Jens Stoltenberg

Nato Generalsekretär Jens Stoltenberg an einer Medienkonferenz am Hauptsitz der Nato in Brüssel. © Ale_Mi / Depositphotos

Mangelnde Aufsicht bei der Nato nützt Rüstungskonzernen

Klaus Mendler / Martina Frei /  Die Nato foutiert sich um Vorgaben für mehr Transparenz. Sie publiziert keinen jährlichen Finanzbericht wie andere Organisationen.

«Entsetzt» und «empört» zeigten sich deutsche Politiker, als Donald Trump im Februar 2024 den Tarif durchgab: Er würde Nato-Mitgliedern, die ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Militärbündnis nicht erfüllten, keinen Schutz vor Russland gewähren, sagte der US-Präsidentschaftskandidat sinngemäss an einer Wahlkampfveranstaltung.

Wer wie viel zum Nato-Budget beiträgt, ist allerdings nicht klar. Denn mit der Transparenz ist es bei diesem Bündnis nicht so weit her. Das bemängelt der Chefredaktor des Jahrbuchs des «Stockholm International Peace Research Institute» (Sipri) Ian Davis in einem Artikel, in dem er die undurchsichtigen Finanzstrukturen der Nato analysiert. Davis ist Gründungsdirektor von «Natowatch» und arbeitet als unabhängiger Berater im Bereich Rüstungskontrolle und menschliche Sicherheit.

US-Kosten für den Krieg in Afghanistan: 825 oder 2300 Milliarden Dollar?

Bei seiner Recherche fand Davis grosse Diskrepanzen: Laut dem US-Verteidigungsministerium kostete der Krieg in Afghanistan von 2001 bis 2021 die USA 825 Milliarden Dollar, plus 130 Milliarden Dollar für Projekte zum Wiederaufbau.

Laut einer Studie der Brown University gaben die USA jedoch 2,3 Billionen US-Dollar dafür aus, «einschliesslich der Zinsen für die zur Finanzierung des Krieges aufgenommenen Schulden und anderer Ausgaben wie die Versorgung von Veteranen…»

Grossbritannien habe für den Afghanistan-Einsatz – je nach Schätzung – entweder 22 Milliarden britische Pfund ausgegeben oder auch 40 Milliarden. 

Es sei beispielsweise auch schwierig zu ermitteln, was die KFOR-Einsätze der Nato im Kosovo kosten würden, «da die Nato nur selten Gesamtzahlen veröffentlicht und die Kosten auf die beitragenden Länder verteilt werden», so Davis.

Nato kommt der Aufforderung nicht nach

Bereits vor rund zehn Jahren habe die Rechnungsprüfungsstelle der niederländischen Regierung die Nato aufgefordert, mehr finanzielle Transparenz zu schaffen. Auf dem Nato-Gipfel 2014 in Wales wurde das Militärbündnis angewiesen, diesbezüglich für mehr Klarheit zu sorgen und am nächsten Gipfel über die Fortschritte zu berichten, schreibt Davis. 

Doch: «An den nachfolgenden Nato-Gipfeltreffen wurde jedoch kaum oder gar nicht öffentlich über die finanzielle Transparenz berichtet. Das Communiqué nach dem Warschauer Gipfel 2016 bekräftigte die in Wales eingegangene Verpflichtung erneut, aber auf den sechs Gipfeltreffen seither wurden keine Fortschrittsberichte über finanzielle Transparenz und Rechenschaftspflicht vorgelegt. Unzureichend ist auch die Transparenz darüber, wie die Finanzierung für Operationen und Einsätze geregelt ist sowie für die wachsende Zahl gemeinsam finanzierter Ad-hoc-Projekte von ‹Koalitionen der Willigen›. Bei vielen dieser Projekte legen die Teilnehmerstaaten den Bedarf, die Prioritäten und die Finanzierungsmodalitäten fest, und die Nato hat die politische und finanzielle Aufsicht.»

«Hinter verschlossenen Türen entschieden»

Wenig Transparenz und mangelnde Aufsicht könnten einer möglichen Beeinflussung durch den militärisch-industriellen Komplex die Türe öffnen, warnt der Mitarbeiter des Sipri. Er nennt Beispiele: 

Im November 2006 beschloss die Nato, ein Abwehrsystem zum Schutz vor ballistischen Raketen zu entwickeln, gestützt auf eine vierjährige, 10’000 Seiten starke Studie «über die Bedrohung Europas durch Raketen und die Möglichkeiten ihrer Abwehr». Diese Studie sei von der Nato – «das heisst von kanadischen, europäischen und amerikanischen Steuerzahlern» –  finanziert worden. 

Davis fand heraus: «Die als Verschlusssache eingestufte Studie wurde von einem internationalen Industriekonsortium unter der Leitung des US-Unternehmens Science Applications International Corporation (SAIC) durchgeführt, das sich anschliessend erfolgreich um einen Vertrag zur Raketenabwehr im Wert von 75 Millionen Euro bewarb. Der Vertrag mit SAIC wurde auf dem Gipfeltreffen in Riga hinter verschlossenen Türen entschieden, ohne dass die Durchführbarkeitsstudie zuvor von unabhängiger Seite geprüft oder in den Parlamenten der damals 26 Nato-Mitgliedstaaten debattiert wurde.» 

Recht auf Öffentlichkeit? – Nicht bei der Nato

Im Jahr 2010 beschloss die Nato, das «Programm zur aktiven Abwehr ballistischer Flugkörper» auszuweiten. Um dies zu begründen, wurden in den letzten 15 Jahren mehrere Studien gemacht. Das Abwehrprogramm wird unter anderem durch freiwillige Beiträge von Deutschland, den USA, der Türkei und weiteren Ländern finanziert.

Doch auch hier glänzt die Nato nicht mit Transparenz: «Keine der von der Nato finanzierten Durchführbarkeitsstudien, die zur Rechtfertigung des Aufbaus eines territorialen Raketenabwehrsystems herangezogen wurden, sind freigegeben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden», obwohl das Recht auf Zugang zu Informationen ein zentraler Grundsatz in Demokratien sei, so Davis. 

Laut dem Sipri-Mitarbeiter fehlen 

  • grundlegende Informationen über die Organisation der Nato. Man wisse nicht, wer an der Strategieentwicklung beteiligt sei.
  • Informationen über die Arbeit der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppen. Diese Arbeitsgruppen arbeiten die Verpflichtungen aus, welche die Staats- und Regierungschefs an den Gipfeltreffen eingehen.
  • Kontrollen, welche Fortschritte die einzelnen Staaten bei der Umsetzung ihrer Verpflichtungen machen.

Ian Davis verweist auf die in der EU seit 2007 «klar definierten Regeln für den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten» und darauf, dass die Weltbank 2010 eine Offenlegungspolitik eingeführt habe. «Die Nato ist eine der wenigen grossen zwischenstaatlichen Organisationen, die dies nicht getan haben. Auch veröffentlicht die Nato keinen jährlichen Haushalts- oder Finanzbericht, wie es die EU und die Weltbank routinemässig tun.»


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Weiterführende Informationen

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Das Militärbündnis soll vor Angriffen schützen, doch Russland oder China fühlen sich von ihm bedroht.

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