Der von Israel gehasste Jude tritt ab
Richard Falk, der Experte, den Israel von Herzen hasste, beendet sein Mandat für Palästina im UN-Menschenrechtsrat. Am Montag 24. März 2014 übergab der im Jahre 2008 ernannte Berichterstatter seinen letzten Bericht über die Menschenrechtslage in Palästina.
Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der scharfzüngige Professor den Israeli Gelegenheit geben wird, ihn zu verdammen.
Nominierte Nachfolgerin gilt in Israel ebenfalls als zu kritisch
Der UN-Menschenrechtsrat hat am Freitag 28. März Christine Chinkin zur neuen Berichterstatterin über die Menschenrechtsverletzungen in Palästina nominiert, als Nachfolgerin von Richard Falk. Sie gehört nicht zu den Wunschkandidaten von Israels Regierung, welche dieses Mandat grundsätzlich ablehnt. Chinkin war am «Goldstein Report» von 2009 beteiligt, der grosse Kontroversen auslöste.
Chinkin ist Professorin für Internationales Recht an der «London School of Economics and Political Science» und war Mitglied der «Fact Finding Mission» über den Gaza-Konflikt. Seit Januar 2010 ist Chinkin Mitglied des «UN-Human Rights Advisory Panel» für Kosovo.
Zahlreiche Verletzungen des internationalen Rechts
In seinem 80-seitigen Bericht* erinnerte Richard Falk einmal mehr daran, dass sich Israel nicht an die Normen des Internationalen Rechts hält, und dies seit jeher. Er listet die zahlreichen Rechtsverstösse auf, die im Zusammenhang mit der Trennmauer stehen, deren Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof schon vor zehn Jahren erfolgte. Er prangert insbesondere die Belagerung des Gazastreifens an, den kolonialistischen Charakter der jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet und bezeichnet die Situation in Ostjerusalem als «ethnische Säuberung».
Diese Anklagen sind im Rat zur Routine geworden, da, wie Falk betont, keine der bisher erfolgten Empfehlungen befolgt wurde. Der Berichterstatter bedauert auch die völlige Kooperationsverweigerung durch den hebräischen Staat, dessen Delegation übrigens wegen eines Streiks im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten nicht im Saal anwesend war.
Richard Falk, ein anerkannter Professor für Internationales Recht, Autor zahlreicher Werke zum Internationalen Recht (namentlich zum Vietnamkrieg, zur Aufrüstung, zu den internationalen Beziehungen und zum Nahen Osten) pflegt kein Blatt vor den Mund zu nehmen, obwohl seine Stimme bemerkenswert sanft ist.
Mit seinem Abschied tritt einer der «besten Feinde» Israels von der Bühne der Vereinten Nationen ab. Seine kompromisslosen jährlichen Berichte sind gepaart mit einer Persönlichkeit, die sich durch bisweilen provokative Stellungnahmen hervorgetan hat (zum Beispiel zum Recht der Völker, sich zu verteidigen, was als eine Unterstützung des Terrorismus interpretiert wurde), Stellungnahmen, die Israel zum Vorwand nimmt, ihn ohne Nuancen zu verteufeln.
Eine umstrittene Persönlichkeit
Seine Ernennung zum Sondergesandten des UN-Menschenrechtsrates für die Palästinensischen Autonomiegebiete im Jahre 2008 hatte Jerusalem und Washington bereits verstimmt. Als Jude und US-Amerikaner hatte Falk 2001 an einer Un-tersuchungsmission in den palästinensichen Gebieten teilgenommen, die mit einem für Jerusalem niederschmetternden Bericht endete. Im Jahre 2002 hatte er die israelischen Militäroperationen während der zweiten Intifada als «Staatsterrorismus» bezeichnet. Dann, im Jahre 2007, kurz vor seiner Ernennung in den Rat, hatte er in einem Artikel die Behandlung der Palästinenser in die Nähe der kriminellen Handlungen der Nazis gerückt, nicht ohne zu betonen, man solle diesen Vergleich nicht wörtlich nehmen. Er hatte später erklärt, dass er ihn, als amerikanischer Jude, im Sinne eines verzweifelten Aufrufs gemacht habe.
2008 zeigte sich Ithzak Levanon, der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, erstaunt darüber, dass der Rat «auf einer Liste mit 184 potentiellen Experten» keine «unparteiische und objektive» Persönlichkeit für diesen Posten gefunden habe.
Rechtsbrüche seitens der Palästinenser
Der neue Berichterstatter verblüffte alle, als er kurz nach seiner Ernennung vorschlug, sein Mandat auf die Rechtsbrüche, die die Palästinenser gegenüber den Israeli begingen, auszuweiten, eine Position, die sich mit den Forderungen des hebräischen Staates deckte! «Ich denke seit langem, dass das Mandat ausgeweitet werden muss», hatte er mir in Genf anvertraut und versichert, dass er damit nicht den Fehler seines unglücklichen Artikels wiedergutmachen wolle. «Ich hätte das früher oder später vorgeschlagen, ich muss zwischen meinen Positionen als engagierter Bürger und meinen neuen Verantwortlichkeiten unterscheiden: da muss ich unparteiisch und objektiv sein.» In dieser Hinsicht weichen seine Berichte nicht von denen anderer Experten des Menschenrechtsrats ab.
Auf arabischer Seite gab es sofort eine Reaktion gegen das, was als Gleichsetzung der Besatzer und der Besetzten bezeichnet wurde. «Wenn die palästinensischen Panzer Tel Aviv umzingeln werden, dann wird man davon sprechen können, das Mandat auf die palästinensischen Rechtsverletzungen auszuweiten», bemerkte ironisch der Vertreter Palästinas in der Vollversammlung. Für Richard Falk war das eine Art, allen Anschuldigungen wegen Einseitigkeit (gerechtfertigten, wie er sagte), welche die Berichte über diese Region in Misskredit bringen, zuvorzukommen: «Diese Ausweitung wird zeigen, dass es schwerwiegende Rechtsbrüche seitens der Palästinenser gibt, dass sie jedoch geringfügig sind verglichen mit denen der Israeli.» Der Botschafter Levanon sieht darin eine Falle von Falk.
Jude und Antisemit?
Die Angriffe auf Falk hörten nicht mehr auf, meistens in Form von aus dem Zusammenhang gerissenen Verweisen oder verkürzten Zitaten. Es wurde ihm nie gestattet, für seine Nachforschungen israelischen Boden zu betreten. Er wurde sogar im Dezember 2008 am Flughafen von Tel Aviv zurückgewiesen und musste die Nacht in einer Zelle verbringen, eine noch nie dagewesene, schwerwiegende Massnahme. Am Tag zuvor hatte er die Kollektivstrafen gegen die Palästinenser als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet.
Der Professor wurde natürlich von Israel als Antisemit abgestempelt, in der besonderen Kategorie der «self-hating Jews», der Juden, die ihr Volk hassen. Damit landete er in der Gesellschaft von herausragenden Persönlichkeiten wie dem Journalisten Max Blumenthal, dem Politologen Norman Finkelstein, dem Linguisten und Politaktivisten Noam Chomsky oder auch Professor Ilan Pape.
Richard Falk verlässt den Rat, doch nichts weist darauf hin, dass Israel nun leisere Töne anschlägt. Der nächste Berichterstatter zur Menschenrechtslage in Palästina muss bis zum Ende der laufenden Session am 28. März ernannt werden. Es handelt sich um das einzige Mandat, welches ein Land betrifft, das dauernd auf der Agenda des Rates steht, was Israel kritisiert. Richard Falk rechtfertigte die Wichtigkeit dieses Mandates wegen der Beteiligung der UNO an der Schaffung des Staates Israel.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Michel Bührer ist Uno-Korrespondent in Genf. Übersetzung aus dem Französischen von Walter Rohner.
Tatsächlich sollten die von Palästinensischer Seite begangenen Rechtsbrüche auch parallel aufgelistet werden, vor allem erst mal die, die gegen die eigenen Volkszugehörigen gemacht werden; dagegen können die Araber doch wirklich nichts haben
Israel entwickelt sich immer mehr zu einem rassistischen Apartheidstaat, die palästinensischen Einwohner sind Bürger dritter Klasse, gut genug als Arbeitssklaven, ohne Rechte, eingeschlossen in Ghettos wie Gazastreifen. Dass da Widerstand nicht ausbleibt, ist mehr als logisch.
Danke nachträglich Michel Bührer für die Würdigung dieses blitzgescheiten öffentlichen Intellektuellen.
Wie Sie sagen, hat er hier nur ein Amt niedergelegt und publiziert weiter – für die Öffentlichkeit wohl mehr als vorher.
Unter anderem fast immer in der wöchentlichen Presseschau TMS von TRANSCEND (Gruppe um Johan Galtung), wo er Mitglied ist.
Heute 4. August 2014: https://www.transcend.org/tms/2014/08/cruelties-of-ceasefire-diplomacy/
Werner T. Meyer