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Telegram-Gründer Pavel Durov an einer Konferenz in San Francisco in 2015. © cc-by TechCrunch

Festnahme mit Risiken und Nebenwirkungen

Anna Biselli /  Telegram-Gründer Pavel Durovs Verhaftung ist Symbolaktionismus. Es gäbe griffigere Methoden, um den Messengerdienst zu verbessern.

psi. Dies ist ein Gastkommentar. Anna Biselli ist Co-Chefredaktorin des Online-Mediums netzpolitik.org, wo der Artikel zuerst erschien. Infosperber publiziert ihn im Rahmen dessen Creative-Commons-Lizenz. Wie Infosperber alimentiert sich netzpolitik.org durch Spenden.

Am Samstag wurde Telegram-Chef Pavel Durov an einem Pariser Flughafen festgenommen, mittlerweile wurde er in sechs Punkten angeklagt und auf Kaution freigelassen. Er darf Frankreich nicht verlassen und muss sich zweimal wöchentlich bei der Polizei melden (aktualisiert von Infosperber). Am Montag wurde bekannt: Durov wird verdächtigt, sich mitschuldig an zahlreichen Straftaten gemacht zu haben, darunter Drogenhandel und Kindesmissbrauch. Das geht aus einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft hervor.

Telegram gilt inzwischen als einer der meistgenutzten Messenger der Welt. Längst verwenden Menschen den Dienst nicht mehr nur zum Austausch privater Nachrichten. In großen Gruppen oder Verlautbarungskanälen finden sich teils tausende Teilnehmende zusammen. Man findet dort profane Alltagskommunikation genauso wie ungehindert verbreiteten Hass und Angebote zur Bestellung des nächsten Koks-Taxis. Telegram wird aber auch genutzt, um Protest gegen autoritäre Regierungen in Ländern zu organisieren, in denen sonst fast keine Kommunikation mehr möglich ist.

Die französische Staatsanwaltschaft gibt als Grund für Durovs mutmassliche Mitschuld an Straftaten Telegrams mangelnde Moderation und Kooperationsbereitschaft gegenüber den Behörden an.

Erratische Moderation

Was Telegram auf seiner Plattform duldet und was nicht, wirkt äusserst erratisch. Nach eigenen Angaben beschränkt Telegram «Aktivitäten, die in den meisten Ländern als illegal angesehen werden» und legt das offenbar genau so schwammig aus wie es klingt. Einige Kanäle des Verschwörungsideologen Attila Hildmann beispielsweise löschte der Messenger-Dienst. Andere rechtsradikale Tummelplätze bleiben hingegen unbehelligt. Und während Drogen-Shops so leicht aufzufinden sind wie der nächste Späti in Berlin, verschwindet islamistische Propaganda häufig von der Plattform.

Dabei arbeitet Telegram durchaus mit Behörden zusammen und folgt Anordnungen von Europol oder dem Bundeskriminalamt. Und auch wenn das Unternehmen sich lange damit brüstete, keine Nutzer:innendaten an Behörden zu geben, ist die Realität auch hier wohl längst eine andere.

Man kann sich trotzdem leicht vorstellen, dass das volatile Verhalten von Telegram den Behörden ein Dorn im Auge ist. Was die Festnahme immerhin leistet: Sie sendet ein Signal an Tech-Barone wie Pavel Durov und oder Elon Musk, dass sie sich mit den von ihnen kontrollierten Plattformen nicht alles erlauben können. Doch ist Signalaktionismus hier das Richtige?

Unerwünschte Nebenwirkungen

Die Aktion bleibt nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen. So liefert sie etwa Futter für Durovs fragwürdige Selbstinszenierung als Kämpfer für Rede- und Meinungsfreiheit, der einst Russland verlassen musste, weil sein Dienst den dortigen Behörden nicht genehm war. Bis heute vermarktet sich Telegram als sicherer Hafen für Unterdrückte, dabei ist die Kommunikation dort nur teilweise verschlüsselt. In Direktkonversationen müssen «geheime Nachrichten» erst aktiviert werden, auf verschlüsselte Gruppen-Chats warten Nutzer:innen seit langem vergebens.

Ausserdem ist die Verhaftung eine Steilvorlage für Russland, um eine Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa anzuprangern. Es ist eine Chance, die der Kreml sich nicht entgehen lässt: Da Durov sowohl französischer als auch russischer Staatsbürger ist, verlangt Moskau konsularischen Zugang zu Durov. Dass ebenjener Staatsbürger vor ein paar Jahren noch unerwünscht war, interessiert die russische Regierung heute nicht mehr.

Ausgeschlachtet wird Durovs Festnahme auch von den Verschwörungsideologen und Rechtsradikalen, die auf Telegram eine Heimat gefunden haben. In den entsprechenden Kanälen schwingen sich die Empörten gegenseitig auf.

Kampf gegen Verschlüsselung

Besonders problematisch ist, dass die Behörden Durov auch das bisschen Verschlüsselung zum Vorwurf machen, das Telegram anbietet. Genauer gesagt kritisiert die Staatsanwaltschaft die «Bereitstellung von Krypto-Diensten zur Gewährleistung der Vertraulichkeit ohne zertifizierte Anmeldung». Seit ein paar Jahren ist es in Frankreich vorgeschrieben, dass Verschlüsselungsangebote registriert werden müssen. Bis zu zwei Jahren Haft oder 30’000 Euro Strafe stehen auf Verstösse.

Dass eine solche Regelung in einem demokratischen Land überhaupt besteht, ist fatal. Zuletzt hatte sich die französische Justiz aus dem gleichen Straftatenkatalog bedient, um sich im Februar den vermeintlichen Encrochat-Chef ausliefern zu lassen – unter anderem, weil er ein Verschlüsselungsgerät ohne vorherige Erklärung gegenüber den Behörden angeboten hatte.

Gesetze wie diese öffnen Tür und Tor für Missbrauch, wenn staatlichen Behörden ein Verschlüsselungsdienst nicht genehm ist. Und sie bringen viele Projekte für sichere Infrastruktur in Gefahr, die ihre Programme auch in Frankreich anbieten. Sie schrecken ab. Dass Telegram gerade das Gegenteil eines betonharten Verschlüsselungstools ist, spielt dabei keine Rolle. Sollten die Behörden diesen Vorwurf weiter verfolgen, geht es um weit mehr als den Umgang mit Telegram oder Pavel Durov. Dann geht es um den Umgang mit Technologie, die essenziell ist für unsere sichere Kommunikation.

Warum nicht der Digital Services Act?

Im Lichte dieser Fakten wirkt die Festnahme Durovs mehr als zweifelhaft. Hätten die EU-Staaten nicht andere Möglichkeiten als eine Festnahme gehabt? Eigentlich wäre doch der Instrumentenkasten des Digital Services Act (DSA) einschlägig. Plattformen nach klaren Regeln zur Verantwortung ziehen – genau dafür wurde der DSA geschaffen.

Wie andere Tech-Unternehmen versucht Telegram, den DSA zu umgehen. Während das Unternehmen mit seinen weltweit bald eine Milliarde Nutzer:innen prahlt, will es in der EU nur 41 Millionen Nutzer:innen haben. Das ist praktischerweise knapp unter der Schwelle für besonders grosse Plattformen, für die besonders strenge Regeln gelten. Zwar behauptet der Dienst in seiner Stellungnahme, man halte alle Regeln ein. Aber glaubwürdig ist das nicht.

Seit mehreren Monaten prüft die EU, Telegram strenger unter dem DSA einzustufen. Und sie hätte auch Möglichkeiten, den Dienst für seine bisherigen Versäumnisse zur Verantwortung zu ziehen. Doch damit das wirksam werden kann, müssen die zuständigen Behörden das so konsequent und auch transparent wie möglich tun. Mit einem Vorgehen, über das bisher nur wenig öffentlich bekannt ist, befeuern sie vielmehr eine weitere Legendenbildung eines Superreichen als eine echte Lösung der Probleme.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Anna Biselli ist Cp-Chefredaktorin des spendenfinanzierten Online-Mediums netzpolitik.org.
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