Verletzte Gefühle – Kussverbot. Krieg abgesagt.
Sehr geehrter Herr Büttiker
Eigentlich wollte ich Ihnen danken. Dafür, dass Sie als oberster Trämler und Buschauffeur von Baselland ein Herz für verletzte Gefühle haben. Und jetzt hängen sie doch. Diese jungen Frauen und Männer. Die sich wider jede Natur küssen.
Ich hatte mich so gefreut, dass Sie beschlossen haben, nicht alle Plakate dieses Jugendtreffs Anyway aufzuhängen. Der alles Sexuelle unterstützt, das nicht normal ist – «lesbisch, schwul, trans- oder bisexuell». So steht es in der Neuen Zürcher Zeitung. Wie auch immer. Sie wollten die Bilder von Frauen und Männern, die ihresgleichen abknutschen, nicht in unsere Trämli und Busse hängen. Weil sie «‹heikel› seien und die Gefühle der Passagiere verletzen könnten». Voilà. Von mir aus hätten Sie uns auch die «Bilder mit gleichgeschlechtlichen Umarmungen» (Tages-Anzeiger) ersparen können. Aber die schienen Ihnen zumutbar.
Schule wegen verletzter Gefühle geschlossen
Ich hatte wegen dieser Plakate einen fürchterlichen Streit mit meinem Sohn. Ich sei nicht besser als diese religiösen Fundamentalisten. Schrie er mich an. Die alle, die sich über ihre Götzen mokierten, am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder mit einer Kalaschnikow durchlöchern würden. «Verletzte Gefühle!», schnaubte er. Gäbe es nicht für alles und jedes mindestens einen Menschen, der das für sich reklamierte? Einigen genüge ja schon eine Burka auf zehntausend Miniröcke, und ihr Geborgenheitsgefühl sei futsch. Müssten nicht alle Schulen umgehend geschlossen werden, weil da täglich die Selbstwertgefühle der SchülerInnen mit Füssen getreten würden? Werde etwa der Krieg abgesagt, weil die TiiVii-Bilder von verbombten Häusern und zerfetzten Menschenleibern die Gefühle der FernsehzuschauerInnen verletzten und ihnen beim Znacht auf den Magen schlügen?
Und, steigerte er sich in Rage, ob mein sauberer Oberträmler, Sie, etwa künftig darauf verzichten wolle, am 1. August die Schweizer Fähnchen montieren zu lassen, weil sich erklärte EuropäerInnen und WeltbürgerInnen durch nationalistische Embleme zutiefst verletzt fühlten? Müssten nicht die meisten Predigten umgeschrieben werden, weil sie FreidenkerInnen mit Ausdrücken wie SünderInnen, verirrte Seelen und Ungläubige brüskierten? Oder die Leuchtschrift hinter dem Zürcher Bahnhof Stettbach, die alle überzeugten AtheistInnen in Panik und Angst versetzen müsste? «Gott sucht dich» – abmontieren? Und schliesslich die Sensibelchen, die sich an jeder Ecke in ihren ästhetischen Gefühlen verletzt sähen? Müssten ihretwegen ganze Häuserzeilen geschleift, die Voralpenketten planiert werden (weil sie den Blick auf den Goldenen Falt des Matterhorns verstellten), und die Menschen, die, allein durch ihr Äusseres, die Augen der Empfindsamen beleidigten – entsorgen?
Das alles musste ich mir anhören, nur weil ich es gewagt hatte, in meinen eigenen vier Wänden zu sagen, endlich nehme einmal jemand, Sie, die Gefühle von unsereiner ernst und tue etwas Mutiges. Gratis sei dieses Mitgefühl, lästerte er, die überwiegende Mehrheit der SchweizerInnen sei insgeheim schwulenfeindlicher als der starke Mann im Kreml. Und wie sich denn homosexuelle Menschen bei dieser Plakatzensur fühlen müssten? Im Übrigen, jetzt war er nicht mehr zu stoppen, was sei denn mit all den Menschen, die in ihren Gerechtigkeitsgefühlen zutiefst gekränkt würden, weil sie für ihre Arbeit einen Zehntel oder weniger erhielten als diese SuperverdienerInnen?
Shitstürmchen und Protestknutschen
Fast hätte ich ihm bei diesem Satz, nur beim allerletzten, recht geben müssen, schliesslich ist er mein Sohn. Aber jetzt ist ja alles wieder ganz anders. Sie haben Ende letzter Woche bekannt gegeben, ab Montag, 2.2.2015, seien diese Schwulen- und Lesbenküsse nun doch in Ihren Trams und Bussen zu sehen. Sie seien «falsch verstanden» worden. «Unser Ziel war es nie, uns gegen Homosexuelle zu stellen. Wir suchten lediglich den Kompromiss, um es allen Fahrgästen recht zu machen.» (20 Minuten)
Was heisst hier «falsch verstanden»? Umgekippt sind Sie! Wegen so einem neumodischen «Shitstürmchen», wie Sie es anfänglich noch selbst genannt haben sollen. Und, vermutlich, wegen diesem von Pink Cross angekündigten «Protestknutschen». «Dass wir die Bilder nun trotzdem zeigen, wird viele Leute enttäuschen.» (Tages-Anzeiger) Geben Sie zu und nehmen in Kauf, dass ausgerechnet jene Passagiere, auf die Sie, nach eigener Aussage, «Rücksicht nehmen» wollten, sich in ihrem vertrauten Trämli wie MigrantInnen vorkommen müssen – fremd. Waren wir zu wenig laut, vertrauten wir zu sehr darauf, dass Sie unsere Gefühle erahnten, ohne dass wir sie zeigten? Hätten wir Ihnen mit einem Gegenknutschen oder damit drohen sollen, dass wir demnächst so ein homosexualisiertes Trämli aus den Schienen kippen würden?
Eigentlich hatte ich Sie ja noch fragen wollen, ob Sie künftig nicht darauf verzichten könnten, Plakätchen und Werbekarten für diese «Führungs»-Seminare aufhängen zu lassen. Für Leute meiner Generation – die noch das «Heil»-Gebrüll für den Führer auf der anderen Rheinseite im Ohr haben – ist dieses Wort mehr als eine Verletzung von Gefühlen. Da sei ich aber der einzige, der das so empfinde? Und wenn, müssten nicht gerade die verletzten Gefühle einzelner geschützt werden? Weil sie sich nicht im Schoss einer gekränkten Mehrheit trösten lassen können? Stellen Sie sich einen Menschen vor, der mit seinen Verletzungen ganz allein ist, von niemandem verstanden – müssten Sie nicht gerade auf ihn Rücksicht nehmen? Ihn davor schützen, dass er ob der rundherum geschüttelten Köpfe verstummt und verbittert?
Künftig mit dem Auto in die Stadt
Es ist ja, sehr geehrter Herr Büttiker, nicht Ihr Problem, aber ich muss meine Emotionen schon zu Hause für mich behalten. Darf nicht einmal beklagen, dass ich nie Grossvater werde. «Du wärst ja der erste, der gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle stimmen würde!» Bekäme ich zu hören, während ich mir ansehen müsste, wie mein Sohn mit seiner eingetragenen Partnerschaft auf dem Sofa meiner Mutter herummacht. Wie Frischverliebte. Was sie ja sind. Aber, wenn ich mir vorstelle, dass so ein adoptiertes Kindchen zwei Väter und keine Mutter hätte – das bricht mir das Herz. Aber ich darf ja nichts sagen. Meine Frau hat mir schon mehr als einmal gedroht, mich zu verlassen, wenn ich noch einmal die Gefühle ihres Sohnes, der auch meiner ist, verletzen würde. «Wen unser Sohn liebt, der gehört auch zu unserer Familie. Basta.» Sagt meine Frau.
Deshalb war ich so froh, dass ich mir, dank Ihnen, dieses Geküsse nicht auch noch im Tram oder im Bus hätte mitansehen müssen. Jetzt überlege ich mir, ob ich in den nächsten Wochen das Auto nehmen soll, wenn ich in die Stadt will.
Ihr verletzter Fahrgast
PS. Was machen Sie übrigens, wenn Sie im Verlauf der Woche kistenweise Post von uns Enttäuschten bekommen, die sich mit diesem Mail, Whatsapp und Facebook nicht auskennen? Homoküsse mit Fotoshop korrigieren?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Ich finde es ja gut, dass verschiedene Meinungen im Infosperber eine Plattform kriegen. Aber dieser ewiggestrige Homophobiker geht mir nun doch etwas zu weit.. Soll er doch lieber in der Weltwoche einen Artikel verfassen! Ich hätte lieber einen Bericht von seinem Sohn gelesen!
Ich bin eine lesbische Frau.Nun denken Sie mal nach Herr Meier,wie viele Male ich mich verletzt fühle,wenn ich dauernd knutschende heterosexuelle Pärchen auf Plakaten und in Werbungen sehe! Nicht ein Mal kann ich mich mit ihnen identifizieren und ich habe selten Werbungen gesehen, welche alle sexuellen Orientierungen ansprechen.Es ist fast so,als versuchte unsere Gesellschaft die Tatsache zu verstecken, dass es uns gibt(und davon nicht wenige).Aber es gibt uns und wenn ich es mir aussuchen könnte,weiss ich nicht ob ich es wirklich wollte, da sich ja Menschen in ihren Gefühlen verletzt fühlen könnten wenn ich meine Freundin küsse(was jedoch meine und NUR meine Angelegenheit ist,genauso wie es für alle anderen auch gilt).Die Tatsache, dass nur ein EINZIGES Mal Plakate mit Homosexuellen aufgehängt wird, wenn es ansonsten zu 99% Heterosexuelle sind, finde ich schon Grund genug sie tatsächlich aufzuhängen.Stellen Sie sich vor,jemand sagt Ihnen,sie fühlten sich verletzt, dass Sie Ihre Frau umarmen und davon ein Foto in der Zeitung veröffentlichen.Klingt das nicht ein kleines Bisschen lächerlich?Die sexuelle Orientierung ist etwas sehr persönliches und etwas, was man sich nicht aussuchen kann,deshalb ist es doch umso wichtiger,dass man alle respektiert und versucht,sie zu verstehen und nicht sich extra abzugrenzen,was diese Plakate ja genau im Sinn haben.
Übrigens wollen nicht alle heterosexuellen Paare Kinder.Freuen Sie sich doch über jedes Grosskind,welches Sie bekommen könnten!