Screenshot 2024-11-12 at 08-55-10 Mit Disruptivität der Daten wäre sehr viel mehr möglich

Kennt kein Pardon: BFS-Direktor Georges-Simon Ulrich. © Bundesamt für Statistik

Das Bundesamt für Statistik geht hart gegen Bürger vor

Eva Hirschi /  Das BFS will Dokumente geheim halten – gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Nun zeigt das BFS den Gesuchssteller an.

mdb. Dies ist ein Gastbeitrag. Er erschien zuerst auf der Website des Vereins öffentlichkeitsgesetz.ch.

Bemerkenswert, mit welcher Energie das Bundesamt für Statistik (BFS) gegen kritische Berichterstattung vorgeht – nicht eines Mediums, sondern eines Bürgers. Flavio Graf, Gründer eines Parkplatz-Start-ups, verlangte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz eine Liste mit Firmennamen, den Unternehmens-Identifikationsnummern (UID) und den NOGA-Codes (Nomenclature générale des activités économiques/Allgemeine Systematik der Wirtschaftszweige). Er braucht die Daten zu Forschungszwecken.

Das Bundesamt für Statistik verweigerte den Zugang zur verlangten Liste. Bei der anschliessenden Schlichtungsverhandlung mit dem Eidgenössischen Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb) kam es zu keiner Einigung. Der Edöb hielt in seiner Empfehlung vom 21. Juli 2022 allerdings fest, dass das Öffentlichkeitsgesetz anwendbar sei, da keine Spezialbestimmung nach Art. 4 des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip (BGÖ) vorliege. Ein Verweis auf das Statistikgeheimnis genüge nicht für eine Verweigerung des Zugangs.

Bundesverwaltungsgericht hebt Verfügung auf

Das Bundesamt für Statistik sah das anders. Der Fall gelangte bis vor Bundesverwaltungsgericht (BVGer). Auch dieses kam zum Schluss, dass das vom BFS vorgeschobene Argument des Statistikgeheimnisses nicht anwendbar sei; zudem habe sich das BFS nicht dazu geäussert, welche Auswirkungen der Zugang zu diesen Dokumenten für die betroffenen juristischen Personen hätte und welchen Aufwand die Dokumentenherausgabe dem Bundesamt verursachen würde. Das BVGer urteilte, die Verfügung des BFS sei aufzuheben, und wies die Angelegenheit zur weiteren Prüfung und zu einem neuen Entscheid zurück.

Das Bundesamt für Statistik änderte daraufhin seine Strategie. In seiner Verfügung – welche Flavio Graf selbst verlangen musste – schrieb das BFS, ein öffentliches Interesse sei nicht gegeben. Flavio Graf könne die Daten allerdings gebührenpflichtig erhalten. Für Graf unverständlich. «Die Argumente des BFS sind schockierend einfach: Daten sind ‹privat›, wenn ich Zugang beantrage. Sie werden aber irgendwie ‹öffentlich›, wenn jemand dafür bezahlt.» Diese widersprüchliche Haltung unterstreiche das Fehlen einer echten Rechtsgrundlage, sagt Graf. «Das scheint die Verantwortlichen aber nicht zu stören. Stattdessen werden Steuergelder in die Verteidigung einer unhaltbaren Position gesteckt.»

Anzeige wegen Linkedin-Post

Ein Kollege von ihm, Open-Data-Enthusiast Christian Gutknecht, machte den Fall mit der Erlaubnis von Flavio Graf auf seinem Linkedin-Profil publik. Gutknecht ärgert sich über die «offensichtliche Widersprüchlichkeit»: «Wie können angeblich durch das Statistikgeheimnis geschützte Daten gleichzeitig an Dritte verkauft werden?» Das Vorgehen sei für ihn umso störender, als dass beim BFS die Geschäftsstelle Open Government-Data angesiedelt sei, die innerhalb der Bundesverwaltung die «Open-by-default»-Strategie koordinieren soll. Dass Bundesbehörden ihre Daten grundsätzlich kostenlos zur Verfügung stellen, sei zudem seit Januar 2024 klar gesetzlich verankert. Auch Flavio Graf veröffentlichte dazu Posts auf Linkedin.

Dieses Vorgehen gefiel dem Bundesamt für Statistik ganz und gar nicht – es kommentierte den Post von Gutknecht, wehrte sich aber auch auf dem juristischen Weg und zeigte Flavio Graf wegen der Veröffentlichung eines Verwaltungsaktes (Vernehmlassung der Vorinstanz) an. Gutknecht ist verärgert: «Der Versuch des BFS, über das Gericht eine kritische Berichterstattung über das Verfahren zu sanktionieren, ist ein krasser Eingriff in die Informationsfreiheit von uns allen.»

BVGer: Anzeige sei «unverhältnismässig»

Am 23. Oktober veröffentlichte das Bundesverwaltungsgericht eine Zwischenverfügung – und kritisiert darin das BFS. Das BVGer hält fest, es sei kein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung von Verfahrensakten ersichtlich, welches eine Massnahme mit Strafandrohung rechtfertigen würde; dies erweise sich als unverhältnismässig. Das BFS habe keine vertrauliche oder geschwärzte Version ihrer Vernehmlassung eingereicht, auch sei auch sonst kein öffentliches schutzwürdiges Interesse dargelegt worden.

Zudem sei es grundsätzlich gestattet, Medien zu informieren und ihnen gegenüber das Handeln der Behörden zu kritisieren. Weiter könne es zulässig sein, den Medien Verfahrensakten zukommen zu lassen, sofern diese keine Geschäftsgeheimnisse enthalten würden. Dies müsse auch für Drittpersonen, die nicht Medienschaffende sind, gelten. BFS-Direktor Georges Simon Ulrich will sich zum laufenden Verfahren nicht äussern. Auf LinkedIn verweist er auf das Steuergeheimnis und die gesetzlich vorgeschriebene Verkaufsverpflichtung für Daten aus dem Betriebs- und Unternehmensregister.

Akzeptiert das BFS diesen Zwischenentscheid, wird das BVGer in dieser Sache definitiv urteilen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Eva Hirschi ist Mitarbeiterin des Vereins öffentlichkeitsgesetz.ch. Dieser setzt sich für die konsequente Umsetzung der schweizerischen Öffentlichkeitsgesetze ein.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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