Obama lässt Snowdens Anhänger warten
Edward Snowden enthüllte gegenüber dem britischen «Guardian» die weltweite Internet-Überwachung der US-Spionagedienste. Der Whistleblower ist in Moskau, wo er Asyl beantragt hat. Die USA haben Haftbefehl erlassen und wollen seine Auslieferung. Am 9. Juni hatte Snowden seine Identität enthüllt. Seitdem kennt ihn die ganze Welt.
Noch am gleichen Tag lancierte P.M aus Rochester NY auf der Regierungs-Plattform «We the People» des Weissen Hauses eine Petition. Snowden sei ein «nationaler Held», dem die USA für allfällige Verstösse gegen Gesetze infolge seiner Enthüllungen volle und absolute Straffreiheit gewähren müssten. Bisher haben über 131’000 Menschen die Petition unterzeichnet.
Das Ziel: mehr Durchlässigkeit
Die Online-Plattform «We the People» ist eine Erfindung der Obama-Administration. Sie offeriert eine verbesserte Durchlässigkeit zwischen Regierung und Volk. Wer ein politisches Anliegen hat, und sei es noch so schräg, kann sich per E-Mail registrieren, und eine Petition lancieren. 150 Unterschriften sind nötig, damit sie auf der Plattform publiziert wird, 100’000 Unterschriften, damit der Stab oder der Präsident selber eine Antwort verfassen.
Im Februar 2013 schrieb das Magazin «Time», dass der Seiten-Traffic alle Erwartungen übertreffe und gegen zehn Millionen Petitions-Unterschriften registriert seien. «Wir wollten ein System, das so offen ist wie möglich», sagte der Verantwortliche Macon Philips gegenüber «Time»: «Ich sehe diese Offenheit als Stärke.»
Kein Antwort-Zeitrahmen für Administration
Offenheit tönt gut – doch wie sieht die Praxis aus? Anfangs Jahr erhöhte das Weisse Haus die Zahl zur Beantwortung von Petitionen von 25’000 auf 100’000 Unterschriften und baute damit eine grössere Hürde ein. Noch gravierender ist: Die Antworten auf die Petitionen folgen keinem klaren Prinzip. Sie sind nicht datiert und die Administration gibt sich keinen verbindlichen Antwort-Zeitrahmen. Dagegen existiert eine Vorgabe von einem Monat für die Beschaffung von 100’000 Unterschriften.
Das eröffnet Spielraum, den die Administration je nach politischer Opportunität ausnützt. Nach dem Amoklauf am 14. Dezember 2012 an einer Grundschule in Newtown mit 28 Toten sprachen sich 33 Petitionen sofort für oder gegen schärfere Waffengesetze aus. Die Sammelantwort mit konkreten Plänen von Präsident Barack Obama inklusive integriertes Video wurde wenige Tage später aufgeschaltet.
Verärgerte Petitionäre stossen nach
Von diesem Tempo können die Snowden-Petitionäre nur träumen. Ihr Anliegen kreist seit Wochen in der Warteschlaufe. Am 18. Juli doppelten sie verärgert wiederum mit einer Petition nach: «Wir, das Volk, warten auf eine Antwort der Obama-Administration.» Das bringt nun allenfalls Zug in die Sache. Wie die Antwort ausfallen wird – darüber machen sie die Petitionäre aber wohl kaum Illusionen. Zwei Beispiele zeigen, wie das Weisse Haus den Ruf nach Straffreiheit respektive Begnadigung individueller Fälle bewertet:
■ Bradley Manning, Nachrichtenanalyst in der US-Armee, hat geheime Videos und Dokumente kopiert und der Website WikiLeaks zugespielt. Sein Prozess läuft vor einem Militärgericht. Manning droht eine jahrelange Haftstrafe. Das Strafmass wird im August verkündet. Die Petition «Free PFC Bradley Manning» fordert seine Freilassung und freien Zugang des UN-Beauftragten Juan Mendez, um Mannings Haftbedingungen zu überprüfen. Das Weisse Haus schreibt, dass es sich zu Strafverfolgungen, der Durchsetzung von Gesetzen und ähnlichem nicht erkläre. Das gelte auch für die Militärgerichtsbarkeit. Darum äussere man sich im Falle Manning nicht zu den in der Petition aufgeworfenen Fragen.
■ Leonard Peltier ist ein wegen Beihilfe zum Mord an zwei FBI-Agenten 1977 zweifach zu lebenslänglicher Haft verurteilter indianischer Aktivist. Er würde 2040 freigelassen. Eine erste Begnadigung wurde abgelehnt, obwohl es schwere Zweifel an der Fairness des Verfahrens gegen Peltier gibt. Eine Petition fordert von Obama die Begnadigung: «Herr Präsident, Sie können und müssen Leonard Peltier frei lassen.»
Das Weisse Haus räumt ein, dass die Verfassung dem Präsidenten dieses Recht zugestehe. Aber er stütze sich auf die Empfehlung des Justizdepartements. Das sei seit über 100 Jahren so. Darum müssten die Begehren an die zuständigen Stellen im Justizdepartement gerichtet werden. Der Präsident gehe mit seiner Kompetenz äusserst sorgfältig um, bevor er entscheide. Das Weisse Haus sage im weiteren nichts zu individuellen Begnadigungs-Anliegen. Das sei auch hier so.
Wie das Weisse Haus antworten wird
«Wir kommentieren individuelle Fälle nicht, wenn die Justiz am Zug ist» – in diese Richtung wird das Weisse Haus auch im Fall Snowden gehen. Während bei Manning respektive Peltier die Petitionen von einigen Tausend getragen wurden und die Administration sich trotzdem eine Antwort abrang, sind es bei Snowden immerhin über 130’000, die auf die Argumentation aus Washington gespannt sind.
Derweil versucht US-Justizminister Eric Holder, mit Garantien Russland dazu zu bringen, Snowden auszuliefern. Holder versicherte seinem russischen Amtskollegen per Brief, Snowden drohe in den USA weder die Todesstrafe noch werde er gefoltert: «Folter ist in den USA verboten.» Eine Empfehlung auf Straffreiheit sieht anders aus.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine