Flagge Südafrika Spritze Impfung

Immerhin herrscht in Südafrika nun Transparenz – im Gegensatz zur EU. Hier weigert sich die EU-Kommission weiterhin, die SMS zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem Pfizer-Chef Bourla herauszugeben. © alexandersr / Deposiphotos

Wie Covid-Impfstoffhersteller Südafrika knebelten

Josef Estermann /  Freigeklagte Dokumente zeigen, wie gnadenlos die Pharmafirmen Bedingungen zu ihren Gunsten durchdrückten – auf Kosten Südafrikas.

Das Beschaffungsabkommen zwischen dem Pharmaunternehmen Pfizer und dem südafrikanischen Staat bezüglich des mRNA-Covid-Impfstoffs beweist in aller Deutlichkeit die absolute Kontrolle des Pharmariesen. Vier Punkte waren entscheidend:

  1. Pfizer entband sich selbst von der Verantwortung für die fristgerechte Lieferung.
    Selbst wenn Südafrika die Impfdosen bereits bezahlt hatte, lehnte Pfizer alle Bedingungen kategorisch ab, die es für verspätete oder fehlgeschlagene Lieferungen zur Verantwortung ziehen würden.
  2. Umfassende Verpflichtungen zur Entschädigung von Pfizer.
    Das Unternehmen zwang Südafrika, eine unangemessen weite Entschädigungsverpflichtung zu unterzeichnen, die sogar im Falle von Fehlverhalten und Verlusten in den frühesten Phasen der Impfstoffentwicklung den Abnehmer zu Kompensationszahlungen verpflichtet hätte, obwohl dieser nichts damit zu tun hatte. Südafrika musste zu diesem Zweck einen «Entschädigungsfonds» einrichten.
  3. Vertraulichkeitsbestimmungen, die eine (kritische) Reaktion seitens der Bevölkerung unmöglich machten.
    Pfizer lehnte Bestimmungen ab, die die Offenlegung vertraulicher Informationen in Notfällen und zur Stärkung von Transparenz und Vertrauen in das Impfprogramm erlaubt hätten.
  4. Der «Würgegriff» von Pfizer bei der Lieferung der Impfstoffe.
    Südafrika sollte daran gehindert werden, den Impfstoff von anderen Anbietern zu beziehen oder ihn anderen Ländern zu spenden oder weiterzuverkaufen.

Freigeklagte Dokumente sprechen Klartext

Dies sind nur einige der wichtigsten Erkenntnisse aus den von der Health Justice Initiative (HJI) freigeklagten Dokumenten zum «Deal» zwischen Covid-19-Impfstoffanbietern und der südafrikanischen Regierung. Anfangs 2022 hatte die HJI bei der südafrikanischen nationalen Gesundheitsbehörde (National Department of Health, NDoH) die Herausgabe von allen Covid-19-Impfstoffbeschaffungsverträgen, Absichtserklärungen und Vereinbarungen («Teil 1») gerichtlich beantragt. Die HJI verlangte auch, dass alle Ergebnisse und/oder Protokolle der Covid-19-Impfstoffverhandlungen und der Schriftverkehr zwischen Behördenvertretern und Pharmafirmen («Teil 2») offengelegt werden. Am 17. August 2023 wurde dem Begehren stattgegeben, und bis Ende November 2023 wurden der HJI die Kopien aller erwähnten Dokumente übergeben.

Ähnliche Begehren, Dokumente zu den Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und den wichtigsten Impfstoffanbietern freizuklagen, sind bis heute immer wieder torpediert worden. Es wird vermutet, dass die Bedingungen der Pharmaunternehmen ähnlich skandalös sind wie im Fall von Südafrika, auch wenn einiges darauf hinweist, dass die Länder des globalen Südens von den Pharmaunternehmen viel stärker unter Druck gesetzt worden sind, weil sie sich aufgrund ihrer Ohnmachtsposition kaum wehren konnten.

Die folgenden Einsichten stammen aus den von der HJI, dem O’Neill Institute und Public Citizen kürzlich herausgegebenen Analysen der freigeklagten Dokumente. Eine weitere Quelle ist der Pharma-Brief.

«Vertraulichkeitsvereinbarungen» zum Nachteil Südafrikas

Der Multistakeholder-Bericht 2023 von HJI hält fest, dass die Bedingungen der Verträge zur Impfstoffbeschaffung überwiegend einseitig seien. Die Verträge hätten multinationale Pharmakonzerne begünstigt, so dass die Regierungen des globalen Südens und damit die Menschen in diesen Ländern mit ungewöhnlich hohen Forderungen und Bedingungen konfrontiert wurden. Diese beinhalten mangelnde Transparenz und sehr geringe Druckmittel gegen verspätete oder ausbleibende Lieferungen oder überhöhte Preise, die zu grober Profitmacherei führten. 

Das Ausmass der für die Pharmabranche sehr vorteilhaften Verträge inmitten der Pandemie wird noch deutlicher, wenn man sich die zweite Veröffentlichung von Dokumenten («Teil 2») ansieht, die Entwürfe für die Verträge sowie Änderungsvorschläge und Kommentare von Beamten des südafrikanischen Gesundheitsministeriums enthält. Mit Moderna hat Südafrika zwar Verhandlungen geführt, aber nie Impfstoffe bezogen; mit Pfizer dagegen schon. Für beide wurde eine «Vertraulichkeitsvereinbarung» ausgehandelt. 

Diese sah mehrere einschneidende Punkte vor, die zum Nachteil von Südafrika gereichten (oder im Fall von Moderna gereicht hätten):

  • Verbot der Verwendung vertraulicher Informationen in Gerichts- oder Patentverfahren gegen das Pharmaunternehmen.
  • Fünfzehnjähriges Verbot, vertrauliche Informationen offenzulegen; im Fall von Pfizer zehnjährig (aber im Fall von «Geschäftsgeheimnissen» unbegrenzt).
  • Die Vertraulichkeitsvereinbarung selbst wurde von Moderna als vertrauliche Information eingestuft (und damit die gesamte Korrespondenz zwischen Pharmaunternehmen und der südafrikanischen Gesundheitsbehörde). Es war den Behörden also verboten, überhaupt zu erwähnen, dass es eine Vertraulichkeitsvereinbarung gab. 
  • Im Falle juristischer Auseinandersetzungen bestand Moderna auf einer einseitigen Schiedsgerichtsbarkeit für alle Streitigkeiten in New York gemäss den Gesetzen des Staates New York. Moderna seinerseits verlangte für sich aber, im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung einen Gerichtsort seiner Wahl bestimmen zu dürfen. Es ist leicht auszumalen, dass findige Anwälte in einem solchen Fall ein Gericht wählen würden, das den Interessen der Firma gewogen ist. Laut dem Pharma-Brief seien die Verträge mit allen Covid-Impfstoffherstellern, darunter auch Johnson&Johnson, nicht nach südafrikanischem Recht abgeschlossen worden.
  • Im Falle von Moderna sollte Südafrika vollständig selbst für die Lieferung der Impfstoffe von den Produktionsstandorten in der EU und in der Schweiz bis vor Ort verantwortlich sein. «Ausser im Falle eines vorsätzlichen Fehlverhaltens der Moderna-Parteien wäre Südafrika verpflichtet gewesen, Moderna und alle Parteien in der Lieferkette von Moderna für Verluste, Schäden usw. im Zusammenhang mit der Herstellung, Erprobung, Forschung, Entwicklung, Lieferung, dem Vertrieb, der Verwaltung, dem Verkaufsangebot, dem Verkauf, der Einfuhr, der Ausfuhr oder der Verwendung des Produkts zu entschädigen», schreibt die HJI.
  • Südafrika wäre auch verpflichtet gewesen, Versuchspersonen in klinischen Tests von Moderna in Südafrika zu entschädigen, falls sie Schaden genommen hätten.
  • Pfizer habe eine ähnlich weitreichende Entschädigungsverpflichtung von Südafrika verlangt und nicht einmal vorsätzliches Fehlverhalten des Unternehmens davon ausgenommen, berichtet die HJI. 

Wie der Report von HJI festhält, «scheint Moderna den aggressivsten Ansatz gewählt zu haben, um eine mögliche Lieferung von Covid-19-Impfstoffen nach Südafrika vor der öffentlichen Rechenschaftspflicht zu schützen». Die Lieferbedingungen, die Moderna Südafrika auferlegen wollte, waren somit die einseitigsten aller vier Hersteller (Moderna, Pfizer, Janssen/Johnson&Johnson, Serum-Institut von Indien). Dies war möglicherweise der entscheidende Grund, dass Südafrika nicht mit Moderna, sondern mit Pfizer Verträge zur Impfstofflieferung abschloss. Aber auch diese sind alles andere als ausgewogen und fair.

Von Südafrika mehr Geld verlangt als von der EU

Im zweiten Quartal 2021 verlangte Moderna 42 US-Dollar pro Impfdosis von Südafrika, im vierten Quartal hätte die Firma 28,50 US-Dollar wollen – ungeheuerliche Summen, verglichen mit sonst üblichen Preisen für Impfstoffe in Afrika. 

Pfizer und Janssen/Johnson&Johnson waren in dieser Hinsicht «entgegenkommender»: Sie verkauften Südafrika eine Impfdosis für 10 US-Dollar – ein Drittel mehr, als der Afrikanischen Union in Rechnung gestellt wurde. Zum Vergleich: Das Serum-Institut von Indien verlangte für den von ihm hergestellten AstraZeneca-Impfstoff von Südafrika 5,35 US-Dollar pro Impfdosis. In der EU sei dieser Impfstoff für rund ein Drittel dieses Preises verkauft worden, berichtete der Pharma-Brief.

Janssen/Johnson&Johnson wollte laut dem Pharma-Brief vertragsgemäss «15 Prozent mehr von Südafrika als von der EU und bestand auf einer nicht erstattungsfähigen Vorauszahlung von 27,5 Millionen US-Dollar. Die Firma haftete nicht für Verspätungen oder den gänzlichen Ausfall von Lieferungen. Im Gegenteil, es gab sogar eine Klausel, die es der Firma erlaubte, in Südafrika abgefüllte Dosen zu exportieren. Das geschah dann während der dritten Covid-Welle im Lande auch tatsächlich. Gleichzeitig durfte die Regierung selbst weder Exporte verbieten noch ohne Zustimmung der Firma Impfstoffe an andere Länder abgeben.»

Pfizer bestand auf einer Vorauszahlung von 20 Prozent für die rund 20 Millionen von Südafrika bestellten Impfdosen. Hätte der Pharmariese nicht geliefert, dann hätte er lediglich die Hälfte der im Voraus bezahlten Summe an Südafrika retournieren müssen. Selbst für bereits bezahlte Impfdosen hätte Südafrika das Unternehmen nicht zur Verantwortung ziehen können. So berichtete es die HJI. Als Südafrika den Vertrag mit Pfizer abschloss, war das Land in der Zwickmühle. Denn es hatte «praktisch keine Impfstoffe für die Bevölkerung», sagte der kanadische Professor Mathew Herder gegenüber dem Pharma-Brief.

Südafrika wehrte sich vergebens

Die Freigabe der Verhandlungstexte («Teil 2») zeigt, dass die südafrikanische Gesundheitsbehörde versuchte, mit eigenen Bestimmungen die uneingeschränkte Macht und Kontrolle, die Pfizer über die Liefervereinbarung ausüben wollte, abzuschwächen. Dies war allerdings angesichts des ungeheuren Drucks seitens des Pharmaunternehmens weitgehend erfolglos. 

Die Behördenvertreter versuchten beispielsweise zu erwirken, dass Südafrika keine Entschädigungen zahlen müsse, falls Pfizer sich bei der Impfstoff-Produktion nicht an die Regeln der guten Herstellungspraxis (englisch abgekürzt GMP) hielte oder vorsätzlich Fehler begehe. Doch nicht einmal in diesen Punkten war die Pharmafirma zu Zugeständnissen bereit. Stattdessen wälzte sie auch diese Verantwortung auf den Kunden ab.

Zu den von Südafrika eingebrachten und von Pfizer ausnahmslos und kategorisch zurückgewiesenen Bestimmungen und Änderungsvorschlägen gehörten laut HJI:

«1. Kritische Haftungsbestimmungen, um sicherzustellen, dass Pfizer seine Verpflichtungen zur Lieferung von Dosen erfüllt.

2. Transparenz und Flexibilität bei der Offenlegung vertraulicher Informationen in Notfällen.

3. Gerechtere Entschädigungsbestimmungen, die keinen Blankoscheck für die juristische Immunität von Handlungen ausstellen, die ausschliesslich unter der Kontrolle von Pfizer stehen. 

4. Eine grössere Flexibilität bei der Entgegennahme und Lieferung von Impfstoffen von Pfizer an andere Unternehmen, wodurch gerechtere Preise hätten erzielt und der Nutzen von Impfstoffen verbessert werden können, falls sie in Südafrika nicht mehr wirksam sind.»

«Pfizer schreckte nie davor zurück, seine Macht zum Nachteil Südafrikas auszuüben»

In der vertraglich verbindlichen Beschaffungsvereinbarung setzte sich Pfizer in allen Punkten durch und ignorierte alle Änderungsvorschläge und Eingaben seitens der südafrikanischen Regierung. Für HJI zeigt diese kategorische Ablehnung «die absolute Kontrolle von Pfizer, die das endgültige Beschaffungsabkommen durchzieht».

Die Health Justice Initiative (HJI) dokumentiert die verschiedenen Vertragsentwürfe, die Eingaben und Änderungsvorschläge der südafrikanischen Regierung und die kompromisslose Durchsetzung der eigenen Bestimmungen seitens Pfizer und kommt zum Schluss: «Die Gesamtheit des endgültigen Abkommens und der Verhandlungstexte zeigt, dass Pfizer fast nie davor zurückschreckte, seine Macht zum Nachteil Südafrikas auszuüben.»

Südafrika ist nicht das einzige Land, dem die mRNA-Hersteller die Bedingungen diktierten. Der Pharma-Brief berichtete von ganz ähnlichen Forderungen Pfizers gegenüber lateinamerikanischen Ländern.

Intransparente Verträge ermöglichten die Milliardengewinne

Auf die Frage, ob Südafrika erpresst wurde, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums Foster Mohale der britischen Ärztezeitung «BMJ», dass die Covid-Verträge zahlreiche Klauseln enthielten, die seine Regierung in anderen Impfstoffverträgen normalerweise nicht akzeptierte. «Ohne Zweifel hatten Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf der ganzen Welt – einschliesslich Südafrika – begrenzte Verhandlungsmacht, um sich Impfstoffdosen zu sichern und den Preis von Impfstoffen auszuhandeln. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einschliesslich der begrenzten Anzahl von Herstellern, dem Horten von Impfstoff und dem Nationalismus von Ländern mit hohem und hohem mittlerem Einkommen. […] Die ungleiche Verteilung von Impfstoffen hat zweifellos zu Todesfällen beigetragen, die hätten verhindert werden können. Angesichts der damaligen Ungewissheit traf die südafrikanische Regierung eine schwierige Entscheidung und priorisierte die Rettung des Lebens der Bürger und Bürgerinnen.»

Der Pharma-Brief bilanzierte: «Letztlich ermöglichten erst intransparente Verträge die unfassbaren Milliarden­gewinne, die die Impfstoffhersteller einfuhren. Denn wären die unvorteilhaften Konditionen frühzeitig bekannt geworden, ist schwer vorstellbar, dass solche Vereinbarungen öffentliche Akzeptanz gefunden hätten.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Übersetzungen teilweise mit Hilfe von deepl.com.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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