Sperberauge
Gastro-Schutzkonzept vs. Datenschutz
Endlich wieder auswärts essen gehen und im Café sitzen zu dürfen – das macht unempfindlich für vieles, nicht zuletzt für Datenschutzbedenken. Mein Selbstversuch in einem Basler Restaurant beginnt an einem Bistrotisch, wo die «Corona-Liste» für die Gäste des Lokals aufliegt. Ich zücke den Stift (den eigenen), und trage Name und Uhrzeit ein – für die Begleitung gleich mit. Schliesslich will ich mich und andere vor dem Virus schützen.
Auf der Liste stehen bisher nur wenige Personen, die ein paar Meter weiter in der Sonne sitzen. Wer davon wer ist, ist unschwer zu erraten. Ob es Mark* und Michele* so recht ist, dass ich jetzt ihre Telefonnummer kenne? Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Ich fische mein Handy aus der Tasche, um meine Nummer nachzusehen. Ich könnte damit die Liste abfotografieren, es würde keine Sekunde dauern. Niemand nimmt Notiz.
Das Schutzkonzept der GastroSuisse krankt am Datenschutz
Die Liste auf dem Bistrotisch sei die offizielle Vorlage der GastroSuisse, verteidigt sich die Leiterin des Serviceteams, als ich sie eine halbe Stunde später darauf anspreche. Wer die Kontaktdaten eintrage, tue das freiwillig und in den meisten Fällen sei es ohnehin nicht nötig. Gäste, die telefonisch reservieren, könne man auch so zuordnen. Für die Laufkundschaft, die spontan einkehrt und «Eins ziehen» will, gilt das nicht. Wer sich gegen das Corona-Virus schützen möchte, muss seine Privatsphäre dagegen abwägen.
Auszug aus dem Corona-Schutzkonzept der GastroSuisse
In einer Branche, die sonst auf Diskretion achtet, ist das überraschend. Die Dame am Nebentisch bleibt normalerweise namenlos und verwandelt sich nicht in Michele mit der Luzerner Telefonnummer.
Es ginge zumindest besser
Etwas anders lief es in einem Eiscafé im nahen deutschen Lörrach. Der Service erschien mit einem Klemmbrett und einer leeren Liste am Tisch und nahm das ausgefüllte Blatt bei der Bestellung wieder mit. Wo das Papier danach gelandet ist, wurde nicht klar. Vermutlich hinter der Theke, wo es vor neugierigen Blicken sicher ist.
Auch das ist eine ziemliche Ausdehnung des Datenschutzes in einem Land, in dem jemand nach Datenschutz-Grundverordnung ohne schriftliches Einverständnis nicht einmal eine Mailingliste für den Stammtisch erstellen darf. In einem anderen deutschen Lokal türmte sich ein Stapel Gästelisten auf einem Tisch in der Ecke. Auch das ist wohl nicht im Sinne des Erfinders.
Interesse an persönlichen Daten hätten viele
«Wenn ich eine hübsche Frau sehe, muss ich mit etwas Glück nur warten, bis sie ein Restaurant betritt – und schon hab ich ihre Nummer», sagt ein Bekannter scherzhaft, als ich von meinen Bedenken erzähle. Doch nicht nur potenzielle Verehrer dürften an einer validen Kombination von Namen und Telefonnummer Freude haben, auch für Anbieter diverser Services sind diese Daten von Interesse. Da muss die GastroSuisse wohl noch einmal über die Bücher.
* die Namen der Personen in diesem Text sind rein fiktiv.
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Update: «heise online» berichtete gestern über eine Handy-App, mit der Gäste über einen QR-Code digital erfasst werden können. Damit wäre die Papierliste unnötig.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Mit dem COVID-19 Virus besteht die Gefahr des Todes, also das Leben von Menschen in Gefahr. Der Schutz der persönlichen Sphäre würde zu einer Gefährdung des Lebens von Menschen führen. Inakzeptabel.
Das Datenschutzproblem bei der Gäste-Erfassung ist leicht zu lösen: Statt auf eine aufliegende Liste schreibt man seine Angaben auf ein je separates Zettelchen. Etliche Lokale, die ich besucht habe, handhaben das so – da gibt’s keinerlei Einsicht in Namen und Telefonnummern von Mitgästen.
Die Gastrobranche kann zwar jammern aber nimmt ihre Verantwortung nicht wahr. Bei meinem letzten Restaurantbesuch lag eine Liste auf, aber ausser mir und meiner Frau kein Eintrag. Solche Restaurants werde ich in Zukunft meiden. Allgemeinwohl hat Vorrang vor individuellen Datenschutz!
Wir müssen immer abwägen zwischen Privatsphäre und Gesundheit. Es liegt in der Natur der Epidemie, nämlich der Ansteckung von Mensch zu Mensch. Bei Eintritt des Krankheitsfalls wird getraced, also unser Leben der letzten Tage gnadenlos offen gelegt.
Das Problem ist aber nicht, dass unsere Telefonnummern auf Zetteln stehen, sondern dass wir einen volkswirtschaftlichen Schaden von über 50 Milliarden Franken haben und die Menschen in den armen Ländern wegen der Wirtschaftskrise in den reichen Ländern verhungern. Der Zettel im Café ist ein Luxusproblem.
Es herrscht ein Klima der Angst. Früher gab es dicke Bücher wo man alle Telefonnummern von allen Schweizern sehen konnte, kostenlose in jeder Telefonkabine. Heute herrscht Panik wenn 5 Leute meine Nummer sehen könnten. Die Autorin kann ja problemlos einen fremden Namen angeben, so lange sie konsistent den gleichen verwendet, kann das Tracing auch dann durchgeführt werden. Angst ist ungesund.