Psychisch kranke Häftlinge: Justiz verurteilt Kanton Wallis
Beim Lesen des Nouvelliste vom 23. März 2022 traute ich meinen Augen nicht: Im Wallis werden psychisch kranke Häftlinge immer noch ohne angemessene Therapie in normalen Gefängnissen inhaftiert, weil keine geeignete Anstalten vorhanden sind.
Für diese illegale Praxis wurde der Kanton Wallis in den letzten fünf Jahren von der Walliser Justiz bereits fünf Mal verurteilt, wie der Nouvelliste berichtete. Die letzte Verurteilung betrifft einen psychisch kranken 50-jährigen IV-Rentner, der in der Walliser Strafanstalt Crêtelongue bei Siders drei Jahre und dreieinhalb Monate (1200 Tage) illegal inhaftiert war.
Aktuell sind im Wallis sieben Häftlinge von einer solchen rechtswidrigen Unterbringung im Strafvollzug betroffen. Im Kommentar spricht der Nouvelliste-Redaktor Gilles Berreau von «einem regelrechten Skandal» und hält fest: «Jeder wird sagen, dass sich das ändern muss. Dabei ist die Situation seit sehr Langem bekannt.»
Missstände sind schon sehr, sehr lange bekannt
Tatsächlich ist diese illegale Praxis schon seit Jahrzehnten bekannt. Im Winter 1986/87, also vor rund 35 Jahren, sass ich wegen Kriegsdienstverweigerung eine Haftstrafe in Walliser Gefängnissen ab, unter anderem auch in der Strafvollzugsanstalt Crêtelongue.
Noch während der Haftstrafe prangerte ich diverse Missstände im Walliser Strafvollzug öffentlich an, unter anderem auch die Inhaftierung von psychisch kranken Häftlingen; beispielsweise den psychisch kranken Häftling, «der vor lauter Sandoz-Kommunion nicht mehr weiss, was unten und oben ist» und der «vor lauter Aggressionsstau» einen Wärter am Kragen packte. Oder der psychisch kranke Alkoholiker, der «zitternd im Gesetzesbuch blättert, um dem feinen Spinnennetz von Advokaten, Vormundschaftsbehörde und Gefängnisdirektion zu entkommen». (WOZ, November 1986)
Im Buch «Tal des Schweigens» (Kapitel: Erinnerungen an die Strafkolonie) fasste ich vor zehn Jahren die Zustände in der Strafanstalt Crêtelongue Mitte der 80er Jahre wie folgt zusammen:
«Es war ein Sammelbecken für Kleinkriminelle, Mörder, Sexualtäter, Pädophile, psychisch Kranke, Invalide, Drogensüchtige, Alkoholiker, Ausgestossene und Unnütze. Zur Betreuung der Gefangenen, insbesondere der psychisch Kranken, gab es kein Fachpersonal. Keine Therapeuten und keine Sozialarbeiter. Von Resozialisierung keine Spur.»
Wie sich die Zeiten ändern
Der Nouvelliste, der heute erfreulicherweise Klartext spricht, nahm im Dezember 1986 die Walliser Gefängnis-Direktion gegen meine Kritik grosszügig in Schutz und zitierte die Wärter, die mich als notorischen Störenfried abqualifizierten, der «keine Gelegenheit ausliess, zu widersprechen oder Unruhe zu stiften». Wie sich die Zeiten ändern!
Trotz mehreren Urteilen der Walliser Justiz und dem öffentlichen Druck, eilig hat es der Kanton nicht. In seiner «Vision 2030» aus dem Jahr 2018 wollte der Kanton einen speziellen Trakt für psychisch Kranke erstellen. Doch laut dem Nouvelliste gibt es bis heute «kein Datum für den Beginn der Bauarbeiten».
Weitere Links zum Thema:
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Behörden des Kanton Wallis erachte ich als stehengeblieben und hinterwäldlerisch. Eine Mehrheit der Bevölkerung will das so.Deshalb gibt es politisch kaum Veränderungen.
Wer unschuldig im Gefängnis war kann den Staat verklagen. In einem Rechtsstaat wäre das so. Bei uns offenbar nicht.