Polizei

Auch das «ZDF» berichtete letztes Jahr über «Polizeigewalt: Wenn Beamte zu weit gehen» und zeigte erschreckende Szenen. © ZDF / Youtube

Amnesty International macht Deutschland schwere Vorwürfe

German-Foreign-Policy /  Zunehmende Repression gegen friedliche Proteste, Stigmatisierung abweichender Meinungen, Schüren rassistischer Ressentiments.

Amnesty International erhebt in einem aktuellen Bericht schwere Vorwürfe gegen 21 europäische Staaten, darunter nicht zuletzt Deutschland. Die Vorwürfe beziehen sich auf Einschränkungen des Rechts auf Protest; demnach werden in Europa und nicht zuletzt auch in der Bundesrepublik friedliche Demonstranten zunehmend «stigmatisiert, kriminalisiert und angegriffen».

Amnesty hat Fälle schwerer Polizeigewalt dokumentiert – zum Beispiel bei einer Demonstration in Frankfurt am Main –, konstatiert, wer zivilen Ungehorsam leiste, müsse in Deutschland damit rechnen, als «Terrorist» oder auch als «ausländischer Agent» diffamiert zu werden – auch von hochrangigen Politikern –, und kritisiert die harte Repression, der ausgesetzt ist, wer gegen den Gaza-Krieg protestiert. Dabei verfestigten staatliche Stellen nicht nur «stigmatisierende und diskriminierende Stereotypen» über ethnische und religiöse Minderheiten; ihr Vorgehen offenbare auch einen «institutionalisierten Rassismus», «der auf Araber und auf Muslime zielt». Der Amnesty-Bericht wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, zu dem abweichende Meinungen in Deutschland zunehmend ausgegrenzt werden. Kritiker warnen vor einer autoritären Wende.

Exzessive Polizeigewalt

Die Vorwürfe, die Amnesty International speziell gegen Deutschland erhebt, beziehen sich insbesondere auf drei Bereiche. Beim ersten geht es um exzessive Polizeigewalt gegen Demonstranten. Als Beispiel führt Amnesty eine Demonstration am 1. Mai 2021 in Frankfurt am Main an, bei der die Polizei zum Beispiel Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte. Dabei wurden zahlreiche Demonstranten verletzt; mehrere von ihnen erlitten Knochenbrüche, zwei sogar einen Schädelbasisbruch. Sanitäter berichteten Amnesty zufolge, die Polizei habe sie «einige Stunden» lang daran gehindert, die Schwerverletzten zu behandeln.[1]

Der Amnesty-Report dokumentiert auch Fälle exzessiver Polizeigewalt gegen Kinder und Fälle, die als Misshandlung oder Folter einzustufen seien, zum Beispiel solche, bei denen Demonstranten, die wehrlos am Boden lägen, geschlagen und getreten worden seien. Es komme auch vor, erklärt Amnesty, dass Demonstrationsbeobachter von der Polizei gehindert würden, das polizeiliche Vorgehen gegen Demonstranten zu dokumentieren: Sie würden dabei ultimativ aufgefordert, den Ort der Proteste zu verlassen.

«Zum Schweigen bringen»

Vorwürfe erhebt Amnesty International des Weiteren bezüglich des Vorgehens deutscher Behörden gegen zivilen Ungehorsam. Dies bezieht sich nicht nur, aber explizit auch auf die Repression gegen Klimaaktivisten. Man habe, heisst es bei Amnesty, «ein besorgniserregendes Muster» identifiziert: Personen, die friedlich protestierten, würden «festgenommen, angeklagt und vor Gericht gestellt» – dies selbst dann, wenn ihre Taten weder «öffentliches Interesse» gefährdeten noch ernste Schäden anrichteten.

Vier Staaten in Europa, darunter Deutschland, griffen auf Gesetze gegen organisierte Kriminalität sowie gegen Terrororganisationen zurück, um zivilen Ungehorsam zu bestrafen; dabei würden auch gegen Personen, die friedlich protestierten, Haftstrafen verhängt. Das offizielle Vorgehen wecke Sorgen, dass das Stichwort «nationale Sicherheit» als Waffe instrumentalisiert werde, «um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen».

In diesem Zusammenhang konstatiert Amnesty, in Deutschland werde, wer gegen Missstände protestiere, immer öfter als «Extremist», als «Terrorist», als «Krimineller» oder auch als «ausländischer Agent» diffamiert – ein bequemes Mittel, dessen sich heute auch hochrangige Politiker bedienten, um missliebige Ansichten zu diskreditieren.

Präventivhaft

Besonders erwähnt Amnesty dabei den sogenannten Vorbeugegewahrsam, der es erlaubt, Personen auf den blossen Verdacht hin, sie könnten an missliebigen Protesten teilnehmen, zu inhaftieren; in Bayern etwa ist das für bis zu 30 Tage möglich. Amnesty konstatiert, dies widerspreche gängigen internationalen Menschenrechtsstandards; man habe «mehrfach» die betreffenden Bundesländer aufgefordert, ihre Gesetze an diese Standards anzupassen, damit aber – ähnlich wie in der Türkei – keinen Erfolg gehabt.

«Institutionalisierter Rassismus»

Gravierend sind die Vorwürfe, die Amnesty International bezüglich der Repression gegen Palästinenser und gegen Proteste gegen den Gaza-Krieg erhebt. Sie betreffen bereits die Zeit vor dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023. Demnach beruhten die präventiven Verbote von Demonstrationen rund um den Nakba-Tag im Frühjahr 2022 sowie im Frühjahr 2023 auf «stigmatisierenden und diskriminierenden Stereotypen» bezüglich der erwarteten Teilnehmer, die etwa als «aus der arabischen Diaspora» stammend, «mit palästinensischem Hintergrund» oder als «von Muslimen beeinflusste Kreise» beschrieben worden seien und denen man die Eigenschaft zugeschrieben habe, «eine Tendenz zu Gewalttaten» zu haben. Dies zeige «institutionalisierten Rassismus gegen eine gesamte demografische Gruppe».

Nach dem 7. Oktober wiederum seien öffentliche Veranstaltungen, die Solidarität mit den Palästinensern hätten zeigen sollen, häufig komplett verboten, ansonsten lediglich mit unverhältnismässigen Auflagen erlaubt worden, konstatiert Amnesty; Protestcamps an Universitäten seien auf fragwürdiger rechtlicher Grundlage mit Gewalt aufgelöst worden. Das Vorgehen, urteilt die Menschenrechtsorganisation, «verankert rassistische Vorurteile und Stereotypen» und legt «institutionalisierten Rassismus, der auf Araber und auf Muslime zielt», offen.

Autoritäre Wende

Der Amnesty-Bericht erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kritik an einer autoritären Wende in Deutschland lauter wird. Im Kern bereits seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs, in zugespitzter Form seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober werden abweichende Meinungen insbesondere zu aussenpolitischen Themen in wachsendem Masse ausgegrenzt.

Jüngst hat zu Protest geführt, dass im Bundesbildungsministerium Überlegungen angestellt wurden, Hochschullehrer, die die Repression gegen die Palästina-Solidarität kritisieren, mit dem Entzug ihrer Forschungsmittel zu bestrafen [2]. Ein aktueller Gesetzesentwurf, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgelegt hat, enthält Bestimmungen, denen zufolge in Deutschland lebende Menschen ohne deutschen Pass ausgewiesen werden können, wenn sie angebliche oder tatsächliche Terrorakte billigen; zur Erfüllung des Tatbestands, der freilich unscharf definiert ist – es gab Zeiten, da galten Kämpfer des ANC als «Terroristen» –, genügt es demnach bereits, einen inkriminierten Beitrag in den sozialen Medien zu liken.[3]

_____________________

Dieser Beitrag erschien auf «German-Foreign-Policy.com».

[1] Zitate hier und im Folgenden: Under protected and over restricted. The state of the right to protest in 21 European countries. Amnesty International. 09.07.2024.
[2] Siehe dazu Wissenschaft im Weltkriegsformat.
[3] Chris Köver: Ausweisung schon nach einem Like. netzpolitik.org 26.06.2024.

Kritik von Amnesty International an der Schweiz

«Insgesamt zeigt sich in ganz Europa ein Muster repressiver Gesetze, übermässiger Gewaltanwendung, willkürlicher Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung sowie ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen», hält der Bericht von «Amnesty International» fest. Auch die Schweiz wird darin beleuchtet.

Das Einkesseln von Demonstranten mit Überprüfen ihrer Personalien sei hier zu Lande gebräuchlich, kritisiert der Bericht. Davon seien auch Kinder betroffen gewesen. In Basel beispielsweise habe ein Polizist einer 16-Jährigen einen Tritt in die Niere gegeben, der Teenager sei danach über den Boden gezogen worden. Auch das Durchsuchen von protestierenden Personen vor, während und nach Demonstrationen mit Erfassen ihrer Personalien prangert Amnesty International unter anderem an.

Kritisiert wird ferner, dass Polizistinnen und Polizisten nicht in allen Kantonen ihre ID gut sichtbar auf sich tragen müssen, dass es keine übergeordnete, unabhängige Aufsicht über die Polizei gebe und dass die hohen Kosten Polizeiopfer davon abhalten könnten, ihre Rechte einzuklagen. Militärpersonal einzusetzen, um die Polizei zu unterstützen, sei unter anderem deshalb problematisch, weil Militärangehörige nicht im De-Eskalieren geschult seien.

Der Bericht lobt aber auch, zum Beispiel den Kanton Bern für seine «3D»-Strategie: Dialog, De-Eskalation und erst, wenn diese beiden Mittel vollständig ausgeschöpft seien, Durchsetzen. (mfr)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» (german-foreign-policy.com) werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120807um11_24_46

Menschenrechte

Genügend zu essen. Gut schlafen. Gesundheit. Grundschule. Keine Diskriminierung. Bewegungsfreiheit. Bürgerrechte

Terrorist

NSA, BND, NDB: Totale Überwachung?

Die Angst vor terroristischen Anschlägen wird als Grund genannt für weitreichende Privatsphäre-Eingriffe.

Privatsphre2

Schutz der Privatsphäre

Internet-Seiten, E-Mails, Telefonanrufe, Handy-Standorte usw. werden flächendeckend erfasst. Wer stoppt´s?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

3 Meinungen

  • am 14.07.2024 um 10:58 Uhr
    Permalink

    Die Aussage, dass in Deutschland seit dem Ukraine Konflikt der Meinungskorridor stark eingeschränkt ist,würde ich widersprechen. Dies war nämlich schon zu Corona so. Unvergessen die Bilder,wie die Polizei im Freien Menschen ohne Masken jagten. Auch kann zu den Demos das genau gleiche gesagt werden. In Deutschland möchte man es besonders gut machen und genau deshalb versemmeln sies. Die Ampel Regierung hat so Angst vor Rechts/Afd, dass sie immer autoritärer agieren. Gesetze beschliessen,die ihnen selber bald auf die Füsse fallen werden. Deutschland ist ein gutes Beispiel, wie es öffentlich und in den Medien nur noch eine Meinung geben darf. Schon nur wie mit intelligenten Menschen wie Ulrike Guerot oder Sarah Wagenknecht umgegangen wird,ist sehr beschämend. Man will sich gar nicht auf Aussagen von ihnen einlassen und diffamiert sie gewaltig. Leider auch nicht erstaunlich, dass Amnesty dies nicht mal erwähnt und ihre Kritik erst 2022 ab einsetzt.

  • billo
    am 14.07.2024 um 11:50 Uhr
    Permalink

    NOT IN MY NAME!
    Also so das wäre dann die Freiheit, die von «unseren» Regierungen mit enormer Aufrüstung gegen aussen wie innen verteidigt wird? In Deutschland ausgerechnet von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen? Wer protestiert, darf nun auch im Westen als «ausländischer Agent» drangsaliert werden – die politischen Systeme werden einander immer ähnlicher. Und darum sollen Menschen im Krieg gegen diktatorische Regime in Russland und anderswo sterben?
    Wenn denn Krieg, dann den Palästen – die Hütten lasst stehn und macht sie schön!

  • am 15.07.2024 um 14:37 Uhr
    Permalink

    Deutschland hatte immer schon einen autoritäten Touch. Politiker sind sankrosankt, abgesehen von einigen DDR-Funktionären musste noch nie ein hohes Tier in den Knast. Skandale kommen mit schönster Regelmäßigkeit in ein ermittlungstechnisches Abklingbecken. Umso härter ist es auf der Straße und gegen Machtlose; hier wird gern geprügelt, später gemauert. Auch Polizisten sitzen nur sehr selten auf der Anklagebank. Das GG hat zwischen Volk und Regierung eine überwindbare Mauer aufgerichtet. Nicht einmal der BP darf direkt gewählt werden. Die Justiz ist weisungsgebunden; wer aufsteigen will, muss mitmachen. Unliebsame Zeitgenossen werden mit Schauprozessen gequält (siehe Pfarrer Lothar König), tüchtige Juristen (siehe Jan-Robert von Renesse) kaltgestellt, oft wird trotz überwältigender Beweislast nicht ermittelt (siehe Fall Kalinka Bamberski). AI ist mit Vorsicht zu genießen, diese Analyse allerdings findet meine volle Zustimmung.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...