Was Jans und Nemo – wenn schon – besprechen müssten
Nemo betrachtet sich weder als Mann noch als Frau. Darüber hat Nemo in Malmö gesungen und damit den Eurovision-Song-Contest gewonnen. Im Freudentaumel bat Nemo Bundesrat Beat Jans um ein Gespräch. Denn Nemo findet «es absolut inakzeptabel», dass in der Schweiz ein dritter Geschlechtseintrag nicht möglich ist. Er sagt: «Das müssen wir ändern.» Laut verschiedenen Medien hat ihm Beat Jans geschrieben: «Lass uns bald zusammenkommen, um auch über queere Rechte zu sprechen.»
Neuerung vor zwei Jahren
Erst vor gut zwei Jahren hat das Parlament die Bestimmungen zum Geschlechtseintrag im Zivilgesetzbuch (ZGB) geändert. Seither darf jede Person, die – wie es der Bundesrat formuliert – «innerlich fest davon überzeugt ist, nicht dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht zuzugehören», den Eintrag ändern lassen. Allerdings gibt es nur zwei Kategorien: Mann und Frau. Und das reicht für Leute wie Nemo nicht.
Deshalb muss ein drittes Geschlecht her. Denn, so die Website non-binary.ch, die von Aktivisten betrieben wird: «Es ist wichtig, dass es auch in der Schweiz nicht-binäre Geschlechtseinträge gibt, weil das Recht auf geschlechtliche Identität ein Menschenrecht ist und das Nicht-Akzeptieren der Geschlechtsidentität – vor allem durch den Staat – ein zentraler Stressor für non-binäre Menschen ist, der potenziell krank macht.»
Sechs Geschlechter in Österreich
Andere Länder haben das bereits anerkannt und ermöglichen den Eintrag eines dritten Geschlechts. Sogar schon einen Schritt weiter gegangen ist Österreich. Dort sind sechs verschiedene Geschlechtseinträge möglich: männlich, weiblich, inter, divers, offen oder keine Angabe.
Weitere wären denkbar: genderqueer, genderfluid, bigender, demigender, demigirl, demiboy, agender, neutrois. Wir gehen an dieser Stelle nicht auf die subtilen Bedeutungsunterschiede zwischen diesen Geschlechterkategorien ein – aber angesichts der Fülle der Möglichkeiten ist klar, dass sich auch mit einer dritten Geschlechtskategorie nicht alle mitgemeint fühlen würden.
Was uns unterscheidet? Oder was uns eint?
Deshalb die Fragen: Ist es klug, wenn sich Jans und Nemo über eine dritte Geschlechterkategorie unterhalten? Ist das Denken in Geschlechterkategorien nicht rückständig? Sollen wir uns wirklich noch stärker damit beschäftigen, was uns Menschen unterscheidet? Oder wäre es nützlicher, wenn wir uns darauf konzentrieren würden, was uns eint?
Der damalige St. Galler Uni-Professor Thomas Geiser schrieb schon vor bald zehn Jahren in der NZZ (Bezahlschranke): «Beim Pass und bei der Identitätskarte wird das Geschlecht mit einem ‹M› oder einem ‹F› angegeben, beim Führerausweis jedoch nicht. Der Grund für die unterschiedliche Regelung ist nicht nachzuvollziehen.»
Amtliches Geschlecht eigentlich ohne Bedeutung
Im Alltag, schrieb Geiser damals, sei das amtliche Geschlecht ohne Bedeutung. Ob er jemanden als «Herr» oder als «Frau» anspreche, hänge vom Erscheinungsbild der Person ab. Und nicht vom Eintrag im Personenstandsregister. Ebenfalls vom Erscheinungsbild hänge ab, wer auf einer Männer- und wer auf einer Frauen-Toilette geduldet werde. Ein Zöllner, fuhr Geiser fort, überprüfe bei einer Kontrolle nicht das Geschlecht, sondern vergleiche das Erscheinungsbild und das Foto im Ausweis.
Die amtliche Zuweisung eines Geschlechts hätte nur dann einen Sinn, wenn sich daraus unterschiedliche Rechte ableiten liessen. Aber genau das ist nicht der Fall. Artikel 8 der Bundesverfassung lässt unterschiedliche Rechte gar nicht zu. Dort steht nämlich: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.» Geiser schrieb deshalb: «Eine unterschiedliche Behandlung» ergebe sich «nicht aus dem amtlichen Geschlecht.» Eine unterschiedliche Behandlung könne sich aus anderen Gründen ergeben. Zum Beispiel aus einer Schwangerschaft: «Der Schutz einer Schwangeren im Arbeitsrecht knüpft nicht am Geschlecht an, sondern bei der Schwangerschaft.» Frauen, die nicht schwanger seien, genössen diesen Schutz ebenso wenig wie Männer.
«Die Natur ist bunter als das Recht»
Geiser kritisierte auch die unterschiedlichen Umwandlungssätze im Überobligatorium der Pensionskassen nach Geschlecht: «Andere Unterscheidungskriterien sind erheblich signifikanter. Einzig nach jenem Kriterium zu unterschieden, welches die Verfassung verbietet, ist nicht haltbar.»
Mit Blick auf Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig ist oder die sich keinem Geschlecht zuordnen lassen wollen, schrieb Geiser: «Die Natur ist bunter als das Recht.» Und: «Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum eine Rechtsordnung zwischen Mann und Frau unterscheidet.»
Eine neue Geschlechtskategorie löst keine Probleme. Womöglich schafft sie sogar neue. Warum also die Geschlechterkategorien nicht abschaffen?
Darüber sollten Jans und Nemo sprechen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Genau. Dieser Ansicht bin ich auch. Man sollte das Leben im Umgang mit dem Staat vereinfachen und nicht nutzlos verkomplizieren. Kein Geschlechtereintrag für niemanden ist meiner Meinung nach die viel praktischere Lösung, als für alle Eventualitäten einen eigenen Eintrag zu fordern.
Ich bin voll einverstanden: die Geschlechterkategorien abschaffen wäre fortschrittlicher als eine zusätzliche 3. Kategorie. So oder so müssten wir auch Lösungen finden für die 10 Pronomen. Infosperber könnte ja schon mal starten und die Themenkategorie in der Inhaltsübersicht ‹Frau/Mann› neu betiteln. Oder wenigstens einen * oder einen Doppelpunkt hinzufügen.
PS Fortschritt wohin? Hin zu einer solidarischeren entschleunigten Gesellschaft, wo die Menschen ihre Eigenarten ausdrücken können, wo sie sich gegenseitig zuhören, wo Respekt, Empathie und viel Humor das Bindemittel sind.
Beim Militärdienst mach das Geschlecht schon einen Unterschied aus.
Die Frage ist auch: Wie sollen Institutionen wie eine Frauenbadi damit umgehen? Da gab es in Zürich jüngst einen interessanten Vorfall: Einer Person, die «vom Personal männlich gelesen wurde» (offizielle Begründung), die aber gemäss amtlichen Ausweis eine Frau war, wurde der Einlass verwehrt.
Wenn diese Vorgehensweise gewählt wird, heisst das eigentlich nur, dass das amtliche Dokument entwertet wird. Es hat dann noch etwa den Status eines Globi-Billets. Es gilt überall dort, wo das Geschlecht sowieso keine Rolle spielt. Dort, wo es darauf ankommen würde, gilt es nicht.
Die Militärpflicht gälte natürlich für alle Menschen gleichermassen. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, dass Männer militärpflichtig sind und Frauen nicht.
Betreffend Frauenbadi: Seit 2022 kann sich ein Mann als Frau im Personenstandsregister eintragen lassen. Der Eintritt in die Frauenbadi wird ihm/ihr trotz des Ausweises verwehrt bleiben, wenn er/sie aussieht wie ein Mann. Insofern haben der Geschlechtereintag im Personenstandsregister und die daraus folgenden Geschlechtereinträge auf Ausweisen tatsächlich kaum eine Bedeutung.
Militärpflicht für alle?
Na, dann mal viel Glück bei der Abstimmung 😉
In Wien verlangte ein bärtiger Mann, der amtlich eine Frau war, Eintritt in die Frauensauna und wurde eingelassen. Unter Protest verliessen die Frauen den Raum. – Die Folge war ein Prozess, über dessen Ausgang ich keine Informationen habe.
Wenn die (amtliche und gesellschaftliche) Beliebigkeit so weiter geht, werden wir wohl im Chaos oder in der Diktatur landen. Von (postmodernem) Sauglattismus (Meienberg 1988/Bichsel 1996) können wir mittlerweile wohl nicht mehr sprechen.
Sagt man dem Dekadenz?
Herzlichen Dank für den fundierten Artikel. Alle Menschen haben Namen und Vornamen. Weitere Präzisierungen ergeben sich durch Geburtsdatum, Staatszugehörigkeit und Wohnort. Das reicht. Geschlechtszuordnungen auf amtlichen Dokumenten machen keinen Sinn, da sich diese im Verlaufe eines Lebens auch ändern können. Übrigens: den Mann, die Frau, den Homosexuellen, die Lesbe, den Schwarzen, den Gelben, den Weissen, usw. gibt es nicht. Es gibt nur unterschiedliche Menschen im Aussehen und im Charakter.
Die Reaktion von Beat Jans ist wohl vor allem unter dem Gesichtspunkt «Public Relations» verständlich. Mal schauen ob er es irgendwann schafft so populär zu werden wie sein vielfach umstrittender SP Vorgänger.
Konsequent fertig gedacht heisst das: es gibt keine geschlechterspezifischen Unterscheidungen mehr. Nirgends. Nicht auf der Toilette, nicht im Sport, nicht im Militär. Einfach nirgends. Ok, ich kann damit leben. Aber kann es die queere und woke Community auch? Oder ginge dann die ganze erkämpfte Aufmerksamkeit auf einen Schlag verloren?
Wie kommen denn alle die diversen Geschlechter zur Welt? Eine Frage für Geburtshelfer.
Frauen- und, in geringerem Mass, auch Männerbadis empfinden es als übergriffig, wenn sich da noch weitere Geschlechter tummeln.
Das ZGB basiert sich auf die physische Person: wer einen Penis hat, ist ein Mann, wer eine Vulva hat, ist eine Frau. Die ganze Diskussion um LGBT++ gründet auf dem Gefühl. Deshalb wäre eine dritte oder mehrere Kategorien ins Gesetz zu schreiben, eine Vermischung von Körper und Gefühl. Da müsste man die Grundlagen des Gesetzes ändern. Deshalb ist es tatsächlich besser, das Geschlecht wegzulassen.
Das Problem ist doch,dass praktisch alle Menschen, auch Nonbinäre, klar biologisch definiert sind. Bei Nemo sieht man gut, dass das Ganze eine Ideologie ist. Deshalb wäre es zielfürender, wenn die Nonbinären eine Möglichkeit haben, bei der Frage zu Religion/Ideologie ihr Kreuzchen zu machen. Biologie ist eine Wissenschaft, die sich auf Tatsachen stützt. Wie sich wer fühlt, spielt eigentlich keine Rolle.
Aus biologischer Sicht gibt es bei Säugetieren zwei Geschlechter, die sich sowohl an primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen als auch durch einen Gentest nachweisen lassen. Das Geschlecht bestimmt Hormonproduktion, Wachstum und als deutlichstes Merkmal die Athletik. Ein «drittes Geschlecht» kann also nur ein zeitweiliges kulturelles Konstrukt sein. Wir sind nunmal ein Produkt der Evolution und kein Wünschdirwas aus der Puppenkiste. Dessen ungeachtet ist jeder ein unverwechselbares Individuum und kann sein Leben führen wie er will, samt Verkleidung, äußerlichem Geschlechterwechsel oder einer Haltung weder Mann noch Frau sein zu wollen. Daraus ergibt sich aber kein rechtlicher Anspruch auf Einträge, sondern nur die Garantie, dass diese Lebensweise nicht diskriminiert oder kriminalisiert werden darf und wertfrei betrachtet werden sollte.
So sehe ich das auch. In dieser Debatte wird munter vermischt und verwechselt, was eigentlich in unterschiedliche Kategorien gehört. Die nicht-binären Begriffe gehören in die gleiche Kategorie wie religiöse Glaubenbekenntnisse; sie sind keine biologischen, objektiv feststellbare, Chararakteristika.
Deshalb soll auch ein jeder nach seinem individuellen nicht-binären Selbstverständnis leben können, genau so wie man seinen Glauben lebt- aber besondere Rechte kann man davon nicht ableiten.
dass sich der Staat aus dem ganzen Gender Thema raushält, fände ich eine sehr begrüssenswerte, elegante Lösung. Aber im Sport, in der Badi, im Gefängnis, überall wo die biologischen Geschlechter heutzutage geschützt werden, wäre es vieleicht ein gangbarer Weg, eine dritte Kategorie (ein drittes Geschlecht gibt es meines Wissens nicht) einzuführen, auch um Transsexuelle oder Non-Binäre zu schützen (z.B. im Gefängnis). Es darf nicht sein, dass Frauen nicht mehr vor Männern geschützt sind (seltener auch umgekehrt) nur damit eine kleine Minderheit ihre Freiheit ausleben kann.
Binäre haben nicht zu bestimmen, was non-binäre zu wollen haben.
Eine komische Aussage, das würde indemfall heissen, jede noch so marginale Minderheit kann Forderungen stellen und der Rest dürfte dazu keine Meinung haben und es würde umgesetzt….schwierig…auch sehe ich hier keinen Kommentar, den den Nonbinären ihr wollen verbieten möchte. Aber ob man darauf eingehen kann und will,ist nur möglich,wenn eine Debatte geführt wird, wo alle sich einbringen können.
Das Einfachste wäre die Wiedereinführung des «Es» – so sind alle diese unverständlichen Differenzierungen in einem Sack und kein Er oder Sie wäre diskriminiert, sondern ein «Es»… «Das Nemo» scheint mir halt eben so gewöhnungsbedürftig wie KriegsverbrecherInnen. Die heranwachsende Jugend wird sich an «Es» genau so gewöhnen, wie «schwul», was ausgerechnet die Homosexuellen um 1970 salonfähig machten. Damals war «schwul» ein Schimpfwort, das die Schwulen im Sinn umkehrten – clever. Nur die «colorierten» Bevölkerungsgruppen haben den Zug verpasst und es sich gefallen lassen, dass die diesbezüglich eifrig wirkenden «Gutmenschen» «Neger» (lateinisch negro), Indianer, «Gelbe» und «Braune» die Hautfarbenbezeichnung über den Charakter dieser «farbigen» Bevölkerungsgruppen zu stellen. In den USA rufen sich die «Schwarzen» problemlos «Nigger», was tatsächlich rassistischen
Ursprung hat, aber als eine Umkehrung der Diskriminierung (wie «schwul») bedeutet. Der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen!
«Das Einfachste wäre die ‹Wiedereinführung› (?) des «Es» «. Adam und Eva hat man zu den ersten Menschen gemacht. Nennen wir sie beide «es». Es hat es mit dem Apfelbiss verführt. Weshalb liess sich ‹es› von ‹es› verführen? Schreiben wir die Literatur um, die Grammatik. Mischeln wir alles in einem grossen Durcheinandertal zusammen, um nur ja total, absolut diskriminierungsfrei zu sein! Witzig.