Kommentar
Wer die Umwelt schützt, riskiert sein Leben
Luis Ángel Peña – Gilberto Valencia – Wilmer Antonio Miranda – José Rafael Solano – Wilson Pérez – Maritza Isabel Quiroz – Miguel Antonio Gutiérrez. Das sind die Namen der ersten sieben Sozial- und UmweltaktivistInnen, die zwischen dem 1. und 7. Januar 2019 alleine in Kolumbien ermordet wurden: vor ihrer Haustüre, auf der Strasse, auf dem Nachhauseweg von der Silvesterparty. Die meisten von ihnen wurden erschossen, und alle hatten etwas gemeinsam: Sie gehörten einer Bauern- oder Arbeiterorganisation an, traten für Umwelt- und Menschenschutz ein oder versuchten die Rechte ihrer Kommune zu verteidigen. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Der erste Monat des neuen Jahres begann in Kolumbien blutig wie schon lange nicht mehr. Fast jeden zweiten Tag wurde ein Aktivist oder eine Aktivistin umgebracht.
Für besonderes Aufsehen sorgte Mitte Januar der Mord an Wilton Fauder Orrego, der im Norden des Landes im Nationalpark Sierra Nevada de Santa Marta gearbeitet hatte. Wie verschiedene kolumbianische Medien berichteten wurde der 38-Jährige von Unbekannten durch zwei Schüsse schwer verletzt und starb wenige Stunden später im Spital. Über das Umwelt-Online-Portal mongabay.com wurde bekannt, dass die Verantwortlichen des Parks im vergangenen Jahr 17 konkrete Drohungen erhalten haben – Wilton Fauder Orrego ist das erste Opfer.
Anwalt Carlos Negret nannte gegenüber CNN Lateinamerika drei Gründe für die jüngste Gewaltwelle im Land: der illegale Pflanzenanbau (in der Regel Koka für die Kokainproduktion), illegaler Minenbau (in der Regel Gold) sowie Konflikte um Landrechte.
Über 200 Morde an AktivistInnen
Gewalt gegen UmweltschützerInnen und AnführerInnen sozialer und/oder indigener Bewegungen ist Alltag in Lateinamerika, besonders in Kolumbien und Brasilien. Die beiden Länder führen – zusammen mit den Philippinen – jeweils die Liste der meisten Mordopfern an. Die britische Menschenrechtsorganisation Global Witness, die sich seit 1993 mit Ressourcenkonflikten und Korruption auseinandersetzt, listet für das Jahr 2017 weltweit 207 ermordete AktvistInnen auf; 60 Prozent der Tötungsdelikte ereigneten sich in Lateinamerika. Und wie schon 2016 und 2017 hiess es im Bericht: Das Jahr sei seit Beginn der Dokumentation das tödlichste gewesen für Menschen, die die Erde und die Umwelt verteidigen. Hinzu kommen die nicht dokumentierten oder nicht nachweisbaren Morde.
Neben korrupten oder inexistenten staatlichen Institutionen wird diese Entwicklung von den politischen Umbrüchen auf dem Planeten und dem aggressiven Umgangston à la Trump begünstigt. Stellvertretend dafür steht in Lateinamerika Jair Bolsonaro, der rechtsextreme Politiker, der seit Jahresbeginn die Präsidentschaft Brasiliens innehat. Der ehemalige Fallschirmjäger, auffällig insbesondere durch sexistische, homophobe und rassistische Äusserungen, kündigte während des Wahlkampfes an, dem mächtigen Agrarsektor auf Kosten des Regenwaldes mehr Land zur Verfügung zu stellen, «um das Fleisch und Soja zu produzieren, die von der Welt verlangt werden».
Kurz nach seinem Amtsantritt entmachtete er jene Behörde, die seit 1967 für den Schutz der Indigenen zuständig war. Die Indigenen leben im und vom Regenwald und enden nach einer Rodung meistens im Slum einer Grossstadt. Das Signal der brasilianischen Regierung ist klar: Solange die Agrarindustrie weiter wächst, ist uns egal, was mit den Indigenen und der Lunge des Planeten passiert.
Die Wahl Bolsonaros, ebenso wie jene des rechtskonservativen Ivan Duques in Kolumbien vergangenen Sommer, brannte sich wie Ausrufezeichen in die Köpfe der Umwelt- und SozialaktivistInnen. Wie alle anderen Regierungen in der Region stehen auch Bolsonaro und Duque für die Enteignung von Land und Ressourcen. Während die Bevölkerung versucht, Territorien und Lebensformen zu schützen – lokale Landwirtschaft, Kunsthandwerk, Fischfang, Jagd, traditionelle Medizin der Vorfahren – wollen sich auf der anderen Seite die Interessensgruppen aus globalisiertem Finanzwesen, Handel und Politik die Bodenschätze unter den Nagel reissen: Gold, Kupfer, Eisen, Lithium, Erdöl, Kohle, Gas, aber auch Holz, Garnelen, Soja und Palmöl – um nur einige zu nennen. Diese Rohstoffe sind in Lateinamerika nicht nur reichlich vorhanden, sie sind auf Grund der niedrigen Produktions- und Personalkosten auch äusserst lukrativ.
Kritik bereits in den 70er Jahren
Von dieser Ausbeutung profitiert nicht etwa die lokale Bevölkerung, sondern jene Staaten, die diese Produkte später verarbeiten und konsumieren. Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano (1940-2015) zeichnete diese Situation bereits 1971 in seinem Buch «Die offenen Adern Lateinamerikas» am Beispiel des Kaffee-Konsums nach. «In den Vereinigten Staaten und Europa schafft er [der Kaffee] Einkommen, Arbeitsplätze und mobilisiert Grossstädte; in Lateinamerika dagegen werden Hungerlöhne bezahlt, die die wirtschaftliche Verzerrung jener Länder verstärkt, die sich in ihrem Dienst befinden.»
Diese wirtschaftliche Verzerrung äussert sich bis heute in kolonialen Produktionsstrukturen, die vielerorts nach wie vor auf dem Abbau und Export von Rohstoffen basieren. Das wiederum macht den Aufbau und Unterhalt eines Gemeinschaftsgefüges schwierig, wenn nicht unmöglich. Denn die Eliten aus Wirtschaft und Politik, die das jeweilige Land führen und verwalten, haben kein Interesse an einer organisierten Bevölkerung, die das herrschende Wirtschaftsmodell in Frage stellen könnte. Deshalb befinden sich AnführerInnen von Umwelt- und/oder Sozialbewegungen ab Tag Eins ihrer Tätigkeit in Gefahr. Je nach Weltregion, Regierung und Marktsituation ist diese grösser oder kleiner.
Staunen über die «gewaltigen Ressourcen»
Ob sich die PolitikerInnen aus den Ländern des globalen Nordens dessen bewusst sind, wenn sie alle paar Jahre gut bewacht zu ihren Antipoden im globalen Süden reisen und über Import- und Exportbedingungen schwatzen, muss bezweifelt werden. Stattdessen berauschen sie sich wie der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im Frühling 2018 auf seiner Tour durch Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien an den «gewaltigen Ressourcen» und interessieren sich für die «grossen Chancen für Schweizer Exporteure» und «die Einbindung in den Welthandel» der jeweiligen Länder (aus der Medienmitteilung des Bundes vom 8. Mai 2018). Die Vertreibung indigener Kommunen, die Rodung des Regenwaldes oder die Todesschwadronen, die im Auftrag internationaler Unternehmen seelenruhig ihre Arbeit verrichten, finden keine Aufmerksamkeit. Die ermordeten AktivistInnen sind quasi im Preis inbegriffen. Auf Packungsbeilagen oder im Kleingedruckten scheinen sie jedenfalls nicht auf.
Das kalte Blut aus Übersee will Marktanteile. Der Rest sind Kollateralschäden.
Anliegen, die verbinden
Szenenwechsel: Seit ein paar Wochen gehen in der Schweiz wiederholt SchülerInnen auf die Strasse und verlangen von den PolitikerInnen griffigere Massnahmen zum Klimaschutz. Sie sind Teil einer noch jungen Bewegung, die sich insbesondere in den europäischen Ländern zu formieren beginnt.
Aufgrund der Dringlichkeit ihrer Forderung sei die wagemutige Frage erlaubt: Was haben die demonstrierenden SchülerInnen in den Städten des Globalen Nordens mit Luis Ángel Peña, Gilberto Valencia,Wilmer Antonio Miranda, José Rafael Solano, Wilson Pérez, Maritza Isabel Quiroz und Miguel Antonio Gutiérrez vom Land im Globalen Süden gemeinsam? – Ihre Beteiligung.
Sie beteilig(t)en sich wie einst die Anti-Atomkraft-Bewegung, die Bewegten von Ende-Gelände, die Pestizid-GegnerInnen und zig anderen UmweltschützerInnen in Europa mit Fragen, die mit der Zukunft zusammenhängen: der Zukunft des Planeten, der nächsten Generation, ihrer Kommune. «UmweltschützerInnen stehen an der Frontlinie eines Generationen-Kampfes gegen den Klimawandel», liess sich der britische Schriftsteller George Monbiot unlängst von Global Witness zitieren. «Solange wir uns nicht zu den Regierungen und Grossunternehmen äussern, die eng miteinander zusammenarbeiten, um mittels Gewalt die Erde zu erobern, sie zu zerlegen, zu durchbohren und intensiv zu bewirtschaften, solange werden wir die Konstruktion eines grüneren, saubereren und nachhaltigeren Planeten nicht wirklich ernst meinen.»
Wer den Freihandel mit Staaten befürwortet, deren Institutionen nicht fähig sind, ihre Bevölkerung zu schützen, nimmt auch tote Umwelt- und SozialaktivistInnen in Kauf. Und wer die herrschenden Strukturen ändern will, geht automatisch Risiken ein. In Kolumbien geht es dabei um Leben oder Tod, bei den SchülerInnen um einen Zeugniseintrag wegen unentschuldigter Absenzen und bei den erwachsenen UmweltschützerInnen in Europa um soziale Ächtung (etwa Schwierigkeiten bei der Jobsuche) sowie um Beschimpfungen und Bedrohungen. Ihre Forderungen verbinden sie jedoch. Daran werden weder Auftragskiller in Lateinamerika, noch kleinkarierte Schulbehörden oder uneinsichtige Firmenchefs in Europa etwas ändern.
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Dieser Beitrag erschien zuerst auf mutantia.ch.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor lebt in Lateinamerika und betreibt von dort aus unter anderem die Website mutantia.ch.
Die Untätigkeit von Behörden, die solchen Terrorismus nicht ernst zu nehmen, wenn nicht sogar zu dulden, wird früher oder später zu einer Reaktion in Form eines «Öko"terrorismus generieren. Es gibt unzählige Objekte die sich, ohne Menschen zu gefährden , zerstören lassen. Die Grünen werden sich auch bei uns nicht als «Klimasten» usw bezeichnen lassen – dafür ist die von unserer industriellen Konsumzivilisation geschaffene Öko – und Klima–Krise viel zu ernst.