Zyklusstörungen durch Covid-Impfung sollen erforscht werden
Kopfschmerzen, Müdigkeit, leichtes Fieber, Schmerzen an der Einstichstelle: Die Nebenwirkungen der Covid-Impfung sind mittlerweile sattsam bekannt. Was lange Zeit nicht in dieser Liste auftauchte, waren Veränderungen des weiblichen Zyklus, über die sich eine Anzahl Frauen beklagte. Eine Unterlassung, die zumindest für Unsicherheit sorgte. «Wenn auf Müdigkeit nach der Einnahme eines Medikaments hingewiesen wird, warum dann nicht auf sowas? Das ist nicht akzeptabel», sagte eine 31-jährige Studentin aus den USA beispielsweise wütend zu «Good Morning America».
Ein Tweet, der eine Flut an Antworten auslöste
Das änderte sich, als Kathryn Clancy, Professorin für Anthropologie an der University of Illinois, auf Twitter nachfragte, ob auch andere Frauen Zyklusänderungen erlebt hätten. Clancy bekam zahlreiche Antworten.
Frauen berichteten über längere Zyklen, kürzere Zyklen, unregelmässige Zyklen, ungewöhnlich schmerzhafte oder stärkere Blutungen, Schmier- und Zwischenblutungen, wochenlanges PMS, Blutungen nach der Menopause. Transpersonen, deren Zyklus seit Jahren hormonell unterdrückt wurde, schrieben, dass sie plötzlich wieder bluteten.
In der Summe klang das nicht nach seltener Nebenwirkung. Zahlreiche Medien berichteten darüber. Bei der britischen Gesundheitsbehörde MHRA (Medicines and Healthcare Products Regulatory) gingen bis September 2021 mehr als 30’000 Berichte über Menstruationsstörungen als Impfnebenwirkung ein, inzwischen sind es über 50’000.
Im Vergleich zur Anzahl der Geimpften sind das aber eher wenig. Bis zum 22. Februar hatten in Grossbritannien 32 Millionen Menschen zwischen 15 und 50 Jahren mindestens zwei Impfungen bekommen, grobgerechnet die Hälfte davon dürften Frauen sein. Clancy tat sich mit einer anderen Wissenschaftlerin zusammen und startete eine Online-Umfrage, die mittlerweile beendet ist. Sie bekam nach eigenen Aussagen 150’000 Antworten.
Wie oft kommen Beschwerden vor?
Freilich meldeten sich auch bei dieser Umfrage nur Personen, die Beschwerden hatten. Eine Antwort darauf, wie häufig der weibliche Zyklus durch die Impfung gestört wird, gibt sie nicht. Eine Impfärztin, die die Autorin dieses Artikels befragt hat, spricht von einem einzigen Fall unter etwa 1’000 Frauen, die sie bisher geimpft habe. Deren Beschwerden ordnete sie als alterstypisch ein, sprich: als Vorboten der Menopause.
Eine Gynäkologin dagegen sagt, die Mehrzahl ihrer Patientinnen habe nach der Covid-Impfung über Zyklusstörungen geklagt. Zwei sehr verschiedene Aussagen, aber noch immer das, was in der Wissenschaft als «anekdotisch» gilt, also als nicht systematisch erfasst.
Keine Belege für Unfruchtbarkeit
Für eine eingeschränkte Fruchtbarkeit nach der Covid-Impfung, das muss dazu gesagt werden, gibt es bisher keine Belege. Bisher gab es weder weniger Schwangerschaften noch mehr Fehlgeburten oder überhaupt weniger Geburten als erwartbar. Als unfruchtbar gilt, wer nach einem Jahr noch immer nicht schwanger wird. Ein chaotischer Zyklus mag die Planung einer Schwangerschaft aber erschweren.
Etwas Licht ins Dunkel brachte eine Studie in den USA. Sie untersuchte die Daten von 3’959 geimpften und ungeimpften Frauen zwischen 18 und 45 Jahren, die mit einer Zyklus-App ihren Zyklus dokumentiert hatten. Die 2’403 geimpften Frauen hatten entweder eine oder zwei Dosen der Impfstoffe von Moderna, Johnson & Johnson oder Pfizer/Biontech erhalten.
US-Studie findet zehn Prozent relevante Zyklusstörungen
Bei 90 Prozent der Geimpften gab es eine minimale Zyklusverschiebung von weniger als einem Tag, die nach der zweiten Impfung häufiger auftrat. Bei etwa zehn Prozent der Probandinnen verschob sich die Blutung um mehr als eine Woche. Allerdings kam diese signifikante Verschiebung auch in der ungeimpften Kontrollgruppe vor, nämlich zu 4,6 Prozent bei Ungeimpften und zu 6,5 Prozent bei Geimpften. Eine Veränderung in der Länge der Blutung fand die Studie nicht.
Aus der Studie ausgeschlossen waren Frauen, die einen Zyklus von weniger als 24 und mehr als 38 Tagen hatten, älter als 45 Jahre waren, bei denen eine Schwangerschaft oder die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel noch nicht lange her waren, Frauen mit nicht ganz regelmässigem Zyklus und solche mit verschiedenen Vorerkrankungen. Auch Frauen, die mit dem Impfstoff von Astra Zeneca geimpft worden waren, wurden nicht erfasst.
Störungen auch bei Vektorimpfstoffen
Dass es weit mehr Antworten auf Clancys Tweet gab, die auf auffällige und länger anhaltendere Zyklusveränderungen hindeuten, könnte an diesen Einschränkungen liegen. Die Autorinnen der Studie stellten aber fest, dass die Störungen bei den Frauen am heftigsten ausfielen, die beide Impfungen innerhalb eines Zyklus bekommen hatten. Und dass sich der Zyklus der meisten Frauen schnell wieder normalisierte.
In Grossbritannien, wo viele Menschen mit Vaxzevria von Astra Zeneca geimpft wurden, seien auch Zyklusveränderungen durch Vektorimpfstoffe gemeldet worden. Am Impfstoff-Prinzip könne es also nicht liegen, schreibt die Immunologin Victoria Male im Fachmagazin «BMJ».
Warum Gendermedizin wichtig ist
Es ist nicht das erste Mal, dass nach einer Impfung Zyklusstörungen auftreten. Meldungen dazu gab es auch bei der HPV-Impfung oder bei Röteln- und Typhus-Impfungen. Allerdings wurde der Zusammenhang bisher kaum systematisch untersucht – ein Grund, weshalb Gendermedizin wichtig ist. Es sollte systematisch erfasst werden, wie Medikamente bei Männern und Frauen wirken und ob es Unterschiede gibt.
Möglich wäre beispielsweise, dass sich Frauen über Zyklusstörungen nach einer Impfung bisher gar keine Gedanken machten, weil sie diese nicht mit der Impfung in Verbindung brachten oder die Nebenwirkung als ärgerlich aber unwesentlich einstuften.
Dass so viele Frauen in kurzer Zeit mit demselben Impfstoff geimpft werden, kam bisher auch kaum vor. Wie viele Frauen oder deren behandelnde Ärztinnen Zyklusstörungen nach der Covid-Impfung auch gemeldet haben, ist ebenfalls fraglich. Plausibel wäre generell, dass Störungen im Zyklus bei älteren Frauen eher auftreten, weil die Hormonregulation dann schwächer und damit empfindlicher ist.
Daten gibt es wenig, weil niemand danach fragte
Dass Ärztinnen und Ärzte kein Augenmerk auf die Menstruation von Geimpften hatten, kann wiederum damit zu tun haben, dass bei den Corona-Impfstofftests einfach nicht danach gefragt wurde. Die Nebenwirkung tauchte deshalb im Vorfeld nirgends auf. Die ersten geimpften Frauen waren dann noch grösstenteils höheren Alters.
Eine Rolle spielt es anscheinend, in welcher Zyklusphase die Impfung stattfindet und wieviel Zeit zwischen erster und zweiter Impfung liegt. Damit zur eigentlich wichtigsten Frage: Warum kann die Covid-Impfung den Menstruationszyklus ändern? Darüber gibt es viele Theorien, aber kaum Antworten.
Über das «warum» gibt es vor allem Theorien
Die Immunologin Male schliesst aus den vorliegenden Studien, dass eine immunologische Reaktion die Störung verursacht, egal mit welchem Impfstoff geimpft wurde. Auch 28 Prozent der Frauen, die sich mit Covid-19 infiziert hatten, erlebten Zyklusstörungen.
Die Gebärmutterschleimhaut sei Teil des Immunsystems, unter anderem schütze sie den Embryo vor Infektionen. Dass sie auf eine Impfung reagiere, sei nachvollziehbar, sagt die Gynäkologin und Kolumnistin Jen Gunter zum US-Magazin «Mother Jones». Auch das Zusammenspiel zwischen dem Gehirn und den Eierstöcken könne durch die Impfung gestört werden. Stören könne auch Fieber, falls es als Impfreaktion auftritt.
Stress, der öfter als mögliche Ursache genannt wird, könnte ebenfalls eine Ursache sein. Davon allerdings gab es coronabedingt für die meisten Menschen schon vor der Impfung reichlich. Psychischen Stress, jedenfalls. Eine Impfung löst körperlichen Stress aus. Das Immunsystem muss kurzfristig mehr arbeiten.
Immunsystem, Entzündungsreaktionen…
Die US-Wissenschaftlerin Laura Payne erforscht bei Teenagern, ob nach der Covid-Impfung Entzündungsmarker auftreten, was nach einer Impfung möglich ist. Diese können den Östrogenspiegel und damit den weiblichen Zyklus beeinflussen.
Generell vermuten einige Forschenden, dass heftige Impfreaktionen auf eine unerkannte Autoimmunkrankheit hinweisen könnten, die eine Überreaktion des Immunsystems auslösen kann.
Anirban Sen Gupta, ein Wissenschaftler aus Cleveland, hält es für möglich, dass die Covid-Impfung für einen vorübergehenden Rückgang der Blutplättchen führt. Ein Effekt, der vereinzelt bei der MMR-Impfung auftrat.
…oder womöglich Zusatzstoffe?
Deidre Little, bis vor kurzem Allgemeinärztin in Bellingen, Australien, schlägt in einem Kommentar zu Victoria Males Artikel in «BMJ» einen toxikologischen Ansatz vor und weist auf die Chemikalie Polyoxyethylensorbitanmonooleat hin, die unter dem Namen Polysorbat 80 oder Tween 80 in vielen Produkten als Emulgator verwendet wird, zum Beispiel in Kosmetika oder eben in Medikamenten. Tween 80 ist im Impfstoff von Astra Zeneca enthalten, der Pfizer-Impfstoff enthält laut Little eine sehr ähnliche Substanz.
Bei sehr jungen Ratten, denen Tween 80 injiziert wurde, löste die Chemikalie Veränderungen aus, die in der Kontrollgruppe durch Diethylstilboestrol ausgelöst wurden. Diethylstilboestrol wurde früher als Medikament eingesetzt, bis sich nach Jahrzehnten zeigte, dass es krebserregend ist und schwere Schäden bei Föten verursachen kann. Es ist fraglich, inwieweit sich diese Ergebnisse auf Menschen übertragen lassen. Little gibt zu bedenken, dass im Pfizer-Impfstoff enthaltene Lipid-Nanopartikel die Wirkung von Tween 80 möglicherweise verstärken könnten.
Womit Little eventuell recht hat: Impfstoffe enthalten neben Teilen von Krankheitserregern und Emulgatoren noch viele weitere Substanzen. Eine Wirkung auf den weiblichen Zyklus wäre immerhin möglich.
Eine andere Theorie führt Zyklusstörungen wie auch andere Impfnebenwirkungen schlicht auf den Nocebo-Effekt zurück. Sprich: Sie sind eine Folge negativer Erwartungen.
Forschungsbedarf ist offensichtlich
Unter dem Strich: Genaues weiss man bisher nicht, der Forschungsbedarf ist aber offensichtlich. Die Covid-Pandemie könnte am Schluss dazu beigetragen haben, eine grosse Wissenslücke zu schliessen.
Laut «The Lily», dem Gender-Magazin der «Washington Post», das als eines der ersten von Zyklusstörungen nach der Covid-Impfung berichtet hat, sind grössere und breitere Studien mit mehreren hunderttausend Teilnehmerinnen geplant. Erste Ergebnisse dürften Ende 2022 vorliegen.
Ob Kathryn Clancys Online-Umfrage jemals ausgewertet wird, ist noch unklar. Der Antrag der Wissenschaftlerin auf Forschungsgelder der US-Behörde NIH (National Institutes of Health), das insgesamt 1,67 Millionen Dollar zur Erforschung von Zyklusstörungen als mögliche Folge der Covid-Impfung bereitstellte, sei abgelehnt worden, schrieb sie im August 2021 auf Twitter.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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