«Ohne Wahlmanipulationen hätte Trump gegen Harris verloren»
Das demokratische Prinzip «one person, one vote» ist eine schöne Erzählung. Jede Stimme hat das gleiche Gewicht. Jede Stimme zählt. Doch für den Data- und Investigativ-Journalisten Greg Palast ist diese Erzählung 2024 in den USA ein Märchen. Seit zwei Jahrzehnten untersucht er für Medien wie «Guardian», «BBC» und «Rolling Stone» die schockierenden Fakten der amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
Am 24. Januar hat er seine neuesten Erkenntnisse zu den US-Wahlen 2024 publiziert. Sein aufwendig zusammengetragenes Datenmaterial fasst er zur steilen These zusammen: Donald Trump hätte verloren und Kamala Harris mit 286 Elektoren-Stimmen gewonnen. Und dann kommt das grosse «Wenn»: «Wenn alle legal Stimmberechtigten hätten wählen dürfen. Und wenn alle legalen Stimmen gezählt worden wären.»
Seine Recherche erschien auf der liberalen Website «The Hartmann Report» unter dem Titel «Trump verlor. Wahlrechts-Unterschlagung gewann». Dort und in seinem Dokumentarfilm «Vigilantes Inc.» deckt er auf, wie die republikanischen und MAGA-Netzwerke (Make America Great Again) das Gleichheits-Prinzip «one person, one vote» unterlaufen und ausgehöhlt haben.
Rechercheur Palast nennt diesen Fakt «America’s nasty little Secret» und meint damit die vielen Methoden von «voter suppression». Dies sei ein «freundlicher Ausdruck dafür, wie People of Color um ihr Wahlrecht betrogen werden».
Besonders intensiv hat sich Greg Palast mit den Verhältnissen im südlichen Bundesstaat Georgia auseinandergesetzt. Wie in vielen anderen Red States, den republikanisch regierten Bundesstaaten, hat Georgia nach Trumps Niederlage 2020, sein Wahlgesetz (SB 202) verschärft und den Zugang zum Wahlrecht mit Hürden verstellt.
Die fragwürdigste Verschärfung – gut versteckt im «Section 15», auf den Zeilen 571-576, gibt allen Bürgerinnen und Bürgern Georgias die Möglichkeit, das Wahlrecht anderer Wählerinnen und Wähler anzufechten. Jeder und jede kann unbeschränkt viele Namen bei den Behörden melden und deren Wahlrecht in Frage stellen. Die Wahlbehörden kippen diese aus dem Wahlregister, meist ohne dass die Betroffenen davon wissen.
Die konservative Wahlüberwachungs-Organisation «True the Vote» des MAGA-Netzwerks rekrutierte 2024 landesweit zehntausende, sogenannte freiwillige Vigilantes. Diese Mitglieder einer Art Bürgerwehr sind meist weisse Bürgerinnen und Bürger, die möglichst viele schwarze Wählerinnen und Wähler und solche mit hispanischer oder asiatischer Abstammung den Behörden melden. Schon im August 2024 verkündeten die Vigilantes, sie hätten das Wahlrecht von bereits 317’886 Bürgerinnen und Bürger angefochten. Die Nationale Vereinigung für die Förderung farbiger Menschen (NAACP) des Bundesstaates Georgia schätzte, dass die selbsternannten Denunzierungs-Aktivisten bis zum Wahltag vom 5. November allein in Georgia rund 200’000 Wählerinnen und Wähler aus dem Wahlregister eliminierten.
Greg Palast spürte den fanatisch fleissigen Vigilantes nach, besuchte die eine oder den anderen zuhause und konfrontierte sie mit den Fakten seiner Recherche. So zum Beispiel Pamela Reardon. Sie allein hatte das Wahlrecht von über 32’000 Leuten angefochten. Im Interview mit Greg Palast musste sie zugeben, dass sie keinen einzigen davon kenne: «I did not speak to the 32’000 people.»
Als der Reporter sie auf die historischen Wurzeln ihres Netzwerks, auf den Ku-Klux-Klan, ansprach, warf sie ihn wütend aus dem Haus.
Reporter Palast bringt auch andere Methoden ans Licht, die das Wahlrecht von Minoritäten einschränken und macht mit seinen Daten die Grössenordnung der Wahlverhinderung deutlich.
- Formale Fehler
Über zwei Millionen Stimmzettel der Briefwahl sind nach seinen Erkenntnissen wegen kleinen, formalen Fehlern beim Ausfüllen der Stimmzettel herausgefallen. Solche Fehler passieren den Ärmeren, den weniger Gebildeten unter der Bevölkerung besonders häufig. Betroffen sind viele Schwarze. - «List Maintenance»
Hinter dem unverdächtigen Ausdruck Listen-Management versteckt sich die «Purge», der Säuberungs-Trick. Wegen angeblich falschen Adressen, Todesfällen und anderen Faktoren, kontaktieren die Wahlbehörden die Betreffenden mit einer «Poison Postcard». Wer diese Postkarte, die wie eine Werbesendung daherkommt, achtlos wegschmeisst, statt sie zu unterschreiben und zurückzuschicken, fällt aus dem Wahlregister. 4,77 Millionen Berechtigte sind laut der unabhängigen «U.S. Election Assistance Commission» (US-Wahlassistenz-Kommission) so herausgeputzt worden. - Verhinderte Registrierung
Die Wahlbehörden haben sogar über drei Millionen bei der Registrierung zurückgewiesen oder sie zu spät ins Stimmrechtsregister aufgenommen. - Reduktion der Anzahl Sammelboxen
Die Anzahl von Sammelboxen für die Stimmcouvert reduzierten die Verantwortlichen massiv, so dass es weite Wege gab, um an einer dieser Boxen die Wahl-Couverts einzuwerfen. - «Provisional Ballot»
Die provisorischen Stimmabgaben, das sind Stimmzettel, die noch genauer zu prüfen sind, bezeichnet Palast als «Placebo-Stimmen», weil sie schlussendlich äusserst selten mitgezählt werden.
Die Grössenordnung dieser Wahlmanipulationen macht aus dem «kleinen Geheimnis» eine grosse, stossende Geschichte, auch wenn die genannten Zahlen nur Grössenordnungen umreissen, Schätzungen beinhalten und Fragen offen lassen wie: Hätten all die ausgeschlossenen Leute tatsächlich an den Wahlen teilgenommen? Und wenn ja, wen hätten sie denn gewählt?
Die jüngsten Unterschriften-Fälschungen in der Schweiz und in anderen Demokratien führen uns vor Augen, wie komplex die Herausforderung ist, Wahlen oder Abstimmungen sauber durchzuführen – selbst in kleinen Ländern mit wenigen Millionen Bürgerinnen und Bürgern.
Aber mit Blick auf die beschriebenen Verhältnisse in den USA macht es einen grossen Unterschied, ob Fehler passiert sind und die Kontrollen der Behörden versagt haben oder ob parteipolitisch handelnde Behörden absichtlich und böswillig einem Teil der Gesellschaft das verfassungsmässig garantierte Wahlrecht unterschlägt, wie es offensichtlich erzkonservative Anhänger der White Supremacy, der weissen Vorherrschaft, in den USA zugunsten Donald Trumps praktizierten.
Gegen diese hinterhältigen Praktiken gibt es Gegenwehr: Wahlrechts-Aktivistinnen und -aktivisten wehren sich auf allen Ebenen. In den Wahlkreisen motivieren sie die Wahlberechtigten der Minoritäten, sich frühzeitig in den Wahlregistern einzutragen oder die Säuberungen aus dem Register rückgängig zu machen und die abgewiesenen Stimmzettel nachzubessern.
Eine prominente Rolle im Kampf gegen «voter suppression» und andere Methoden der Ausgrenzung hat die demokratische Politikerin Stacy Abrams. Ihrer Mobilisierungskraft, gebaut auf einer flächendeckenden Basisbewegung, hat der ehemalige Präsident Joe Biden seinen Sieg in ihrem Bundesstaat im Jahr 2020 zu verdanken. Im eigenen Rennen um den Gouverneurssitz musste sich Abrams 2018 und dann auch noch 2020 vom Republikaner Brian Kemp geschlagen geben. Sie unterlag ausgerechnet dem Hardliner, der schon als Chef der Wahlbehörde das Wahlrecht verschärfte, um das Potential der schwarzen Stimmen zu limitieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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