Kommentar
SPD und Grüne sollen Merkel allein regieren lassen
Die schlaue Angela Merkel möchte am liebsten die SPD mit ins Boot ziehen. Als Argument schiebt sie vor, dass Deutschland eine «stabile Regierung» brauche. Zwei, drei wichtige SPD-Exponenten – und mit ihnen zahlreiche Chefbeamte – liebäugeln ebenfalls mit einer Koalition, weil sie es auf Minister-Posten abgesehen haben.
Eine grosse Koalition ist jedoch weder der Demokratie zuträglich noch dient sie den Interessen der SPD. Eine Demokratie braucht eine gewichtige Opposition, wie dies in den USA, in Grossbritannien oder Frankreich der Fall ist. Eine genügend starke Opposition kann sich profilieren, sobald die Regierung versagt. Sie sorgt auch bei Sachfragen für ein starkes Pro und Contra, so dass Mauscheleien weniger möglich sind.
Deshalb sollten SPD und Grüne die Union von CDU und CSU jetzt allein regieren lassen – als Regierung ohne absolute Mehrheit im Bundestag. Das ist nach der Verfassung der Bundesrepublik, dem Grundgesetz, ohne weiteres möglich.
Eine Mehrheit des Bundestags muss Angela Merkel zur Bundeskanzlerin wählen, was nach diesen Wahlen wohl unbestritten ist (Art. 63,2). Im Extremfall reicht ihr sogar die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 63,4). Die Kanzlerin kann dann laut Grundgesetz ihre Minister frei wählen und eine Regierung bilden (Art. 64).
Das deutsche Grundgesetz verhindert italienische Verhältnisse, weil eine Regierung nur gestürzt werden kann, wenn sich der Bundestag auf eine neue Kanzlerin oder einen neuen Kanzler einigt und diese(n) tatsächlich wählt (Art. 67). Eine Zeit ohne gewählten Kanzler und ohne funktionierende Regierung kann es in Deutschland also nicht geben.
Ein alleiniges Regieren der Union hätte den Vorteil, dass sich die Union bei Sachfragen stets eine Mehrheit im Bundestag sichern muss. Wir sind uns dies in der Schweiz gewohnt. Sollte die Regierung mit einer Sachvorlage Schiffbruch erleiden, ist ihre Regierungstätigkeit deswegen nicht gefährdet – so wie in der Schweiz.
Im Gegensatz zur Schweiz kann die deutsche Bundesregierung eine ihr wichtige Abstimmung freiwillig mit der Vertrauensfrage verbinden. Verliert die Regierung eine solche Abstimmung, muss der Bundestag eine neue Kanzlerin oder einen neuen Kanzler wählen. Falls dies nicht gelingt, ruft der Bundespräsident Neuwahlen aus (Art. 68).
SPD und Grüne wiederholen ständig, dass es ihnen in erster Linie darum geht, ihre sachlichen Forderungen durchzusetzen. Das wird ihnen als Oppositionsparteien besser gelingen. Und für die nächsten Wahlen können sie sich viel besser profilieren.
Eine grosse Koalition dagegen würde in vier Jahren dazu führen, dass sehr viele Oppositions- und Proteststimmen auf Kleinparteien setzen und die SPD als Volkspartei für längere Zeit ausgedient hat.
Eine Stärkung der Kleinparteien aber würde die langfristige Stabilität und Verlässlichkeit der deutschen Politik tatsächlich gefährden.
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NACHTRAG
Für Spiegel-online ist die Variante einer Unions-Regierung ohne SPD oder Grüne wenigstens ein diskussionswürdiges Gedankenspiel.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine