Assange Heidelberg

Protest am 10. Dezember 2022 in Heidelberg © zvg

Die Hatz auf Julian Assange spottet aller Menschenrechte

Pascal Derungs /  Um Kritiker ihrer menschenverachtenden Machtpolitik abzuschrecken, wollen die USA am Wikileaks-Gründer ein Exempel statuieren.

Am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, fanden an vielen Orten in aller Welt Demonstrationen und Mahnwachen für die Freilassung von Julian Assange statt. Doch in grossen Medien der westlichen Welt hat das keinen nennenswerten Widerhall gefunden. Die «öffentliche Meinung» überschlägt sich aktuell fast täglich mit Berichten über Menschenrechtsverletzungen im Golfstaat Katar oder im Iran.  Dagegen macht sich in der Causa Assange Schweigen breit. 

«Der wohl grösste Justizskandal aller Zeiten»

Das jedenfalls sagt Nils Melzer über den Fall Assange. Er ist einer der weltweit angesehensten Menschenrechtsanwälte. In den vergangenen 20 Jahren hat er das Rote Kreuz, die NATO und verschiedene Regierungsstellen in Fragen des Völkerrechts, der gezielten Tötung und der Cyberkriegsführung beraten. Seit 2016 ist er UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe. Melzer hat über zwei Jahre lang die Leidensgeschichte des Wikileaks-Gründers minutiös untersucht und seine Erkenntnisse im Buch «Der Fall Julian Assange – Geschichte einer Verfolgung» veröffentlicht.

Im Interview auf der Website des Verlags sagt er: «Die Fakten zeigen: Assange wurde ganz gezielt dämonisiert, um die Öffentlichkeit von seinen explosiven Enthüllungen abzulenken – von Kriegsverbrechen, Korruption und der Straflosigkeit der Mächtigen.» Dafür werde Assange nun «systematisch verfolgt, misshandelt und zerstört – nicht in einer fernen Diktatur, sondern mitten in demokratischen Rechtsstaaten Europas». Das Buch macht nüchtern und unmissverständlich klar: Seit zwölf Jahren läuft gegen den Wikileaks-Gründer eine von den USA gesteuerte, international konzertierte Hetzkampagne, welche die Fundamente der Rechtsstaatlichkeit in der westlichen Welt zu ruinieren droht.

Alle Aufrufe zur Freilassung Assanges verhallen ungehört

Der Gründer der Enthüllungs- und Whistleblower-Plattform Wikileaks ist seit bald drei Jahren im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh eingesperrt. Er soll an die USA ausgeliefert werden, die ihn nach dem «Espionage Act» wegen Geheimnisverrats anklagen und zu 175 Jahren Gefängnis verurteilen wollen. Assange hat Berufung gegen die Auslieferung eingelegt, doch der Oberste Gerichtshof Grossbritanniens wird sich mit seinem Antrag nicht einmal befassen, weil es keine ausreichenden Rechtsgründe dafür gebe. Alle öffentlichen Aufrufe zur Freilassung Assanges und zur Einstellung aller Strafverfahren gegen ihn sind bislang ohne Resultat verhallt. Nicht einmal die entsprechende Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom Januar 2020 hat daran etwas ändern können.

«Auf dem Spiel steht die Zukunft unserer Demokratie»

In der Einleitung zu seinem Buch schreibt Melzer: «Ich setze mich in diesem Fall ganz besonders ein, weil seine Bedeutung weit über Julian Assange als Person hinausreicht und auch weit über die direkt betroffenen Staaten hinaus. Weil er ein generelles Systemversagen sichtbar macht, das die Integrität unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen in schwerer Weise untergräbt.» Der UN-Sonderberichterstatter für Folter macht unmissverständlich klar, wer die Schuldigen sind: «Es ist die Geschichte schwerster Justizwillkür in westlichen Demokratien, die sich im Bereich des Menschenrechtsschutzes sonst gerne als Vorzeigestaaten darstellen.» Das hat für Nils Melzer fundamentale Bedeutung, er schreibt: «Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft unserer Demokratie».

Annalena Baerbock macht rechtsumkehrt

Wie willfährig sich andere westliche Staaten dem Rachefeldzug der USA gegen Assange unterwerfen, wird am Beispiel Deutschlands klar. Als führende Oppositionspolitikerin sprach sich Annalena Baerbock wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen noch im September 2021 klar für die Freilassung von Julian Assange aus. Als Aussenministerin lässt sie ein halbes Jahr später ihr Auswärtiges Amt mitteilen: «Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an der Rechtstaatlichkeit des Verfahrens und des Vorgehens der britischen Justiz zu zweifeln.» 

Dem hält Nils Melzer entgegen: «Wir müssen aufhören zu glauben, dass es bei Julian Assange wirklich um eine Strafuntersuchung wegen Sexualdelikten, Spionage und Hacking geht. Was Wikileaks getan hat, bedroht die politischen und wirtschaftlichen Eliten weltweit gleichermassen. Der Fall Assange zeigt, dass es den Regierungen heute nicht mehr um legitime Vertraulichkeit geht, sondern um die Unterdrückung der Wahrheit zum Schutz von unkontrollierter Macht, Korruption und Straflosigkeit.»

Die Hetzjagd auf Julian Assange

Julian Assange wird wegen der Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen seit nunmehr zwölf Jahren verfolgt. Nach der Veröffentlichung von enthüllenden Dokumenten über die Internet-Plattform Wikileaks im Jahr 2010, in denen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen des US-Militärs dokumentiert wurden, leitete die US-Justiz Ermittlungen wegen Geheimnisverrats und Spionage gegen Julian Assange ein. Schweden erliess einen Haftbefehl gegen ihn wegen angeblicher Sexualdelikte. Um einer Auslieferung an die USA oder an Schweden zu entgehen, flüchtete er 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte politisches Asyl. Dort wurde seinem Asylgesuch stattgegeben und ihm 2018 zudem die ecuadorianische Staatsbürgerschaft verliehen. Sieben Jahre lang hielt sich Assange in der ecuadorianischen Botschaft in Quasi-Gefangenschaft auf. Aus Furcht vor dem Zugriff der britischen Behörden konnte er das Gebäude nicht verlassen. 2019 wurden die Ermittlungen wegen der Sexualdelikte mangels Beweisen eingestellt. Doch im selben Jahr entzog ihm der neu gewählte ecuadorianische Präsident Moreno das Asylrecht und die ecuadorianische Staatsbürgerschaft. Kurz darauf gewährte die Botschaft der britischen Polizei Zutritt. Julian Assange wurde verhaftet und in Auslieferungshaft gesetzt. Das britische Innenministerium hat seine Auslieferung genehmigt. Auf Assanges Berufungsantrag tritt der Oberste Britische Gerichtshof nicht ein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 23.12.2022 um 12:39 Uhr
    Permalink

    Wer am stärksten bläst, dreht die Windfahnen herum. Wir sollten etwas mehr blasen !

  • am 24.12.2022 um 11:15 Uhr
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    Eine Freundin steht Mahnwache vor der britischen Botschaft in Bern. Zuerst kam ein Polizist wie zufällig vorbei und erkundigte sich nach ihrem Tun. Das Ganze endete vor dem Staatsanwalt, der das Verfahren vorläufig eingestellt hat Soviel zur freien Meinungsäussrung zu politisch nicht genehmen:Themen bei uns.

  • am 25.12.2022 um 19:57 Uhr
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    Unser Land sollte die wirtschaftlichen Beziehungen mit den USA einstellen!
    Es ist auch völlig unverständlich, dass wir unsere Neutralität zu Gunsten der US-NATO-Osterweiterung beerdigt haben!

    Wir huldigen dem Imperium, das unseren Hochschulen verbindliche Anweisung auf Entlassung verdienter Professoren geben kann, den Leitmedien Drehbücher der «Mund-Tötung» verordnen kann! Wann endlich wachen unsere Parlamente und Regierungen auf, indem sie endlich die Taten mehr gewichten als den Wortschwall der angeblichen Freunde?
    Unsere angeblich souveräne Schweiz, die dann zum Dank für die erpresserische Einmischung in innere Angelegenheiten noch fragwürdige Kampftechnik einkaufen will, die offenbar vom US-Hersteller völlig abhängig sind und bleiben werden, möglicherweise gar ferngesteuert ausser Gefecht gesetzt werden können.
    Für WEN parlieren, legiferieren und regieren eigentlich unsere Volksvertreter?

  • am 26.12.2022 um 03:45 Uhr
    Permalink

    Wenn sich ganze Staaten und Justizbehörden gegen einen einzelnen Bürger, der seine Rechte zur freien Meinungsäusserung nutzt und damit Aufklärung zugunsten der Öffentlichkeit betreibt, mit massivsten Mitteln mundtot gemacht wird, ist das ein klares Zeichen dafür, wie schuldig sich diese Institutionen und Gremien fühlen. Hätten sie keinen «Dreck am Stecken», müssten sie sich auch nicht so vehement zur Wehr setzen. Die ganze Hetze gegen Julian Assange ist ein Eingeständnis der Schuld und des Versagens vieler US-Behörden, der US-Justiz und der US-Politik. Wer sich keiner Schuld bewusst ist muss seine Unschuld auch nicht so übertrieben verteidigen.

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