Geflüchtete Menschen in Libyen

Geflüchtete Menschen in Libyen. © «ZDF»

Italien lässt per Haftbefehl gesuchten libyschen General laufen

Albrecht Kieser /  Der Vorwurf: Er soll Migranten gefoltert und ermordet haben. In Libyen wurden Massengräber entdeckt.

Der aktuelle Länderbericht von «Amnesty International» über Libyen liest sich wie ein Kompendium des Schreckens:

«Im September 2023 waren in den Haftzentren, die der Abteilung zur Bekämpfung unerlaubter Migration des Innenministeriums unterstanden, 3913 ausländische Staatsangehörige willkürlich inhaftiert. Tausende weitere wurden von der «SSA»-Miliz und anderen Milizen und bewaffneten Gruppen festgehalten. Die Haftbedingungen waren grausam und unmenschlich. Die Inhaftierten erlitten Folter und andere Misshandlungen, einschliesslich sexualisierter Gewalt. Man erpresste Lösegeld von ihnen als Bedingung für ihre Freilassung und verweigerte ihnen eine angemessene medizinische Versorgung.

Mit der «LAAF» (Libyan Arab Armed Forces, d. Red.) verbündete bewaffnete Gruppen trieben mehr als 22’000 Flüchtlinge und Migrant*innen gewaltsam an die Grenzen mit Ägypten, Niger, Sudan und dem Tschad, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Abschiebung anzufechten oder internationalen Schutz zu beantragen.»

Im Jet des italienischen Geheimdiensts ausgeflogen

Die «Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen» bestätigt diese Darstellung und fügt in ihrem Bericht hinzu: «Staatliche Akteure üben systematisch Gewalt gegen Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie Oppositionelle aus und erhalten dabei teilweise direkte Unterstützung durch die EU.»

Wie das aussieht mit der «direkten Unterstützung durch die EU» hat gerade Italien vorgeführt. Der libysche General Njeem Osama Almasri Habish, kurz Almasri, wird seit dem 17. Januar 2025 vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Mord, Folter und Vergewaltigung gesucht. Italienische Behörden liessen den Mann exakt zu diesem Zeitpunkt einreisen, meldeten allerdings seine Einreise nicht nach Den Haag.

Stattdessen bestellte die italienische Regierung unter der Neofaschistin Meloni dem Gesuchten einen Falcon-Jet des Geheimdienstes und flog ihn in seine Heimat nach Tripolis aus. Dafür musste sie Almasri allerdings vorher aus der Polizeihaft befreien, aus italienischer Polizeihaft wohlgemerkt, denn die italienische Polizei-Einheit für politische Verbrechen, DIGOS, hatte Almasri, dem Haftbefehl aus Den Haag Folge leistend, in einem Turiner Hotel festgenommen, wie «n-tv» berichtete.

40 Seiten lesen – unmöglich am Wochenende

Die Staatsanwaltschaft in Rom (so «Euractiv») ermittelt seitdem gegen die italienische Regierung, namentlich gegen Meloni und ihren Justizminister Carlo Nordio, ihren Innenminister Matteo Piantedosi und den Unterstaatssekretär des Premierministers, Alfredo Mantovano, wegen Mittäterschaft und Vertrauensbruch.

Ob die Staatsanwaltschaft die Einlassung des Justizministers vor dem italienischen Parlament überzeugt? Dort hatte Nordio erklärt, es sei unmöglich gewesen, «den 40-seitigen Haftbefehl in so kurzer Zeit, am Wochenende, zu lesen, weil er auf Englisch verfasst war», so «n-tv».

Bedeutendere Gründe für die Beihilfe zur Flucht sind vermutlich andere: Auf libyschen Facebook- und Tiktok-Accounts wurde nach der Verhaftung gedroht: «Gebt uns Almasri zurück, sonst greifen wir den italienischen Gas- und Öl-Konzern ENI an.»

EU staffiert die libysche Küstenwache aus

Und noch förderlicher für die Fluchtbeihilfe dürfte der Deal sein, den die EU, namentlich Italien, mit den diversen libyschen Machthabern eingegangen ist: Die Abwehr von Migrant*innen, die nach Europa wollen, gegen Geld und militärisches Gerät. 2017 wurde das Migrations-Abkommen geschlossen, seitdem bringt die libysche Küstenwache, ausstaffiert von Italien und der EU, zehntausende Menschen, die sich bereits ausserhalb der libyschen Hoheitsgewässer in Richtung Italien befinden, völkerrechtswidrig zurück und überliefert sie in die Auffang- und Folterlager im Land. 

Die Miliz «Rada», die unter Almasris Befehlt steht, beaufsichtigt allein insgesamt drei Gefängnisse mit etwa 15’000 Insassen. Almasri selber leitet das Mitiga-Gefängnis, entscheidet dort über Leben und Tod, wie die Den Haager Ermittler schreiben. «Der UN-Menschenrechtskommissar spricht in einem Bericht sogar von möglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, denen Schutzsuchende in Libyen ausgesetzt sind», berichtet «Ärzte ohne Grenzen».

Manche Leichen hatten Schusswunden

Am 11.02.2025, wenige Wochen nach der geglückten und durch die italienische Regierung ermöglichten Flucht des gesuchten Almasri, wurden in Libyen Massengräber von ermordeten Migrant*innen gefunden. Laut «Deutschlandfunk» habe die «Internationale Organisation für Migration» (IOM) «schockiert auf die Entdeckung von zwei Massengräbern in Libyen reagiert. Darin seien Leichen von zahlreichen Migranten gefunden worden, einige davon mit Schusswunden. In einem Grab seien 19 Leichen entdeckt worden; in einem weiteren bislang mindestens 30.» Die Massengräber seien im Zuge von Polizeirazzien entdeckt worden.

Die «IOM» selber äussert sich zur Entdeckung der Massengräber, ohne auf den Skandal um die Freilassung des libyschen Foltergenerals Almasri durch Italien einzugehen. Das verwundert insofern nicht, als die Organisation seit vielen Jahren in der Kritik steht, weil sie hauptsächlich die Rückführungsprogramme europäischer Regierungen umzusetzen hilft – das Gegenteil also von einer Hilfestellung für Migrant*innen, die auf der Suche nach besseren Lebensmöglichkeiten im globalen Norden sind. Die Kritik wird von zahlreichen NGOs geteilt.

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