Düngerkrise: Afrikaner hungern wegen fremder Konflikte
In ganz Afrika und in Teilen Asiens haben die Preissteigerungen für Düngemittel zunehmende Mangelernährung der Bevölkerung verursacht. Die Landwirte in vielen Ländern mit niedrigerem Einkommen führen einen existenziellen Kampf gegen die Preisexplosion beim Dünger. Weil sie nicht mehr genügend Dünger kaufen konnten, sind ihre Ernten massiv geschrumpft, während die Lebensmittelpreise in die Höhe schossen.
Hunger verbreitet sich wie ein Flächenbrand. Allein in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, leiden nach Angaben des Welternährungsprogramms mittlerweile fast 90 Millionen Menschen – etwa zwei Fünftel der Nation – an einem «unzureichenden Nahrungsmittelkonsum».
Wer sich die stark verteuerten Düngemittel nicht mehr leisten kann, sei mehrfach verflucht, schreibt der Wirtschaftsjournalist Peter S. Goodman in der «New York Times». Die Ernte solcher Landwirte reiche nicht mehr aus, um ihre Familien zu ernähren. Sie hätten nichts zu verkaufen, um Geld für den familiären Lebensunterhalt und die Schulkosten der Kinder zu beschaffen. Ihre Lebensmittel müssten sie zu stark überhöhten Preisen kaufen. Zudem seien viele Bauern verschuldet und könnten mangels Einnahmen die Kreditzinsen nicht mehr bezahlen.
Die Düngerkrise löst eine Abwärtsspirale aus
In seiner Reportage aus dem Norden Nigerias berichtet Goodman Bedenkliches:
- Viele Landwirte sind von Reis und Mais auf den Anbau von weniger wertvollen Pflanzen wie Sojabohnen und Erdnüssen umgestiegen, weil diese weniger Dünger benötigen.
- Vermehrt werden Ernten schon auf dem Feld gestohlen.
- Ehefrauen verlassen aus Nahrungsmangel ihre Ehemänner und kehren zu ihren Familien zurück.
- Eltern nehmen ihre Kinder aus der Schule, weil ihnen das Schulgeld fehle.
- Viele Menschen müssen sich mit zwei oder nur einer Mahlzeit pro Tag begnügen. Bei manchen geht es nur noch ums Durchhalten und Überleben.
Die Besorgnis über die Ernährungsunsicherheit sei in weiten Teilen West- und Zentralafrikas «alarmierend hoch», heisst es in einem Bulletin der Weltbank.
Die Preise sind explodiert wie nie zuvor
Seit Februar 2022 hat sich der Preis für Düngemittel in Nigeria und 13 weiteren Ländern mehr als verdoppelt, so eine Umfrage von ActionAid, einer internationalen Hilfsorganisation. Aus Kanada importiertes Kali, ein wesentlicher Bestandteil von Düngemitteln, habe in Nigeria während des letzten Jahres zeitweise sogar fünfmal mehr gekostet als anfangs 2020, ergänzt Goodman.
Auslöser waren verschiedene Krisen und Katastrophen
Es gibt mehrere Gründe für diese unheilvolle Entwicklung. Die Krise begann mit der Covid-19-Pandemie, die bewährte Lieferketten unterbrach, einen Mangel verursachte und die Kosten für den Transport von Düngemittelbestandteilen erhöhte. Dann hat Russlands Krieg gegen die Ukraine den Markt für Düngemittel weiter massiv eingeschränkt. Er hat auch die Getreideexporte stark reduziert und die Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen von Ägypten bis Indonesien in die Höhe schnellen lassen. Die Nahrungsmittelversorgung der Welt hat sich auch durch die zunehmend verheerenden Auswirkungen des Klimawandels verschlechtert – Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen. Katastrophale Überschwemmungen im vergangenen Jahr hätten die Ernten im Nordosten Nigerias fast komplett vernichtet.
Schliesslich hat die US-Notenbank in den letzten 18 Monaten die Zinssätze massiv angehoben, um die inländische Inflation abzuwürgen. Das hat den Wert des US-Dollars gegenüber vielen Währungen stark erhöht. Da Düngemittelkomponenten in Dollar bezahlt werden müssen, sind sie in Ländern wie Nigeria erheblich teurer geworden. Im Laufe des letzten Jahres habe der nigerianische Naira fast die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Dollar verloren, rechnet Goodman in der NYT vor.
Alternativen zu anorganischem Dünger fehlen
Goodman berichtet aus Nigeria, dass manche Landwirte angesichts der exorbitanten Düngerpreise auf Tiermist und andere biologische Düngemittel umzusteigen versuchten. Das sei längerfristig besser für den Boden, die Lebensmittelqualität und die öffentliche Gesundheit. Laut Experten könne es jedoch Jahre dauern, bis sich Pflanzen den Erträgen annähern, die durch den Einsatz kommerziellen Düngers erzielt werden. In Nigeria, wo mehr als 220 Millionen Menschen leben, habe die unmittelbare Versorgung mit Nahrungsmitteln höchste Priorität. Deshalb könne auf anorganische Düngemittel noch lange nicht verzichtet werden, um den Böden lebenswichtige Nährstoffe wie Stickstoff und Kalium zuzuführen.
Der globalisierte Düngemittelmarkt verstärkt Abhängigkeiten
Anorganischer Dünger ist ein globales Geschäft, das von Produzenten in den Vereinigten Staaten, China, Indien, Russland, Kanada und Marokko dominiert wird. Nigeria habe mehrere eigene Düngemittelfabriken, die verschiedene Arten von Stickstoffdünger herstellten, schreibt Goodman. Aber diese würden fast alles nach Südamerika exportieren. Infolgedessen sei das Land sehr anfällig für jede Störung der globalen Lieferkette. So importiere Nigeria in Marokko abgebaute Phosphate. Doch die Kosten dafür seien in den letzten Jahren von 300 Dollar auf mehr als 1’000 Dollar pro Tonne hochgeschnellt. Dazu kämen die Kostensteigerungen bei den Energiekosten. Stickstoffdünger wird durch einen chemischen Prozess hergestellt, der Energie, in der Regel Erdgas, verbraucht.
Als die Vereinigten Staaten, Europa und andere Regierungen Sanktionen gegen Russland verhängten, stieg der Gaspreis stark an. Das verteuerte die Düngerproduktion zusätzlich. Der Krieg habe auch den Zugang zu Kali eingeschränkt, einer wichtigen Kaliumquelle. Denn Kali sei vor dem Krieg vor allem aus Belarus und Russland geliefert worden.
Dünger ist wieder verfügbar, aber extrem teuer
Als die Anbausaison im Mai dieses Jahres begonnen habe, seien die Zutaten für Düngemittel wieder rund um den Globus verfügbar gewesen. «Der Düngemittelmarkt hat sich stabilisiert», zitiert Goodman den Chefökonom der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, Máximo Torero Cullen: «Wir sehen zum jetzigen Zeitpunkt kein so grosses Problem.» Doch das hohe Preisniveau sei weitgehend geblieben, für viele Bauern in Afrika böte das noch immer grosse Probleme. Denn alles sei teurer geworden, die Grundnahrungsmittel wie Mais und Reis genauso wie Fleisch. Viele würden sich weder Fleisch noch Fisch leisten können, sondern ernährten sich von Haferbrei aus Yamswurzeln und Bohnen. In der Hauptstadt Abuja habe die Regierung in diesem Jahr zudem die Subventionen für Treibstoff abgeschafft, was auch die Transportkosten erhöht habe.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«Dann hat Russlands Krieg gegen die Ukraine den Markt für Düngemittel weiter massiv eingeschränkt.»
Ich dachte immer es seien die Sanktionen des Westens gegen die Hauptlieferanten, gegen Russland und Weissrussland gewesen, welche den Markt für Düngemittel weiter eingeschränkten.
«Zu wenig Kunstdünger heisst zu wenig zum Essen.» ? So einfach ist es leider nicht. Afrika wäre sicher auch ohne Kunstdünger ausreichend fruchtbar, um alle Afrikaner:innen(!) gesund zu ernähren. Es gäbe aber weniger Exporte gegen Dollar. Und damit weniger Luxus für die hiesigen (bin z.Zt. in Togo) Eliten.
«Dann hat Russlands Krieg gegen die Ukraine den Markt für Düngemittel weiter massiv eingeschränkt.» Diese Aussage ist nicht korrekt!
Die Sachlage ist eine ganz andere! Russland exportiert seinen Dünger nicht mehr nach Afrika, sondern nun nach Europa, da hier mehr Geld zu verdienen ist. Die Harnstoffimporte aus Russland sind allein von Januar – Juni 2023 um 780% gestiegen. Im Düngejahr 2022/23 wurden gegenüber dem Düngejahr 2021/22 sogar 920 % mehr Harnstoff aus Russland nach Deutschland geliefert.
Düngemittel aus Russland sind explizit nicht sanktioniert. Eines ist aber klar: Mit diesen Exporten wird der Krieg finanziert.
Man muss schon die ganze Produktionskette zur Erstellung von Düngemitteln und die jeweiligen Märkte, die marktbeherrschenden Unternehmen und daraus abgeleitet die Preisbildung darstellen, um die Schuldigen bzw. die Ursachen klar ermitteln zu können.
Es ist nach Alternativen zu suchen, wie diese Hungerländer, unabhängiger von dieser Art Märkte werden, wo potenziell mit der Not Geld gemacht wird, – bei hartnäckigem Lobbying in den G7-Staaten. Und wahrscheinlich werden es die Brics-Staaten nicht anders treiben.