Kommentar
Friedenspreis in Hessen, Gefängnis in der Türkei
Red. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Chirurg und Publizist in Frankfurt.
Im Mai 2019 verurteilte ein Gericht in Ankara elf Ärzte wegen «Anstachelung zu Hass und Feindschaft» zu je 20 Monaten Haft. Einer von ihnen erhielt zusätzlich 18 Monate Haft wegen «Terrorpropaganda». Präsident Erdoğan bezeichnete die Verurteilten als «Terroristen-Liebhaber» und als eine «Bande nicht denkender Sklaven». Ihr Verbrechen hatte darin bestanden, dass sie wegen der türkischen Militäroffensive in den Kurdengebieten Nordsyriens zu Frieden aufriefen. Es sei ihre ärztliche Verpflichtung, «Leben zu bewahren und friedliche Lebensumstände zu verteidigen».
Im Januar 2022 leitete eine der bekanntesten türkischen Journalistinnen namens Sedef Kabaş eine Fernsehdiskussion über die Kunstfreiheit. Dabei zitierte sie auch ein altes tscherkessisches Sprichwort: «Geht ein Ochse in einen Palast, wird er nicht zum König, sondern der Palast wird zum Stall». Kurze Zeit nach der Sendung wurde sie um zwei Uhr nachts verhaftet. Wegen Präsidentenbeleidigung wurde sie zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt, obwohl sie Erdoğans Namen gar nicht erwähnt hatte.
Ebenfalls Ende Januar dieses Jahres wurde Sezen Aksu, die beliebteste Sängerin des Landes, von Präsident Erdoğan während des Freitagsgebets wegen eines fünf Jahre alten Songs über Adam und Eva attackiert. Er beschuldigte sie der Blasphemie, weswegen man ihr «die Zunge herausreißen» solle. Diesmal hatte Erdoğan aber nicht mit dem Volkszorn gerechnet, Sezen Aksu wurde weder verhaftet noch angeklagt.
Aber im Fall der Präsidentin der türkischen Ärztekammer, Prof. Şebnem Korur Fincancı, konnte weder Prominenz noch breite internationale Solidarität verhindern, dass sie seit Anfang Oktober zum wiederholten Male im Gefängnis sitzt. Schon 2016 war sie wegen «Werbung für eine terroristische Organisation» angeklagt und verurteilt worden, weil sie die kurdische Tageszeitung Özgür Gündem unterstützt hatte. Am 19. Oktober nun kommentierte Prof. Fincancı in einer Fernsehsendung Videobilder von bewaffneten PKK-Mitgliedern, die mutmasslich Symptome eines Chemiewaffenangriffs zeigten. In den Morgenstunden des 26. Oktober wurde sie nach einer Hausdurchsuchung in Istanbul festgenommen und ist seitdem in der Antiterror-Abteilung der Sicherheitsbehörde inhaftiert. Ihr wird die «absichtliche Verbreitung falscher Informationen in der Öffentlichkeit», das «Anstiften der Öffentlichkeit zu Hass und Feindschaft», «Verleumdung» und «Verunglimpfung des Staates, staatlicher Einrichtungen und Organe» vorgeworfen.
Das alles hat mit Menschenrechten und Meinungsfreiheit nichts zu tun. Es ist Teil des Unterdrückungsapparates von Despoten. Şebnem Korur Fincancı, die 2018 für ihr überragendes Engagement bei der Dokumentation und Aufklärung von Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet worden war, ist dem Regime ein ständiges Ärgernis, mehr als nur ein Dorn im Auge. Als der türkische Ärzteverband TTB auf einer Pressekonferenz von einem «pechschwarzen Tag» für die Demokratie in der Türkei sprach, warf der türkische Justizminister Bekir Bozdag den Ärzten vor, mit «dem Munde der Terrororganisationen» zu sprechen. Inzwischen haben die Bundesärztekammer, die Landesärztekammern Hessen, Berlin und Hamburg, einige Ärztevereinigungen sowie der Weltärzte-Bund die sofortige Freilassung von Prof. Şebnem Korur Finsscancı gefordert. Und jede und jeder von uns kann helfen: Amnesty International betreibt eine Solidaritätskampagne, die auf ihrer Homepage gezeichnet werden kann.
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Dieser Beitrag erschien am 19. November 2022 in der Frankfurter Rundschau
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Danke für den Bericht. Wie viele sind schon gestorben, weil das ungerechtfertigte verbreiten von Angst sie in den Tod trieb, in den Suizid, in das Mitläufertum, in das Denunziantentum. Despotismus gibt es überall. Das verbreiten von Angst wurde im Buch von Alphons Silbermann, «Das Geschäft mit der Angst » gut beschrieben. Die prinzipielle Gewalttätigkeit vieler «Mächtiger» wurde im Buch von Sofsky «Traktat der Gewalt » gut behandelt. Es gibt globalen Handlungsbedarf zu einem handlungsfähigen Weltethos hin, welcher den Missbrauch von Justitz und Exekutive als reine ungerechtfertigte Angstverbreitungsinstrumente stoppen kann. Auf der ganzen Welt, den es ist ein globales Phänomen. Dazu gehört auch das Verbreiten von staatlich sanktionierten Unwahrheiten. Frieden und Demokratie bekommt man nicht geschenkt, die Liste derjenigen, die für diese Ziele gelitten haben oder ihr Leben hergeben mussten, ist lang.