Musk macht den öffentlichen Raum zum Privateigentum
Löschen oder nicht? Als Elon Musk für 44 Milliarden Dollar Twitter übernahm, standen wohl etliche vor genau dieser Frage. Auch der New-York-Times-Journalist und Autor Chris Hayes machte sich ernsthafte Gedanken. Denn er «wollte nicht, dass die einzige Aufzeichnung meines Mikro-Bloggens einem Milliardär gehört, sich der in der Midlife-Crisis befindet und die Wahrheit für sich gepachtet hat».
Die Turbulenzen um Twitter hätten eines enthüllt: Die digitale Plattform, der «öffentlichen Marktplatz», wie Musk Twitter nennt, wurde zu unser aller Nachteil privatisiert, klagt Chris Hayes. Die Ursprungsidee, dass die Plattform eben nicht Privatbesitz sei, sondern der Allgemeinheit dienen sollte, wurde mit dem Verkauf an eine einzige Person ad absurdum geführt.
Auf Twitter ist alles zu haben. Jede Weltanschauung und jegliche Art von Expertise sind sofort zugänglich und überlappen einander. Wenn man die richtigen Gesprächspartner findet, kann man sich unmittelbar über praktisch alles informieren – über die Schwankungen von Holzpreisen, die Unterhaltsprobleme der russischen Tankerflotte bis zum Scouting-Report des Goalies von Wales. Gerade für Journalistinnen und Journalisten sei das unentbehrlich, so Hayes.
Weil Twitter der Idee des öffentlichen Marktplatzes von allen ähnlichen Plattformen am nächsten kam, war die Aufregung gross, als Elon Musk ein Kaufangebot abgab. Kein einzelner Mensch sollte so viel Macht haben, lautete der Vorbehalt. Und in weniger als einem Monat hätten sich fast alle der schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Tatsächlich hat Musk einigen der übelsten Trolle hofiert, hat Werbekunden vertrieben und so viele Leute entlassen, dass einfache Funktionen wie die doppelte Authentifizierung zeitweise nicht mehr funktionierten.
Musk selbst ist ein Twitter-Junkie. Er kann einfach nicht aufhören. Er hat Millionen Follower und steckt tief im Sumpf seiner eigenen Antworten und Zitierungen. Er verbringt extrem viel Zeit damit, zu verfolgen, was die Menschen über ihn posten. «Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass dies der direkte Weg in den Wahnsinn ist», schreibt Chris Hayes.
Am Anfang des Internets stand der Traum, diese Technologie dazu zu nutzen, die Reichweite menschlichen Wissens und menschlicher Gemeinschaft massiv zu vergrössern. Das Internet schaffte etwas, was bislang keine Technologie geschafft hatte: Gemeinschaft unabhängig von Geografie. Die utopische Vision der Urheber beschrieb einen Ort, wo Menschen über alle Grenzen hinweg einander finden und eine Gemeinschaft aufbauen, sich austauschen, debattieren und gemeinsame Interessen verfolgen können.
Das Internet wurde bald zum endlosen «All-you-can-eat-Buffet». Nie zuvor hatten Menschen Zugang zu so vielem, das Aufmerksamkeit verlangte.
Elon Musk tappte genau in die Falle, die Twitter aufgestellt hat: Der Köder ist das Versprechen ständiger sozialer Aufmerksamkeit. Dass der weltweit erfolgreichste Kapitalist (zumindest nach seinem Massstab) diesen öffentlichen Marktplatz aufgekauft hat, ist das seit langem beste Argument gegen Privatbesitz einer öffentlichen Sphäre.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Gibt es überhaupt noch Bereiche, die nicht von (der Willkür von) Milliardär.innen abhängen?
Ich befürchte Nein! Es gilt wie schon immer, das Geld regiert die Welt und die Politik übernimmt die Rolle der Hampelmänner, Hampelfrauen und Hampeldivers. Wer auf der Strecke bleibt, ist das gemeine Volk, aber denen scheint es auch egal zu sein, allso ist alles wieder gut, oder etwas doch nicht?
Müsste man sich aber fragen, welche Willkür vor der Übernahme Musks herrschte?
Egal welches Thema, ob Covid, Klima oder Russland / Ukraine, User welche dem geltenden Narrativ nicht entsprachen oder Regierungsmitglieder kritisierten wurden sehr häufig gesperrt.
Das hatte mit einem öffentlichen Marktplatz auch nichts mehr zu tun.
Und wie sieht es mit anderen Medien aus? Sind die nicht in Privatbesitz? Die Ringier’s, die Wanner’s, die Coninx, Axel Springer https://www.sueddeutsche.de/medien/springer-verlag-kkr-1.4549280 besitzen eine grosse Medienmacht. Auch wenn die Produkte unter verschiedenen Namen herausgegeben werden ist das keine Medienvielfalt.
Problematische wird es erst, wenn Texte zurückgehalten oder Verfasser gesperrt werden wo die Aussagen rechtlich völlig unproblematisch sind.
Absolut einverstanden. In aller Regel sind private Marktplätze deutlich offener als staatliche. Und das gilt nicht nur für Internet Marktplätze.
Infosperber:
«Das Internet wurde bald zum endlosen «All-you-can-eat-Buffet».»
Buffet:
«Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.»
Waren Alphabet Inc. (z.B. Google), Google (z.B. Youtube), Paypal, Ebay, Amazon und weitere, jemals staatlich, genossenschaftlich, demokratisch? Sind sie nicht seit jeher einzig auf freiwilliger Basis bzw. solange es ihnen passt, «Service Public», also für alle da? Ist es nicht der Kern des Kapitalismus, der Sinn des Eigentums, dass der Unternehmer allein entscheidet?
Aus meiner Sicht dient der scheinbare «Altruismus» nur als Türöffner weltweit, zielt letztlich auf Gegenteiliges. Dafür gibt es x-Beispiele, eines davon: Buch «Bekenntnisse eines Economic Hit Man».
PS: Ich fordere schon lange ein eigenes Gefäss (ähnlich Youtube) seitens Europa (oder gar der Schweiz), jedoch das einzige mir bekannte quasi Analogon ist rutube.ru
Was ist besser, die Willkür einer Mehrheit, eines Kollektivs oder eines Einzelnen? Weder noch sagten unsere Vorfahren und gaben uns Mittel dieser Willkür vorzubeugen, sie zu eliminieren oder wenigstens zu zähmen – nämlich die Kontrolle durch ‹checks-and-balances› und ‹rule of law›, abgesichert durch rechtsstaatliche Verfahren vor Gerichten.
Man kann der Meinung sein, dass unbeschränkt öffentlich zugängliche Plattformen, d.h. Plattformen, auf denen sich jede(r) registrieren kann, mit oder ohne Abo, nicht privat sondern öffentlich seien und deshalb da auch die bekannten rechtstaatlichen, demokratischen Regeln zu gelten hätten.
Privat wären solche Plattformen nur dann, wenn sie sich an ein klar definiertes, begrenztes Publikum richtet, z.B. Mitgliedschaft in einem Verein/Partei/Organisation/Gemeinschaft, Wohnort in einer bestimmten geographischen Region, usw.
Die Besitzverhältnisse wären dabei unerheblich. Vergessen wir nicht, dass sich die Verfassung (Sozialvertrag) an alle richtet…
Kein Wort davon dass in den letzten 3 Jahren zig-tausende von Twitter-Konti gesperrt wurden weil sie eine differenzierte Meinung zum offiziellen Corona-Narrativ hatten – und damit meine ich nicht diejenigen die Hass verbreiteten sondern die unzähligen seriöse Tweets, von der Hausfrau bis zum Wissenschafter. Da ist mir ein Elon Musk viel sympathischer als die undurchsichtige Twitterzensur-Crew der letzten 3 Jahre von der man nicht wirklich wusste in welchem Solde sie wirklich stand. Und ja, Milliardäre sind sie alle beide, ob Jack Dorsey oder Elon Musk – in diesem Sinne hat sich ja nichts geändert.