Saudi-Arabien: 19 Jahre Gefängnis für 14 Tweet-Worte
Im November 2015 tippte Saad Almadi auf Twitter einen Beitrag mit 14 Wörtern über den Kronprinzen von Saudi-Arabien: «Mohammed bin Salman hat die Wirtschaft, die Verteidigung und alles unter dem König übernommen». Es war seine Antwort an einen Professor, der ein scharfer Kritiker der Monarchie ist.
Almadi lebte damals als saudi-amerikanischer Doppelbürger in Florida und dachte nicht, dass sein Beitrag Aufmerksamkeit erregen würde. Doch 2022 wurde der 72-jährige Almadi während eines Besuchs in Saudi-Arabien verhaftet. Der Vorwurf: Er verfolge eine terroristische Agenda, indem er «Symbole des Staates» verleumde und eine «terroristische Ideologie» unterstütze. Als Beweis diente laut Gerichtsunterlagen sein damaliger Beitrag und einige weitere Tweets mit Kritik an der saudischen Regierung. Der Staatsanwalt forderte eine harte Strafe, «um ihn zurechtzuweisen und andere abzuschrecken». Im Oktober 2022 wurde Almadi zu 16 Jahren Haft verurteilt, die in seiner Berufung am 8. Februar 2023 noch auf 19 Jahre erhöht wurden. Das berichtet die Korrespondentin Vivian Nereim in der New York Times vom 23. Februar 2023.
«Mein Vater ist weit davon entfernt, ein Dissident zu sein», zitiert die NYT den Sohn Ibrahim Almadi. Doch Saad Almadi sitzt jetzt im Al-Ha’ir-Gefängnis, einer Einrichtung in der saudischen Hauptstadt Riad, in der neben politischen Aktivisten auch Mitglieder von Al-Qaida eingekerkert sind.
Saudi-Arabien hat die Schrauben angezogen
Saudi-Arabien sei schon immer eine autoritäre Monarchie mit eingeschränkter Meinungsfreiheit gewesen, schreibt die Korrespondentin Nereim. Aber vor 10 Jahren hätte der Twitter-Account von Saad Almadi, der weniger als 2000 Follower hat, vielleicht eine Verwarnung oder ein Verhör zur Folge gehabt. Doch unter Premierminister und Kronprinz Mohammed würden kritische Bürger viel härter bestraft. Und es seien zunehmend harmlose Bürger, die ins Gefängnis müssten.
Seit 2017 haben die saudischen Behörden Hunderte von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus dem gesamten politischen Spektrum verhaftet, darunter Snapchat-Influencer, religiöse Geistliche, Milliardäre und mehrere Cousins des Prinzen selbst. Die Ermordung des Washington-Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi durch saudische Agenten in Istanbul im Jahr 2018, die internationale Empörung auslöste, war das dramatischste Beispiel für das verstärkte Repression, die sich seither weiter verschärft hat.
Der Staat nimmt Social Media ins Fadenkreuz
Die Behörden, so die NYT-Korrespondentin, hätten ein besonderes Augenmerk auf Aktivitäten in den Social Media und besonders auf Twitter, das im Königreich weit verbreitet ist. Das könne man den Gerichtsdokumenten entnehmen.
- Noura al-Qahtani hatte auf ihrem anonymen Twitter-Account mit nur etwa 600 Followern zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen und geschrieben, Prinz Mohammed sei «nicht gut genug, um ein Prinz zu sein». Ein Gericht verurteilte sie zu 13 Jahren Gefängnis wegen der «Anfechtung des Glaubens und der Gerechtigkeit des Königs und des Kronprinzen» und der «Unterstützung der Ideologie von Leuten, die die öffentliche Ordnung stören wollen». In der Berufung bat sie um Gnade, da sie fast 50 Jahre alt sei und fünf Kinder zu versorgen habe, wie aus einer Kopie des Urteils hervorgeht. Stattdessen verlängerte das Richtergremium ihre Strafe auf 45 Jahre Gefängnis.
- Salma al-Shehab, eine saudische Doktorandin an der Universität Leeds in Grossbritannien, wurde zu 34 Jahren Gefängnis verurteilt, vor allem, weil sie saudischen Dissidenten auf Twitter gefolgt war und deren Beiträge geteilt hatte, wie aus einer Kopie ihres Urteils hervorgeht.
Nereim schreibt, eine Überprüfung der fraglichen Twitter-Konten der beiden Inhaftierten habe jedoch keine Beiträge zutage gefördert, in denen sie sich zur Unterstützung militanter Gruppen bekannt oder gewalttätige Aktionen befürwortet hätten, abgesehen von einem vagen Tweet von Noura al-Qahtani, in dem sie sich auf die «Entfernung dieses Tyrannen vom Angesicht der Erde» bezogen habe, ohne einen Namen zu nennen. Die Gerichtsdokumente würden zeigen, dass sich die Staatsanwälte auf Beiträge berufen hätten, die sich kritisch über die Regierung oder Mitglieder der königlichen Familie äusserten. Diese seien als terrorismusbezogene Ansichten taxiert worden, welche die Sicherheit des Staates bedrohten.
Unliebsame Aktivisten wurden zum Verschwinden gebracht
Nereim berichtet auch vom Fall des Wirtschaftsprofessors Mohammed al-Qahtani (nicht mit Noura al-Qahtani verwandt). Er war einst ein prominenter saudischer politischer Aktivist und 2009 Mitbegründer einer unabhängigen Menschenrechtsorganisation. 2013 wurde er zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Frau Maha al-Qahtani wartete in den USA auf seine Freilassung, die für November 2022 geplant war. Doch ab Oktober rief ihr Mann nicht mehr zu Hause an. Maha al-Qahtani wandte sich an die saudischen Behörden, erhielt jedoch keine Erklärung. Mohammed al-Qahtani ist seither verschwunden.
Soziale Lockerung – politische Unterdrückung
Prinz Mohammed hat das konservative islamische Königreich umgekrempelt. Er startete einen ehrgeizigen Plan zur Diversifizierung der ölabhängigen Wirtschaft und beendete eine Reihe religiöser und sozialer Einschränkungen, die viele Saudis als erdrückend empfanden. Frauen, denen bis 2018 das Autofahren untersagt war, arbeiten jetzt als Amazon-Lieferfahrerinnen, Geschäftsführerinnen und Botschafterinnen. Musik, die früher in der Öffentlichkeit verboten war, dröhnt in schummrigen Restaurants, in denen junge Paare flirten. Die Geschlechtertrennung, die das öffentliche Leben jahrzehntelang prägte, hat sich aufgelöst.
Doch der immer schon bescheidene Raum für den politischen Diskurs sei stark geschrumpft, schreibt Nereim. «Das Ausmass der Unterdrückung ist wirklich beispiellos», zitiert Nereim die Frauenrechtsaktivistin Hala Aldosari, die Saudi-Arabien 2014 für ein Postdoc-Stipendium in den Vereinigten Staaten verliess und sich nie sicher genug fühlte, um zurückzukehren. Zwar seien Lockerungen in Gang gesetzt worden, für die sie als Aktivistin jahrelang gekämpft habe, «doch es ist ein bittersüsser Moment in der Geschichte, wenn man sieht, dass die Früchte der eigenen Mobilisierung irgendwie geerntet werden, aber aus dem falschen Grund.» Als Gegenleistung für bestimmte Rechte würden die Menschen zum Schweigen verdammt.
Hala Aldosari mache die amerikanische und europäische Aussenpolitik für die Eskalation der Repression verantwortlich, berichtet Nereim. Die ausländischen Regierungen hätten auf Kosten der Menschenrechte andere Ziele priorisiert, wie die Verbesserung der Beziehung zwischen arabischen Regierungen und Israel oder die Stabilisierung der Ölmärkte.
Vor dem Unrecht sind alle gleich
Bis vor kurzem waren Haftstrafen von mehr als 20 Jahren im Königreich selten, und Saudis mit US-Staatsbürgerschaft oder Verbindungen zu lokalen Eliten, wie Saad Almadi, hätten sich auf diese Verbindungen stützen können, um sich zu schützen. «Eines der Verdienste von Mohammed bin Salman ist, dass er für alle die gleiche Ungerechtigkeit geschaffen hat», zitiert die NYT Taha al-Hajji, einen saudischen Anwalt, der in Deutschland im Exil lebt.
Hussein Ibish, ein leitender Wissenschaftler am Arab Gulf States Institute in Washington, analysiert, dass die «roten Linien», die die freie Meinungsäusserung einschränkten, unter früheren Herrschern klarer gewesen seien: die Königsfamilie, der König, der Islam. Jetzt hätten viele Menschen «absolut keine Ahnung», was erlaubt sei. «Damit soll ein Klima der Einschüchterung geschaffen werden, und zwar auf politischer Ebene, um das Regime immun zu machen, unangreifbar».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Und gleichzeitig führen sie seit Jahren ein Angriffskrieg in Jemen mit hunderttausenden Toten.
Wo bleibt der Aufschrei, die Sanktionen, die Forderung nach Verurteilung der Kriegsverbrechen?
Im Gegenteil, der «Westen» macht Bücklinge, kauft Oel und Gas und liefert unbeschränkt Waffen.
Was regen wir uns um Menschenrechte auf?
Hat noch niemand begriffen das dieser Luxus als Alibi für pro westliche Werte schon lange verkauft werden wenn sie wirtschaftlichen Interessen internationaler, vor allem amerikanischer Grosskonzerne dienen?
Mit der Ukraine-Krise wurden die Karten doch offen gelegt und wenn man sich anschaut wie die reichsten Länder der Erde mit den ärmsten ihrer Bürger umgeht während Milliardengelder in fremden Ländern zwecks Wahrung wirtschaftlicher Interessen fliessen, gehören Werte zum Völkerrecht oder Menschenrecht nicht mehr auf die aktuelle politische Agenda.