Kommentar

Ein Wort wird teuer : «Hochstaplerin»

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsRechtsanwalt Peter Studer war Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“ (bis 1988) und später Präsident des Presserats. Heute schreibt ©

Peter Studer /  Obergericht lobt TA-Journalisten für Kritik an Möchtegern-Astronautin, büsst ihn aber wegen eines einzigen kennzeichnenden Worts.

Das Zürcher Obergericht hat sich in zweiter Instanz mit dem kritischen Artikel des TA-Journalisten Maurice Thiriet über die diplomierte Astrophysikerin und Lehrerin Barbara Burtscher befasst. Seit Wochenende liegt das schriftliche Urteil vor.

Zürcher Obergericht als subtile Sprachpolizei

Der Titel des Artikels war: Die eingebildete Astronautin. Burtscher habe als unechte Nasa-Anwärterin – sie wirkte nur in einem schulischen Nebenbetrieb – die Titelseiten erobert. «Weil ihre Geschichte so gut war, habe keiner genau nachgefragt. Ein Fehler». Im Text erwähnte Thiriet «die kurze Karriere als Hochstaplerin». Das Verfahren vor Obergericht drehte sich nur noch um das Wort «Hochstaplerin».

Immerhin senkte das Obergericht die bedingte Geldstrafe von 75 auf nunmehr 60 Tagessätze à 90 Franken. Dazu kommen Gerichtskosten von insgesamt 7500 Franken und eine Prozessentschädigung an die obsiegende Astrophysikerin von 12700 Franken. «Hochstaplerin» – ein teures Attribut!

«Beschimpfendes Werturteil»

Frau Burtscher hatte Wikipedia zitiert, wonach eine Hochstaplerin häufig mit der Absicht des Betrugs vorgestellt werde. Das Attribut werde praktisch ausnahmslos für kriminelles Handeln verwendet. Das ging dem Obergericht zu weit. Aber –so das Obergericht – es gebe Bundesgerichtsentscheide, einen von 2011 und einen von 1951, die den Vorwurf der Hochstapelei strafrechtlich als beschimpfendes Werturteil taxierten. Gemeint sei nämlich das «Vortäuschen einer besonderen Fähigkeit, Ausbildung oder Funktion, die in Tat und Wahrheit nicht gegeben sei». Thiriet werfe Burtscher bewusst und voreingenommen vor, über Aktivität und Qualifikationen gelogen zu haben – ein «unehrenhaftes» Verhalten. «Beim unbefangenen Durchschnittsleser des TA-Artikels mit durchschnittlichem Wissen und gesunder Urteilskraft» habe dieser «Eindruck» entstehen müssen. Das belege der auf Thiriet gestützte Artikel im früher von Burtscher begeisterten «Blick am Abend»: Das «Mondkalb» Burtscher habe alle an der Nase herumgeführt, steht darin. – Thiriet zieht das Urteil an das Bundesgericht weiter. Hier können nur einige Widersprüche, die im Urteil auftauchen, skizziert werden:

  • Das Gericht klammert sich an zwei Bundesgerichtsurteile. Das eine, nachvollziehbarere, rügte (2011) einen Ehrverletzer, der einen Andern im Internet ohne Beleg als «hochverschuldeten Hochstapler» verunglimpfte: Eine klare Ehrverletzung, klarer als im «Fall Burtscher».
  • Das Obergericht verzichtete leider darauf, sich nach weiteren, harmloseren Bedeutungen des Worts «Hochstapelei» umzusehen. Abgesehen von Thomas Mann, der sich schmunzelnd hochstaplerischer Anwandlungen erinnerte und ihnen in seinen «Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull» ein spätes Denkmal setzte, wäre Gottfried Keller zu erwähnen. Er hatte den Typus des «Hochstaplers wider Willen» (so ein Biograf) lange mit sich herumgetragen. Seine bekannteste Novelle: «Kleider machen Leute». Der mittellose Schneidergeselle Wenzel Strapinski wehrte sich nicht dagegen, von Goldach bis Seldwyla als polnischer Graf herumgereicht zu werden. Er bereute. «Hochstapler» diagnostiziert hier menschlich-allzumenschliches, nicht strafrechtlich «unehrenhaftes Verhalten».
  • Weshalb stellte das Obergericht bloss auf den angeblich entstandenen «Eindruck» ab und zitierte als Indiz dafür die Gratiszeitung «Blick am Abend»? Weiter unten lobt es den «(zu Recht) mit dem Journalistenpreis 2011 ausgezeichneten» Autor Thiriet, weil er den «aufbauschenden» und «reisserischen» Umgang der Boulevardpresse mit der Lehrerin Burtscher kritisierte. Das Bundesgericht hat längst klargestellt, dass man angesichts der Kritikfreiheit einem Journalisten nicht einfach die schlimmstmögliche Wortbedeutung unterstellen darf – so in einem prägnanten Urteil zugunsten der Walliser Alternativzeitschrift «Rote Anneliese» (2009).
  • Frau Burtscher habe das mediale Interesse an ihrer Person «gesucht und genossen», billigte das Obergericht dem Journalisten zu. Einige wenige Übertreibungen hat Burtscher korrigiert. Aber sie «muss sich gefallen lassen», als «eigentlich naiv-prahlerisch», als «Angeberin, Blenderin, Aufschneiderin» kritisiert zu werden – nur eben nicht als «Hochstaplerin». Das Obergericht als Sprachpolizistin mit der Pinzette!

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Rechtsanwalt Peter Studer war Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“ (bis 1988) und später Präsident des Presserats. Heute schreibt er über Medienrecht und Medienethik. – Der Kommentar erschien am 2. Dezember im «Tages-Anzeiger».

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Eine Meinung zu

  • am 3.12.2013 um 23:22 Uhr
    Permalink

    Gibt es da nicht sinnvolleres für den Richter? Wortklauberei? Arbeitsbeschaffung? kaum zu verstehen so was. Am besten man macht hinter jede Schlagzeile ein Fragezeichen, ganz klein, dann ist es eine Frage, zumindest Symbolisch, und keine Aussage, die einem teuer zu stehen kommt, obwohl eigentlich der gute Bericht das Grenz-Wörtlein doch aufwiegt. Journalisten-Schelte für nichts? Seltsam.

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