Kommentar
kontertext: Meinungsfreiheit gegen people of color
Die deutsche Autorin Jasmina Kuhnke – «Schwarzes Herz» heisst ihr Debüt-Roman bei Rowohlt – hat ihren Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse abgesagt. Sie fühle sich auf der Messe nicht sicher, sagte sie, und wolle gegen die Präsenz eines rechtsradikalen Verlages namens Jungeuropa protestieren. Andere Autor*innen, Künstler*innen und Medienschaffende haben sich mit Kuhnke solidarisiert und z.T. ihre Messeauftritte abgesagt.
Die Buchmesse und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels reagierten schnell mit einer Pressemitteilung: Sie beriefen sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit: «Das Verbot von Verlagen oder Verlagserzeugnissen obliegt in unserem Rechtsstaat den Gerichten, und nicht einzelnen Akteur*innen wie der Frankfurter Buchmesse.» An die Adresse der geladenen Autor*innen, die der Messe fernbleiben wollen, erging von Seiten der Messe und des Börsenvereins die Mahnung: «Ihre Stimmen gegen Rassismus und ihr Eintreten für Diversität werden auf der Frankfurter Buchmesse fehlen.»
«Ich will dich massakrieren»
Die Meinungsäusserungsfreiheit ist natürlich ein starkes Argument. Auch ist die Buchmesse kein kuratierter Salon, kein redaktionell betreutes Medium, sondern ein Marktplatz. Wer bezahlt, darf seinen Stand aufstellen, falls er*sie sich an die Gesetze hält und nicht gerade eine illegale Vereinigung ist. Die Messeleitung kann und darf also nicht ohne Weiteres Verlage ausschliessen.
Aber: Grundrechtliche und andere juristische Prinzipien erscheinen immer nur in konkreten gesellschaftlichen Situationen. Da fällt ein grelles Licht auf Deutschland und wohl noch viele andere Länder. Jasmina Kuhnke twittert als «Quattromilf» mit 81’400 Followern erfolgreich gegen Rassismus und Faschismus. Man lese im Spiegel vom 10. April dieses Jahres, wie sie deswegen verfolgt und bedroht wird. Zusammen mit dem Lied «Verdammt, ich will dich massakrieren» wurden Kuhnkes Adresse und ein Bild des Hauses, in dem sie wohnt, im Internet veröffentlicht. Sie erhielt an einem einzigen Abend 40 Pizza-Lieferungen. In ihrem Briefkasten häuften sich rassistische Postkarten. Die Polizei half ihr zunächst gar nicht, dann nur sehr, sehr zögerlich. Kuhnke muss um ihr Leben fürchten – und um das ihrer Familie, ihrer vier Kinder. Unter diesen Umständen das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit für rechtsradikale Verleger*innen zu verteidigen, bedeutet, dieses Recht Schwarzen, insbesondere Frauen, zu entziehen. Sie werden sich von der Messe fernhalten.
Antirassismus wäre möglich
Kommt hinzu, dass die Messeleitung keineswegs zu totaler politischer Passivität und Neutralität verurteilt ist. Sie hat dem Jungeuropa Verlag, der im rechten, rechtsradikalen und identitären Milieu bestens verankert ist, einen prominenten Standplatz zugeteilt: in direkter Nachbarschaft zum «Blauen Sofa» der ARD und zum Stand des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Vertreter des Verlages haben sich denn auch gefreut, dass sie diesmal aus der «Arschlochgasse», abseits in der Halle 4, herausgekommen sind. Mag sein, dass die Messeleitung hier in Unkenntnis agiert hat. Wer kannte schon vor der jetzigen Affäre den Jungeuropa Verlag? Für diesen Fall allerdings hätte Messedirektor Boos den Fehler öffentlich bekennen und sich entschuldigen müssen. Überhaupt hätte er handeln können und sollen. Er hätte Kuhnke besuchen, mit ihr zusammen eine Erklärung abgeben und für ihre Messepräsenz via Medien, via Skype z.B., sorgen müssen. Dass er stattdessen von den Betroffenen fordert, das – trotz Schutzmassnahmen akute – Risiko eines Messeauftritts auf sich zu nehmen, um Diversität zu fördern, ist deplatziert.
Natürlich ist das Fernbleiben von Jasmina Kuhnke und einigen ihrer Gesinnungsgenoss*innen keine gute Lösung des Problems, denn es schwächt die Präsenz von antirassistischen Positionen auf der Messe. Dieser Nachteil von Kuhnkes Aktion wäre nur aufzuheben gewesen, wenn die anderen, die weissen Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft energischer und zahlreicher in die Bresche gesprungen wären. Wo bleiben die Stellungnahmen der ARD-Vorgesetzten und -Mitarbeitenden, die sich eine rechtsradikale Nachbarschaft auf der Messe verbitten? Wo bleiben die täglichen Demonstrationen der Messeteilnehmer*innen?
Helvetisches Wegschauen
In Deutschland findet zur Zeit eine wachsende und teilweise hochstehende Debatte über Kuhnkes Buchmessen-Absage statt. In den USA hat die Washington Post darüber berichtet. Erwähnenswert ist, dass Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, sich mit Kuhnke solidarisiert und damit einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich die Gräben zwischen Schwarzen und jüdischen Menschen, wie sie sich in der Mbembe-Debatte aufgetan haben, zumindest nicht weiter vertiefen.
Die Schweizer Medien scheinen entschlossen, die Chance zur Auseinandersetzung zu versäumen. Die NZZ behandelt die Debatte als Petitesse. Unter dem Zwischentitel «Die übliche kleine Aufregung» nutzt Paul Jandl die Metapher vom Messe-Klima («kurz stärker bewölkt»), um die Affäre kleinzureden. Im Tagesanzeiger habe ich gar nichts gefunden. Auf SRF 2 Kultur enthielt sich der berichtende Literaturredaktor jeder Stellungnahme und damit auch jeder Empathie mit den people of color. Er zog sich zurück auf die Formel, «was sich aber sicher sagen lässt»: dass nämlich die Debatte «zweifelsohne gesellschaftspolitisch relevant» sei.
Die britisch-deutsche Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo, ebenfalls eine person of color, sagte im Deutschlandfunk, sie habe noch nicht einmal so sehr Angst vor den Rechtsradikalen auf der Messe. Sie stelle sich vielmehr die bange Frage: Auf wen kann ich mich verlassen? Sie sagte sinngemäss: Wer stellt sich vor mich, wer verteidigt mich, wenn es ernst wird?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Felix Schneider, geboren 1948 in Basel. Studium (Deutsch, Französisch, Geschichte). Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Was sind ‹people of color›? Unabhängig von dem, was diese sprachliche Fehlleistung bedeutet, in jedem Staat gilt, was nicht gegen geltendes Recht verstösst, ist zulässig. Wer Wirklichkeit fühlt, Koinzidenzen oder Grauskalen zwischen Recht und Unrecht benutzt, der muss an seiner Persönlichkeit arbeiten.
Gefühle gibt es nur um Privatleben, nicht auf der Buchmesse und in der Politik.
Wer sich in den asozialen Medien um Aufsehen bemüht, bekommt dieses auch. Und je extremer man sich positioniert, umso weniger darf man sich über allfällige negative Reaktionen empören. Und Viele suhlen sich geradezu in ihrer Opferrolle, weil dies noch mehr Aufsehen erregt. Vermutlich kurbelt die Diskussion über das Fernbleiben von Frau Kuhnke an der Buchmesse den Verkauf ihres Buches mehr an als ein Stand dort.
PS: Eine Bitte an den Autor: Bitte lassen Sie das Gendern – Ihr Text wäre viel einfacher zu lesen.
Danke für den wertvollen Beitrag! Aber: Farbige Personen sollen nun also auf Deutsch «persons of color» heissen? Soll jemand kommen und auch noch behaupten, auf Deutsch heisse es richtig «persons of colour»! Das ist nun wirklich Blödsinn und unverdaulich. Totaler Blödsinn!
Auch der deutsche Begriff ‹Farbiger› ist Blödsinn. Schwarz und Weiss sind keine Farben und menschliche Haut hat sowieso keine Farbe, nur Tönungen. Einzige Ausnahme mag der Sonnenbrand bei Weisshäutigen sein.
Ich weiss nicht, was Journalisten und Politiker dazu bewegt, der Umgangs- wie der Hochsprache entgegen einen Primitivwortschatz zu benutzen, der an den verklemmter Pubertierende erinnert: ‹Betagte› oder ‹Senioren› für Alte, ‹Gehandicapte› für Behinderte und eben ‹Farbige› für Nichtweisse. Das ist hässlich und obendrein noch sachlich falsch.
Das einzig wirklich Besondere am Homo sapiens ist die Befähigung zu syntaktisch- grammatikalisch Sprache, welche so eng an die Wirklichkeit angelehnt ist, dass man diese damit verlustarm beschreiben kann. Die Verlustarmut geht verloren, wenn man Syntax und Grammatik auf dem Altar der neoliberalen Ideologie opfert, die verniedlicht, vermenschlicht und vergegenständlicht. Eine Ideologie, die verlangt, Sprache solle gerecht sein (Sprache kann ebenso wenig gerecht, wie Lebensmittel nicht gesund sein können. Subjektive Kategorien kann man nicht auf Objektives anwenden).
Wenn der Inhalt es erfordert, muss Sprache auch weh tun, verletzen können, wie alles im Leben auch wehtun und verletzen können muss. Das Puppenstubenalter ist spätestens mit der Einschulung beendet.
Danke, Herr Schrader, für Ihren Kommentar. Sie sprechen mir aus der Seele. Ins gleiche Kapitel gehört das «Gendern». Wie kann man nur die deutsche Sprache dermassen verhunzen. Dass mittlerweile (fast) alle Journalisten, sowohl im Fernsehen als auch im Radio und in der gedruckten Presse nicht einmal mehr den Unterschied zwischen dem Sexus und dem Genus zu kennen scheinen oder die grammatikalischen Regeln bewusst ignorieren, einfach nur um «woke» zu sein, ist unsäglich.
«Jasmina Kuhnke twittert als «Quattromilf» mit 81’400 Followern erfolgreich gegen Rassismus und Faschismus.» Lassen wir den vergessenen Genderstern bei «Followern» mal beiseite und gestehen wir uns ein, dass wir nicht aktiv und passiv twittern: Wie wird hier der «Erfolg» gegen Rassismus und Faschismus gemessen? Gibt es wegen den Tweets von «Quattromilf» weniger davon? Leider liest sich der Text ein wenig so, als sei der «Erfolg» die Todesdrohungen, anhand derer die Autorin die Messeabsage begründen kann und somit definitiv im internationalen Rampenlicht steht. Auch den Übernamen «Quattromilf» finde ich erklärungsbedürftig. Quattro steht für «vier» auf Italienisch und eine Fahrzeugserie von Audi. Milf ist mir bekannt als eher despektierliche Abkürzung aus der Pornoindustrie. Was soll das?
Es ist bemerkenswert, dass dieselbe Zeitung, die den Literaturnobelpreis für Peter Handke kritisiert hat, einen apologetischen Kommentar von Martin Ebel abdruckt, der die Rechtsradikalen gegen Frau Kuhnke in Schutz nimmt. Wenn man im einen Fall also moralische Gründe geltend macht und im anderen nicht (weil man nur «juristische Gründe» für relevant hält), dann könnte diese Einseitigkeit am Ende durch latenten Rassismus zu erklären sein.