle. Auch solche, die sich gar nicht explizit auf den absichtlichen Abbruch einer Schwangerschaft beziehen. Polizei, Behörden und Ankläger scheuen auch nicht davor zurück, Gesetze anzuwenden, die für andere Tatbestände gedacht sind.

«Leichenschändung», weil sie die Spülung zog

Im Januar berichtete der «Guardian» von einer Frau aus Ohio, die 2023 eine Fehlgeburt auf der Toilette gehabt hatte – der wohl häufigste Ort, an dem Fehlgeburten geschehen. Brittany Watts war in der 21. Woche schwanger gewesen, ihre Fruchtblase war einige Tage zuvor geplatzt. Zu früh für ein gesundes Kind, sagten die Ärzte im Spital. Eine Abtreibung, vor «Dobbs» die Standardprozedur in solchen Fällen, kam wegen des Verbots zunächst nicht in Frage. Watts zog die Spülung, wie etliche Frauen vor ihr. Auf weitere blutige Details verzichten wir hier.

Ein Fehler, jedenfalls. Die Anklage lautete auf «Leichenschändung» (Abuse of a Corpse), was mit einem Jahr Gefängnis bestraft wird. Was praktisch absurd erscheint, ist juristisch logisch: Wenn ein Embryo eine Person ist, muss er von Gesetzes wegen bestattet werden. Das Geschworenengericht lehnte es ab, über den Fall zu urteilen. Die Anklage wurde fallengelassen.

Auch früher schon fragwürdige Anklagen

Fragwürdige Anklagen gab es auch schon vor «Dobbs». Zwischen 1973 und Juni 2022 wurden 1800 Personen wegen «Schwangerschaftsverbrechen» angeklagt, hat die Organisation Pregnancy Justice dokumentiert.

Die Kalifornierin Adora Perez bekannte sich beispielsweise nach einer Fehlgeburt 2017 des Totschlags schuldig, weil sie während der Schwangerschaft Drogen konsumiert hatte. Sie tat das, um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen, und wurde zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde 2022 aufgehoben.

Grundlage für die Verurteilung war ein Gesetz, das es Gerichten ermöglichen sollte, Personen zu verfolgen, die Schwangeren bewusst schaden. Ein solches Gesetz gibt es laut BBC in 38 US-Staaten.

Verurteilt wird auch auf Verdacht

Die 21-jährige Brittney Poolaw, über die unter anderen CBS berichtete, war in der 16. oder 17. Woche der Schwangerschaft, als sie 2020 in Oklahoma ihr Kind verlor. Die Autopsie fand keine Todesursache für den Fötus, merkte aber an, dass eine genetische Anomalie, eine Plazentaablösung oder der Methamphetamin-Konsum der Mutter dazu beigetragen haben könnte. Poolaw wurde wegen Totschlags zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie mit ihrem Drogenkonsum den Fötus gefährdet haben könnte.

Bestraft wurden Frauen schon vor «Dobbs» sogar dann, wenn sie ein Kind verloren, weil sie gestürzt waren oder auf sie geschossen worden war.

Steiler Anstieg der «Schwangerschaftskriminalität» nach Dobbs

Im Jahr nach dem Dobbs-Gerichtsurteil wurde in mindestens 210 Fällen von «Schwangerschafts-Kriminalität» eine einzige Frau tatsächlich wegen Abtreibung verurteilt. Nur «eine Handvoll» Anklagen stützten sich auf «Abtreibung». Allein 200 Personen wurden nach einem Report von Pregnancy Justice wegen Drogenmissbrauchs in der Schwangerschaft angeklagt. Die Autorinnen gehen davon aus, dass es mehr Fälle gibt und sie nicht alle Fälle erfassen konnten.

Die Hälfte der von Pregnancy Justice dokumentierten Fälle geschahen in Alabama, gefolgt von Oklahoma und South Carolina. Alle drei Staaten haben strenge Abtreibungs-Gesetze.

Das «Fehlverhalten» einer Frau genügt, um sie ins Gefängnis zu bringen

«In den meisten Fällen wissen wir nicht, warum eine Schwangerschaft endete oder ein Kind gestorben ist», sagte Wendy Bach, Co-Autorin der Studie und Rechtsprofessorin an der University of Tennessee Knoxville gegenüber «Mother Jones». «Aber in dieser Post-Dobbs-Ära ist der Verlust einer Schwangerschaft extrem verdächtig. Er kann zu strafrechtlichen Ermittlungen, Strafanzeigen, Inhaftierung und der Trennung von Familien führen.»

In 90 Prozent der Fälle sei es nicht nötig gewesen, zu beweisen, dass der Fötus durch das Verhalten der Schwangeren tatsächlich geschädigt wurde. Das Fehlverhalten der Frau war Beweis genug. Vorzuwerfen war ihr also, dass sie den Fötus einem Risiko ausgesetzt hatte, auch wenn kein nachweisbarer Schaden entstand. Eine Rechtsauffassung, die nach Ansicht von Pregnancy Justice mehreren Klauseln im 14. Verfassungszusatz der USA widerspricht. 

«Entbindung in gefährlicher Umgebung»

In 15 Fällen bestand das Risiko darin, dass die Schwangere keine Schwangerschaftsvorsorge in Anspruch genommen hatte, dass sie während oder nach der Geburt auf Hilfe verzichtete oder dass sie zu Hause geboren hatte. Der entsprechende Tatbestand: «Entbindung in gefährlicher Umgebung.»

«Das ist beunruhigend», sagte Bach zu «Mother Jones».

Die meisten Fälle gingen auf Hinweise von Gesundheitspersonal zurück. In Staaten, in denen Cannabis-Konsum legal ist, wurden Kinder dennoch in Pflegefamilien gegeben, wenn bei der Mutter Hinweise darauf gefunden wurden. Drogentests bei Mutter und Kind während der Schwangerschaft und Geburt ohne Wissen und Zustimmung der Mutter seien häufig, sagt Bach.

Potenziell lebensgefährlich

Es ist schwer, solche Zustände nicht als umfassende Kontrolle jeder Schwangerschaft – oder besser: jeder schwangeren Frau – zu sehen. In der Perspektive rückt der Fötus ins Zentrum. Die Schwangere, die immerhin ein möglicherweise tödliches Risiko eingeht, rückt an den Rand. Nicht einmal für sich behalten darf sie, dass sie schwanger ist. Das wäre verdächtig.

Frauen, die sich in diesem Umfeld vor einer Verurteilung schützen möchten, sollten folglich wohl besser keine Software verwenden, die ihren Zyklus trackt, nicht zum Arzt gehen, wenn es nicht unbedingt nötig ist, niemanden informieren und eine Fehlgeburt nach Möglichkeit allein durchstehen – ein potenziell lebensgefährliches Verhalten.


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2 Meinungen

  • am 22.10.2024 um 16:08 Uhr
    Permalink

    Seltsam dass das Thema Abtreibung bei sogenannten Lebenschützern und allerlei Neo-Religiösen immer den Hut explodieren lässt, während die ständig um uns herum geschehende Tötung von bereits geborenen Menschen, sei es durch kriminelle Gewalt, durch Kriege, durch Hunger und Armut, durch Umweltgifte, keinen dieser Moralapostel hinterm Ofen hervorlockt. Das gewichtigste Argument für die Legalisierung der Abtreibung war und ist, dass es eine Rechtsabwägung gibt, die die Gefahren illegaler Abtreibungen – die zweifelsohne bei einem Wegfall legaler Möglichkeit wieder en masse durchgeführt werden – gegen die Tötung ungeborenen Lebens innerhalb einer engen Frist wiegt. Dieses ist juristisch und aus Sicht der Legislative gesehen das geringere Übel. Deswegen wurden ab den 50iger Jahren entsprechende Legalisierungen auf gesetzlichem Wege durchgeführt. Es ist also im Kern nicht unbedingt eine religiöse oder moralische Frage, sondern eine Rechtsgüterabwägung des modernen Rechtsstaats.

  • am 24.10.2024 um 14:07 Uhr
    Permalink

    Die USA bewegt sich in’s letzte Jahrhundert.

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