Mar Menor Spanien 2019

Das Mar Menor, eine Lagune am Mittelmeer ist seit September eine juristische Person. Durchgesetzt hat das eine Bürgerinitiative. © cc-by-sa-4 Marta T López, Wikimedia Commons

In Spanien hat eine Lagune jetzt eigene Rechte

Daniela Gschweng /  Die Lagune Mar Menor ist seit kurzem eine juristische Person. Sollte das auch mit anderen Naturgebieten so sein?

Europas grösste und am meisten bedrohte Salzwasserlagune hat jetzt eigene Rechte. Spanien hat der Lagune Mar Menor an der Costa Blanca den Status einer juristischen Person verliehen.

Jede Privatperson kann in Zukunft im Namen der 170 Quadratkilometer grossen Lagune Klage einreichen. Das hätte das «Kleine Meer» bereits in der Vergangenheit bitter nötig gehabt: Mar Menor ist verschmutzt durch Abwässer, Düngemittel und Abfälle aus dem Bergbau.

Mehr tot als lebendig

2016 starben durch eine Algenpest fast alle Lebewesen in der Lagune. Ausgelöst wurde sie angeblich durch starke Regenfälle und einen gestiegenen Grundwasserspiegel, die den Salzgehalt verminderten. 2019, 2020 und 2021 gab es wieder eine Algenblüte, auch 2022 fürchteten Anwohner das Schlimmste.

Anwohner sehen Nitrate und Phosphate aus der – teils illegalen – Landwirtschaft als Ursache an. Umweltschutzmassnahmen seien nicht umgesetzt worden, beklagten sie. Dass es der Lagune nicht gut geht, bemerken sie deutlich: Der Tourismus brach ein, die Fische starben tonnenweise, Baden wird an einigen Stellen regelmässig verboten, das Wasser der Lagune kippte mehrmals um.

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Die Lagune Mar Menor in Südostspanien von oben gesehen.

Eine Bürgerinitiative mobilisierte 640‘000 Personen und forderte den neuen juristischen Status ein. Am 21. September wurde das Mar Menor im spanischen Senat endgültig als juristische Person bestätigt. Dass sich die Dinge bessern, ist nicht garantiert, aber die Möglichkeiten für Umweltschützer sich gegen die Zerstörung zu wehren, werden grösser.

Wo das Problem liegt

Weltweit gebe es rund 400 Initiativen, die sich für ähnliche Projekte einsetzen, berichtet die Juristin Laura Burgers in einem Interview mit der «Zeit». Was sie damit ändern wollen, ist ein juristischer Hemmschuh, der bei Umweltzerstörung häufig ist.

In vielen Ländern können allenfalls Umweltschutzorganisationen klagen. Einzelpersonen nur dann, wenn sie ihre eigenen Rechte verletzt sehen, beispielsweise durch schlechte Luft. Eigentlich absurd, da von einer intakten Natur alle anderen Lebewesen abhängen.

Organisationen wie «Client Earth», die die Rechte von Mutter Natur im Gerichtssaal verteidigen, stehen deshalb oft vor dem Problem, dass sie einen konkret Geschädigten finden müssen in dessen  Namen sie klagen können. Klagen können sie natürlich erst dann, wenn der Schaden schon angerichtet ist.

Soll auch die Nordsee ein Subjekt werden?

Wenn Unternehmen und Schiffe Rechte haben, warum nicht auch ein Naturgebiet? Das ist nicht nur eine juristische, sondern auch eine ethische Frage. Wobei beides zusammenhängt. Burgers ist Assistenzprofessorin an der Universität von Amsterdam und berät unter anderem die «Embassy of the North Sea». Die Organisation will in den Niederlanden den Status einer juristischen Person für die Nordsee erreichen.

Auch die Nordsee hat Hilfe nötig. Sie ist verseucht von Chemikalien, Müll, Abwässern und Lärm und tötet so ihre Lebewesen. Exzessive Fischerei und der Bau von Windparks belasten das Meer. Es wird nach Öl und Gas gebohrt, auf dem Meeresboden liegt tonnenweise Müll aus verschiedenen Kriegen (Infosperber berichtete). Dazu kommt Abfall, der einfach im Meer abgeladen wurde – rostende Fässer, die die Umwelt verschmutzen.

Die See hat durchaus ein Interesse, gesund zu bleiben. Dem gegenüber stünden Industrielobbys, grosse Unternehmen, begrenzte öffentliche Mittel oder Korruption, beschreibt Burgers. Gebiete wie Mar Menor oder die Nordsee würden als Objekte betrachtet, die man besitzen, verkaufen und ausbeuten kann. Einen gesetzlichen Vertreter hatten sie bisher nicht.

Die Natur als gleichberechtigter Partner

Und auch kein Recht auf eine eigene Perspektive, die ihren Rechten angemessen wäre. Burgers erklärt das so: Ein vom der Klimakrise bedrohtes Korallenriff hat ein Interesse, weiter zu existieren. Für Menschen seien 1,5 Grad Erderwärmung aber noch nicht lebensbedrohlich.

Ob das objektiver ist? Es sei auf jeden Fall eine Verschiebung der Weltanschauung, sagt Burgers. Die Natur werde nicht mehr wegen des Menschen geschützt, sondern um ihrer selbst willen.

Ob das bei der Nordsee funktionieren kann, kann die Juristin nicht sagen. Es spricht aber vieles dafür. Das Mar Menor ist auch nicht das erste Naturgebiet, dass mehr als einen Schutzstatus bekommt. Eine Bürgerinitiative in Ohio schaffte es beispielsweise 2019, die Rechte des Eriesees in der Gesetzgebung zu verankern.

Die «Stimme der Natur» kommt meist aus Bürgerbewegungen

Meist kommen solche Initiativen aus der Bevölkerung, oft aus indigenen Gemeinschaften, die die Auswirkungen der Naturzerstörung hautnah miterleben. Ecuador hat schon 2008 die Rechte von «Pachamama» in die Verfassung aufgenommen. Mutter Natur hat demnach ein Recht auf Achtung und Erhaltung. 2021 wurde so ein Bergbauprojekt gerichtlich gestoppt.

Neuseeland geht einen anderen Weg und hat nicht die gesamte Natur, sondern einzelne Gegenden zur Rechtsperson erklärt – den Wald Te Urewera, einen Fluss und einen Berg. Dazu gibt es Gremien, die als Vertreter fungieren und in ihrem Namen sprechen dürfen. Auch der kolumbianische Fluss Atrato bekam 2016 den Status als Rechtssubjekt. Eine Kommission vertritt seither seine Rechte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Wald

Schutz der Natur und der Landschaft

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3 Meinungen

  • am 9.10.2022 um 00:19 Uhr
    Permalink

    Was soll das «Klagerecht für Jeden» bringen? Denn «Earth First» existiert seit über 40 Jahren. Und Themen wie Klima, Artenschutz, Frieden, betreffen unseren Lebensstil. Letztlich müssten wir gegen uns selbst klagen. (Beispiel: Die Klimaklage des peruanischen Andenbauern und Bergführers Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE.) Quizfrage: Warum nützten Aufrufe des Club of Rome (1970er-Jahre) eher nichts? Warum höre ich seit 50 Jahren «Mit Ihrer Spende retten wir den Regenwald»? Ist der Zustand all dessen heute nicht schlimmer denn je? Meine Diagnose: All die Reservate (Schutzgebiete) zeitverzögern dort den Niedergang nur, weil sie die Ursache nicht heilen: Lebensstil. Mein Modell Prototypprinzip wirkt ätiotrop: «Systemwechsel» (diesen Begriff auch der Klimabewegung hörte ich leider nur früher): Vorbild zwecks Aha-/Heureka-/Dominoeffekt. Kippeffekt. Ein Prototyp zum hautnah Erleben, Realität wählbarmachen (quasi wie Europapark, bloss mit rettender Wirkung): «DAS will ich auch.»

  • am 10.10.2022 um 22:34 Uhr
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    Die «Lagune» kann ja nicht klagen, sondern höchstens ein Mensch in ihrem Namen. In der Schweiz haben wir zu diesem Zweck das Verbandsbeweschwerderecht. Dieses wird allerdings oft von den Umweltverbänden für politische oder finanzielle Erpressungsmanöver missbraucht. Würden Private direkt im Interesse von Naturobjekten klagen können, so wäre das ein Gegengewicht zu den faulen Kompromissen, die die Umweltverbände gegen Bezahlung eingehen.

    • alex_nov_2014_1_3_SW(1)
      am 10.10.2022 um 22:49 Uhr
      Permalink

      Genau darum geht es. Das Verbandsbeschwerdenrecht ist «eine besondere Form der Verbandsklage, mit dem Organisationen… Verfügugen der kantonalen Behörden oder der Bundesbehörden rügen können» (Wikipedia). Es braucht beim Mar Menor keine Organisation wie einen Heimatschutzverband oder Greenpeace. Klagen kann jede Einzelperson, die die Rechte der Lagune verletzt sieht. Das ist der Unterschied.
      Können Sie «oft von Umwelverbänden für politische oder finanzielle Erpressungsmanöver missbraucht» ein Beispiel geben?

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