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Dokumentarfilm über den Strafverteidiger Bernard Rambert © Dschoint Ventschr

Gesetzlose Typen faszinieren ihn

Jean-Martin Büttner /  Ein unkritischer Dokumentarfilm feiert einen kritischen Anwalt. Immerhin hat uns Bernard Rambert eine Menge zu erzählen.

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Strafverteidiger Bernard Rambert

Red. Jean-Martin Büttner schrieb 40 Jahre lang für den «Tages-Anzeiger» in den Ressorts Kultur, Inland, Hintergrund und als Reporter. Heute arbeitet er als freier Journalist in Zürich.

Bevor seine zahlreichen Gegner sich über seine späte Einsicht freuen können: Der Mann hat weder Karl Marx noch dem Kommunismus abgeschworen. Was ihn stört, ist bloss der blecherne Spielzeugmarx bei sich zuhause. Der steht mit Bart, Anzug und gestreckter Faust auf dem Stubentisch und dreht sich zu den Klängen der Internationalen. Ramberts Frau, eine Psychotherapeutin aus dem Tessin, hat Marx aufgezogen und damit vielleicht auch ihren Mann. Der Humor scheint den beiden nicht abhanden gekommen zu sein, obwohl es dem Kapitalismus gut geht. «Aber wie lange noch?», fragt sich Rambert. «Der Kapitalismus fordert immer mehr Rendite, immer weniger Leute werden immer reicher. Das kann doch nicht gut ausgehen.» Auch darum ist er Anwalt geworden: Um jene zu verteidigen, die gegen den Kapitalismus aufbegehren. Auf ihre Art. 

Ortstermin in der Wohnung des Paares in Zürich, die Rambert vor 20 Jahren einem Freund abgekauft hat. Das Haus wirkt auf elegante Weise verkommen, die Wohnung auf angenehme Weise unaufgeräumt.

Ein gelassener Kämpfer

Hier empfängt der Anwalt zum Interview. Anlass ist ein neuer Dokumentarfilm über ihn, davon später. Entspannt und gleichzeitig wachsam sitzt er da, schaut mit seinem Anwaltsblick durch die Hornbrille. Er redet präzis und ohne Hast. Seine Stimme klingt warm. Immer wieder muss er lachen. Mit seinen bald 78 Jahren und dem dichten weissen Haar über seinem gut geschnittenen Gesicht sieht er immer noch unverschämt gut aus und weiss es.

Gespräch mit einem gelassenen Kämpfer für die gute Sache oder was er dafür hält; der aber mehr an der Sache zweifelt, als seine Überzeugungen glauben machen; der sich als aufmerksamer Zuhörer herausstellt, der sich für die Antworten Zeit nimmt und diese gestochen scharf formuliert wie seine Plädoyers, die elegant daherkommen im Gegensatz zu jenen vieler Deutschschweizer Kollegen.

Das mag auch kulturelle Gründe haben. Denn Rambert, Sohn eines Waadtländer Calvinisten, wuchs zweisprachig in Zürich auf, studierte aber auch in Genf und Lausanne. Und hat von der welschen Anwaltskultur mitgenommen, dass die Sprache beim Plädieren ebenso wichtig ist wie der Inhalt. In Genf haben die Jus-Studierenden Rhetorik-Kurse, und die Plädoyers dort sind keine abgelesenen Traktate, sondern oft frei formulierte, elegant vorgetragene, geistreiche Reden.

Sein Hoffen auf den Kommunismus

Wer so kontrovers agiert wie Bernard Rambert, löst entsprechend, kontroverse Reaktionen aus. Die einen haben ihn zum «roten Beni» verherzigt, die anderen zum «Terroristen-Anwalt» brutalisiert. Keines von beidem wird ihm gerecht. Besser trifft es der ehemalige Zürcher Staatsanwalt Andreas Brunner, der mit dem linken Kontrahenten Rambert gut auskam. «Bernard wahrte trotz seines Engagements und seinen linken Überzeugungen eine professionelle Distanz in den Strafverfahren», sagt er; «diese unpolemisch souveräne Art hat mir gefallen». Er habe ihn immer als respektvoll und zugänglich erlebt; «er gehört auch nicht zu den Anwälten, die sich aufspielen müssen».

Soweit lässt sich alles nachvollziehen. Unverständlich bleibt einem Ramberts Hoffnung auf den Kommunismus. Es mag sein, dass der Kapitalismus vom Schlimmsten des Menschen ausgeht, Machtstreben, Gier und Rücksichtslosigkeit. Genau genommen ist der «pursuit of happiness» der amerikanischen Verfassung ja ein Aufruf zum Egoismus, wogegen die Französische Revolution «fraternité» einforderte, Brüderlichkeit. Handkehrum kann der Kommunismus schon deshalb nicht funktionieren, weil er gegen menschliche Bedürfnisse handelt. Er spricht dem Subjekt die Individualität ab, das Recht auf Besitz und Privatsphäre, und er will es zu einem kollektiven Wesen erziehen.

Weshalb nicht Karl Marx mit seiner Sicht auf den Menschen recht bekommen hat, sondern Sigmund Freud. Marx, der an die Besserung des Menschen glaubte, wurde bei jeder Revolution neu verraten. Freud, der die Zivilisation als einen dünnen Firnis über einem Meer von Barbarei wahrnahm, sah sich von jedem Genozid bestätigt. Bernard Rambert lässt sich von solchen Einwänden nicht beeindrucken. «Ich kann nur gegen die Verhältnisse kämpfen», sagt er, «wenn ich auf ihre Veränderung hoffen kann.»

Er kann bis heute zu allem stehen

Er mag ein Utopist sein, ein Anarchist ist er nicht. Dazu hat ihn die bürgerliche Gesellschaft zu stark geprägt, dazu geniesst er ihre Vorzüge zu sehr. Rambert fuhr früher schnelle Auto, wohnt gediegen, isst gerne gut und scheint das Leben zu geniessen. Und auch die öffentliche Ordnung, die so viele seiner Klientinnen und Klienten stören wollen. «Freunde von mir nennen mich einen Kleinbürger», sagt er amüsiert, was mit Sicherheit nicht stimmt. Richtig ist nur, dass Bernard Rambert von Menschen fasziniert ist, die weder das Gewaltmonopol des Staates akzeptieren noch seine Gesetze.

Natürlich hat er Recht mit seinem Befund, nicht alle seien gleich vor dem Gesetz. Dennoch fällt auf, dass er die Regeln der Justiz anerkennt und nutzt. Wenn es sein muss, bis zum Bundesgericht. Fünfmal hat Bernard Rambert das Anwaltspatent verloren und wieder zurückbekommen, einmal musste er sogar für kurze Zeit ins Gefängnis, immer wieder verlor er einen Prozess. «Trotzdem kann ich heute noch zu allem stehen, was ich tat und sagte», findet er. Überlegt kurz. «Mehr oder weniger.»   

Seine Sicht der Dinge

Denselben gelassenen Eindruck wie im Gespräch macht Bernard Rambert auch in «Suspekt», dem neuen Dokumentarfilm von Christian Labhart, der diese Woche in die Kinos kommt. Der Film bleibt auf ärgerliche Weise unkritisch. Wobei nicht der Regisseur den Anwalt befragt, sondern Julia Klebs, Redaktorin der Zeitschrift «Widerspruch». Sie tut das dermassen devot, dass ihr Interview zur Abfragerei verkommt. Dazu hat Labhart Archivszenen aus Ramberts Berufsleben montiert, doch die sehen aus wie eingeklebt.

Was soll diese Feigheit vor dem Freund? Man fragt den Regisseur. Bernard Rambert sei oft im Widerstand zu den herrschenden Verhältnissen gestanden, sagt Christian Labhart, dass er die einseitige Perspektive seines Films für legitim halte. «Der Film kontrastiert die ungleichen Machtverhältnisse, gegen die sich Rambert Zeit seines Lebens wehrte». Dass nicht er, sondern Julia Klebs das Interview geführt habe, begründet Labhart mit dem Wunsch, «eine Frau sprechen zu lassen in dieser Männerwelt der Justiz». Der Film ist also weniger als Dokumentation zu verstehen, denn als Korrekturversuch. Seine Anlage bietet den Vorteil, dass man einem wie Rambert gerne zuhört, weil er so klug, gelassen und humorvoll erzählt – über sich, die Schweizer Justiz und die Begegnungen mit Räubern, Dieben, Ausfälligen, Anarchisten und ja, Terroristinnen und Terroristen.

Was unweigerlich zur Frage drängt, wie es der Anwalt, der so viele gewalttätige Angeklagte verteidigte, mit der Gewalt hält als Mittel der Veränderung in einem Unrechtsstaat. Er überlegt, als wäre ihm die Frage nicht schon unzählige Male gestellt worden. Persönlich sei er gegen Gewalt, sagt er schliesslich, gesellschaftlich könne sie aber nötig werden.

Darin liegt Bernard Ramberts Ambivalenz als Anwalt und Bürger: Er verteidigt Positionen, die er nicht teilt. Wie bringt er das zusammen? «Indem ich nie vergesse», sagt er, «dass es nicht bloss eine Gerechtigkeit gibt, sondern nur Versionen davon.»

Christian Labhart: «Suspekt», ab heute Donnerstag, 20. Februar, in den Kinos

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Rechtsanwalt Rambert im August 1977 am Flughafen Zürich bei der Auslieferung der Terroristin Petra Krause nach Italien © SRF

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3 Meinungen

  • am 20.02.2025 um 12:00 Uhr
    Permalink

    Das Recht jedes Angeklagten auf eine kompetente Verteidigung ist ein Grundsatz jedes fairen Strafprozesses. Bernard Rambert hat diesen Auftrag sorgfältiger und ernsthafter umgesetzt als die meisten seiner Kolleg*innen. Dafür achte ich ihn hoch. — Und leider hängt Jean-Martin Büttner einem überholten Kommunismus-Begriff an; der Staatsmonopolkapitalismus der Sowjetunion hat Marx nicht widerlegt, das Missverständnis ist aber weit verbreitet. Siehe z.B. Kohei Saito: «Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus.» (ISBN 978-3-423-28369-4). Möglicherweise hat Büttner Marx nicht so gründlich studiert und verstanden wie Rambert.

  • am 21.02.2025 um 14:37 Uhr
    Permalink

    Zum Thema Aktualität der Analyse von Karl Marx: Im Dialog von republik.ch zitiert Marianne Huber Glünz heute einen interessanten Artikel von Navid Kermani in der Zeit vom 23. Dezember 2024: darin kommt Kermani zum Schluss: «Dass sich der Kapitalismus selbst abschaffen wird durch die Konzentration des Kapitals, war die Kernthese von Karl Marx. Zur Überraschung aller könnte Marx doch noch recht behalten.» Und in einer dialektischen Schlussvolte: «Und was die Milliardärssteuer betrifft, die im beginnenden Wahlkampf immerhin wieder im Raum steht: Ab hundert Milliarden könnte sie auch bei hundert Prozent liegen. Enteignung hat man das im Sozialismus genannt. Wenn er bestehen will, kommt der Kapitalismus darauf zurück.»

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