Richard Bluecloud Castaneda Greenpeace Standing Rock

Die Proteste gegen die Dakota Access Pipeline, kurz: DAPL, erregten weltweit Aufsehen. © Richard Bluecloud Castaneda/Greenpeace

Greenpeace USA von 300-Millionen-Einschüchterungsklage bedroht

Daniela Gschweng /  Es geht um die Dakota-Access-Pipeline, sehr viel Geld und um den alten Streit, wer für Schäden Protestierender verantwortlich ist.

In North-Dakota begann am 24. Februar ein bedeutender Prozess: Der Pipeline-Entwickler Energy-Transfer hat Greenpeace verklagt und wirft der Organisation Verleumdung sowie die Unterstützung von Protesten vor, die zu Sachbeschädigungen führten. Aktivisten und Rechtsexperten sehen in der Klage den Versuch, Greenpeace finanziell zu ruinieren und öffentliche Proteste zu unterdrücken.

Energy-Transfer fordert Schadenersatz in Millionenhöhe. Greenpeace finanziere und unterstütze Demonstranten, die Eigentum von Energy-Transfer beschädigt haben. Das ist, kurz gesagt, die Anklage. Im Grunde gehe es aber um viel mehr, zitiert «Inside Climate-News» (ICN) Sushma Raman, die Interims-Geschäftsführerin von Greenpeace USA: «Es geht um den Versuch, Greenpeace-Organisationen in den Bankrott zu treiben, und darum, die Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen».

Es gehe nicht um Geld, sagt der Kläger

Der Streit um die Dakota-Access-Pipeline die durch das Reservat Indian Rock in North-Dakota führt, hat vor elf Jahren begonnen. Vor acht Jahren, als Energy-Transfer die erste Klage einreichte, hatte sich Gründer und CEO Kelcy Warren laut ICN gleich auf den gesamten US-Staat berufen. Sein Ziel sei es nicht, Geld zu erstreiten. Es gehe ihm darum, klarzustellen, dass «ein solches Verhalten in den Vereinigten Staaten nicht toleriert wird».

Mehrere Rechtsexpert:innen halten den Fall für eine Einschüchterungsklage, die Greenpeace mundtot machen soll. Bei Einschüchterungsklagen, Englisch Slapps, (Strategic Lawsuits Against Public Participation), geht es weniger darum, einen Prozess zu gewinnen. Das Ziel ist, eine Organisation organisatorisch und finanziell auszubluten. Für kleine Organisationen ist der mit Slapps verbundene personelle und finanzielle Aufwand existenzbedrohend.

Slapps (Strategic Lawsuits Against Public Participation)

Missbräuchliche Gerichtsverfahren oder strategische Klagen sollen Organisationen oder Einzelpersonen zum Schweigen bringen, Kritiker einschüchtern und die Macht eines meist grossen und finanzkräftigen Klägers zementieren. Durch Kosten und Aufwand sollen Umweltorganisationen, Journalist:innen, Medien oder auch andere zivile Organisationen zerstört oder mundtot gemacht werden. «Slap» ist das englische Wort für «Ohrfeige» oder «Klaps».

Slapps verhindern Medienberichterstattung, können Nichtregierungsorganisationen zum Zusammenbruch bringen, Beklagte ruinieren und die freie Meinungsäusserung unterbinden.

Prominente Beispiele sind das Vorgehen von Chevron gegen den Anwalt Steven Donziger, eine Klage der Südtiroler Obstbauern gegen das Umweltinstitut München oder die Klageserie gegen die 2017 ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia.

Greenpeace ist keine kleine NGO, hat aber bereits Millionen verloren durch diesen und einen vorhergehenden Fall, der 2016 eröffnet wurde. Und die Klage ist kein normaler Slapp.

Die Dakota-Access-Pipeline: Neun Jahre Protest

Schon deshalb, weil das zugrundeliegende Ereignis eine gewisse Grössenordnung hat: Die umfangreichen Proteste gegen den Bau der Dakota-Access-Pipeline im Indianerreservat Standing Rock begannen 2014. Zwei Jahre später schlugen sie international Wellen. Sowohl wegen ihres Umfangs als auch wegen der Mittel, zu denen beide Seiten griffen.

Zehntausende protestierten. Der Einsatz von Wasserwerfern bei Minustemperaturen, die gewaltsame Räumung von Protestcamps, der Einsatz von privaten Sicherheitsunternehmen mit Hunden und die Behandlung von Protestierenden erregten international Aufsehen.

Protestierende wurden gezwungen, sich für Kontrollen auszuziehen, Demonstrierende wurden in Käfige gesperrt, mehrere Menschen wurden von Hunden gebissen. Eine Sicherheitsfirma, die hunderte Kräfte einsetzte, bezeichnete Protestierende als «Jihadisten». Es kam zu zahlreichen Sachbeschädigungen, die teilweise als «Terror» bezeichnet wurden. Die Versuche, Protestierende vom Baugelände zu vertreiben, glichen stellenweise der Niederschlagung eines Aufstands.

Begleitet wurde der Bau der Pipeline auch von tausenden Klagen. Für die indigene Bevölkerung, die in der Nähe lebt, sind Gebiete im Pipelineverlauf heilig. Die Einwohner sehen ihre Landrechte verletzt. Mehrere Stämme werfen den Pipeline-Eigentümern vor, ungenügende Umwelt- und Kulturverträglichkeitsprüfungen durchgeführt zu haben und keine Vorkehrungen für Lecks zu treffen.

Zahlreiche Umweltorganisationen und indigene Stämme in den USA unterstützten die Proteste, die von der lokalen Bevölkerung ausgingen. Auch Prominente wie Scarlett Johansson, Leonardo DiCaprio und Jane Fonda setzten sich gegen den Bau der Pipeline ein. 2016 verweigerte die Obama-Regierung schliesslich die Genehmigung.

Die auf Obama folgende Trump-Regierung entschied 2017 anders und erlaubte den Bau. Die Dakota-Access-Pipeline ging 2017 in Betrieb. 2020 wurde der Betrieb auf richterliche Anordnung unterbrochen und nach einem Berufungsverfahren wieder aufgenommen. Mindestens 21 US-Staaten haben Gesetze eingeführt, die für das Betreten von Pipeline-Gelände oder Proteste vor Ort hohe Geldstrafen vorsehen.

Schon 2016 versuchte Energy-Transfer gegen Greenpeace vorzugehen

Zurück zu Greenpeace. Schon 2016 hatte Energy-Transfer auf Bundesebene eine Klage gegen Greenpeace und andere Pipeline-Gegner eingereicht. Die Klage, in der das Unternehmen 300 Millionen Dollar Entschädigung forderte, wurde 2019 abgewiesen. Umgehend folgte eine weitere Klage im Bundesstaat North-Dakota, mit der Greenpeace derzeit kämpft. North-Dakota ist dabei nicht nur wichtig, weil es an der Pipeline liegt. Einige US-Staaten haben Gesetze, die Slapp-Klagen verhindern sollen; einschlägige Klagen werden dann abgewiesen. North-Dakota nicht.

Von Energy-Transfer beklagt werden die in den USA ansässigen Greenpeace-Organisationen und der internationale Mutterkonzern mit Sitz in den Niederlanden. Energy-Transfer macht geltend, Protestorganisationen hätten falsche Behauptungen verbreitet, um das Unternehmen zu diffamieren. Greenpeace habe Aktivisten geschult und unterstützt, die Eigentum von Energy-Transfer beschädigten und Mitarbeiter bedrohten.

Dahinter steht die alte Frage, inwieweit die Organisatoren dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn Einzelpersonen bei Protesten Schäden verursachen. Bei den Dakota-Access-Protesten dürfte das Argument aber eher vorgeschoben sein.

Organisiert wurden die Proteste nicht von Greenpeace, sondern von den Sioux-Stämmen in Standing Rock. Greenpeace habe durch Falschinformationen tausende Demonstrierende nach North-Dakota gelockt, behauptet Energy-Transfer.

Fachleute wie Kirk Herbertson, New Yorker Anwalt und US-Geschäftsführer für Interessenvertretung und Kampagnen von Earthrights International, sind anderer Meinung. In den Gerichtsakten gebe es keinen Hinweis darauf, dass Energy-Transfer durch die Aktionen von Greenpeace tatsächlich geschädigt worden sei, sagte Herbertson gegenüber dem «Guardian». Die Klage sei ein geradezu emblematischer Fall einer Slapp.

NGOs fürchten um das First Amendment

Es gebe Anzeichen dafür, dass jemand versuche, die lokale Bevölkerung zu beeinflussen, berichtet der «Guardian» weiter. In den vergangenen Wochen seien mysteriöse Postwurfsendungen bei Anwohnern eingetroffen, die sich gegen den Pipeline-Protest aussprächen. Sie sähen aus wie eine Zeitung namens «Central ND News». Wer dahinterstehe, sei unklar. Es gebe Hinweise, dass Energy-Transfer die Publikation bezahle.

Energy-Transfer sagt, es gehe nicht um freie Meinungsäusserung, sondern um das Einhalten von Gesetzen. Ein Versuch von Greenpeace, den Prozess an einen anderen Ort zu verlegen, schlug fehl. Die Anwälte der NGO halten ein Geschworenengericht aus einem Ort, der direkt von den Demonstrationen beeinflusst wurde, für möglicherweise voreingenommen.

Es gibt dazu Unmut über die Einschränkung von Foto-, Audio- oder Videoaufnahmen im Gerichtsaal und die Beschränkung des Zugangs auf wenige Medien. Das Gericht lehnte eine Petition mehrerer Medien dazu ab. Ein Live-Stream steht nur einzelnen Vertretern von Greenpeace und Energy-Transfer zur Verfügung.

Die gerichtliche Auseinandersetzung mit Energy-Transfer könnte nicht nur Greenpeace USA in den Bankrott treiben. Der Ausgang des Prozesses könnte weitreichende Folgen für das Recht auf Protest und freie Meinungsäusserung in den USA und weltweit haben. Viele zivile Organisationen in den USA fürchten um ihre Rechte, wie sie im ersten Verfassungszusatz der USA, dem First Amendment, festgelegt sind.​ Sollte der Konzern den für fünf Wochen angesetzten Prozess gewinnen, sendet das auch ein deutliches Signal an alle internationalen Organisationen.

In dem Teil der Klage, der sich auf Greenpeace International mit Sitz in den Niederlanden bezieht, fordert Energy-Transfer die Erstattung der Prozesskosten von Greenpeace. Greenpeace International hat angekündigt, dagegen Rechtsmittel zu ergreifen. Sollte es dazu kommen, wäre das einer der ersten grossen Tests für die EU-Richtlinie gegen Slapp-Klagen.

«Ein Urteil gegen Greenpeace wäre ein fatales Signal für das Recht auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit»

Iris Menn, Geschäftsleiterin Greenpeace Schweiz

Für die lokalen Greenpeace-Organisationen hätte das erst einmal keine direkten Auswirkungen. Greenpeace Schweiz sei rechtlich unabhängig, antwortet die Schweizer Organisation auf Anfrage von «Infosperber».

Greenpeace International erfülle aber eine wichtige Koordinationsrolle bei weltweiten Greenpeace-Kampagnen. «Indirekt könnte unsere Arbeit im globalen Kontext geschwächt werden», sagt Iris Menn, Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz. «Gewaltfreie Demonstrationen und ziviler Ungehorsam gehören zur Demokratie», findet sie.

Mehr als 330’000 Einzelpersonen und mehr als 430 Organisationen haben bereits einen Offenen Brief unterzeichnet, der die Klage als unbegründet bezeichnet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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