Kommentar

Bundesrat will Öffentlichkeitsgesetz für Medikamente aushebeln

Martin Stoll © zvg

Martin Stoll /  Das Öffentlichkeitsprinzip soll nicht mehr gelten, wenn Pharmafirmen mit dem BAG geheime Preise aushandeln.

Red. Infosperber hat am 28. September darüber berichtet («Fiktive Pillen-Preise: So trickst die Pharmalobby das BAG aus»). Martin Stoll, Geschäftsführer von Öffentlichkeitsgesetz.ch nimmt in einem Gastbeitrag dazu Stellung.

Vereinbarungen zu «Preismodellen» im Krankenversiche­rungs­ge­setz (KVG) sollen künftig vom Öffentlichkeitsgesetz ausgenommen werden. So fordert es der Bundesrat. Diese Zugangsbeschränkung würde das Öffentlichkeitsprinzip empfindlich einschränken.

Der Bundesrat kann Einheiten der Bundesverwaltung vom Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes ausnehmen. Darauf hat er bislang verzichtet. In der Revision des Krankenversicherungsgesetzes sieht die Regierung nun vor, das Öffentlichkeitsprinzip teils ausser Kraft zu setzen.

Konkret soll das Öffentlichkeitsgesetz nicht mehr gelten, wenn es um die Vereinbarung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen geht. Der Bundesrat spricht von «unumgänglichen» Restriktionen zu Ungunsten der Transparenz. Er argumentiert, der Markt sei nicht bereit, hier Transparenz zuzulassen. Es sei nötig, den effektiven Preis, der für ein Arzneimittel bezahlt werden muss, geheim zu halten. Nur so profitiere die Bevölkerung von einem schnellen Zugang zu neuen innovativen Therapien.

Kostentransparenz im Gesundheitswesen ist wichtig

Mit dieser Transparenzeinschränkung widerspricht der Bundesrat der Jurisprudenz, basierend auf Urteilen des Bundesgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts. Diese haben in der Vergangenheit klargestellt, dass sich Unternehmen, welche mit der Öffentlichkeit Geschäfte abschliessen, eine erhöhte Transparenz gefallen lassen müssen. Schliesslich werden Medikamentenpreise zu einem grossen Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die WHO setzen sich konsequent für eine umfassende Verwaltungstransparenz ein.

Dieser Rückschritt in Richtung Geheimhaltungsprinzip ist besonders störend, weil ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Wichtigkeit von Kostentransparenz im Gesundheitswesen besteht. Wird das Öffentlichkeitsprinzip von Fall zu Fall und je nach Interessen beschnitten, wird dieses in Zukunft zur Zielscheibe von Lobbyisten und Interessensvertretern. Das Ziel des Öffentlichkeitsprinzips – das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern zu gewinnen – wäre akut gefährdet. Zudem ist eine öffentliche Kontrolle auch bei der Preisfestsetzung von Medikamenten wichtig.

Privatinteressen können reguliert werden

Zugangsgesuchstellenden, denen es offensichtlich um die Ausforschung der Konkurrenz geht, kann die Verwaltung im Rahmen einer Abwägung von öffentlichen gegenüber privaten Interessen einen Riegel vorschieben. Die im Öffentlichkeitsgesetz vorhandenen Ausnahmebestimmungen genügen vollends, um der Transparenz übergeordnete Interessen zu schützen. Eine gute Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist auch mit den heute geltenden Transparenzregeln sicherzustellen.

Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit auch in Zukunft nachvollziehen kann, wie Medikamentenpreise zustande kommen. Es ist zentral, dass sich die Regierung für den Grundsatz der Transparenz staatlichen Handelns einsetzt. Gerade bei Arzneimittelpreisen ist Transparenz notwendig. Es darf nicht sein, dass sich der Staat zum Komplizen in einem intransparenten Preispoker macht.

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf Öffentlicheitsgesetz.ch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Geschäftsführer von Öffentlichkeitsgesetz.ch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Medikamente_Antibiotika1

Preise von Medikamenten

Medikamente verschlingen jeden vierten Prämienfranken. Warum müssen die Kassen viel mehr zahlen als im Ausland?

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3 Meinungen

  • am 3.10.2022 um 11:53 Uhr
    Permalink

    Einige Departemente unterstützen und bevorzugen mit Regeln, Gesetze und Vorschriften UnternehmerInnen und Firmen. Offenbar auch der Bundesrat. Das Volk ist leidtragend und muss über Steuern Kosten selber tragen. Solange die rechtsbürgerliche Mehrheit in den Parlamente bestand hat wird sich nichts ändern.

  • am 3.10.2022 um 16:38 Uhr
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    Den Preis bezahlen muss zum Schluss die Bevölkerung.
    Damit hat sie auch ein Anrecht zu wissen, wem der Bundesrat wieviel bezahlt!

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 3.10.2022 um 21:03 Uhr
    Permalink

    Irgendwie scheint mir das Thema bekannt. 1989, 1994, 2001, 2004, 2005, 2012… seither bin ich pensioniert.

    Die institutionalisierte Lobby hat definitiv einen langen Atem.

    Ich habe zwar auch in meinen Vorlesungen auf langfristig wirkende Motivationsfaktoren insistiert. Der Generationenwechsel bringt aber neue Opportunitäten mit neuen Leuten alte Argumente weiter zu «verkaufen». Vielleicht hatte Thomas doch recht als er mir zu meiner prospektiven Pensionierung gratulierte.

    Leider ist die institutionalisierte Vertretung der Konsumenteninteressen nicht in der Lage diese Frage korrekt zu vertreten. Das Quartalsbilanzdenken aktueller Politiker hilft nicht, wie Urs sagen würde, «enkelgerechte» Lösungen anzubieten.

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