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Der Vogel, der «eigene Eier in fremde Nester legt» © xulescu_g/flickr/cc

Wann ist ein Vater (m)ein Vater?

Jürgmeier /  Wo soziale Vaterschaft höher gewichtet wird als das hochstilisierte genetische Band, werden Vaterschaftstests überflüssig

Das Bundesgericht hat in Sachen Vaterschaft einen beachtenswerten Entscheid gefällt. Infosperber hat zur Frage «Wann ist ein Vater (m)ein Vater?» bereits einmal Überlegungen angestellt (Anm. der Redaktionsleitung).

Zum ursprünglichen Essay:

Die ersten Kuckucksrufe – die bekanntlich alle Jahre wieder den Frühling ankünden – sind längst verklungen. Und wahrscheinlich haben schon wieder ein paar Bachstelzen, Zaunkönige und Rotschwänze feststellen müssen, dass aus einem der ausgebrüteten Eier ein fremder und einigermassen garstiger Kerl geschlüpft ist, sich breit gemacht und ihren eigenen Nachwuchs aus dem warmen Nest gedrängt hat.

Der Vogel, der «eigene Eier in fremde Nester legt», muss immer mal wieder als Symbol für Allzumenschliches herhalten. So auch im «10 vor 10» am Montag 7. Juli 2014. Als «Kuckuckskinder», erklärt Moderator Stephan Klapproth der TV-Nation wieder einmal, würden Sprösslinge bezeichnet, die von einem Mann «mit aufgezogen werden, der sie fälschlich für eigenen Nachwuchs hält». Was für etwa jedes 20. Schweizer Kind gelte.
Brutparasitismus und Scheinväter
Genau genommen geht es dabei allerdings nicht um den klassischen «Brutparasitismus», denn die Mutter macht sich ja nicht (zusammen mit dem Vater) aus dem Staub, um die elterliche Sorgepflicht – um die heute auch schon mal als Sorgerecht gestritten wird – irgendeinem anderen Vogel zuzuschieben, und der Vater weiss, vermutlich, gar nichts von «seinem» Kind, dessen Betreuung er ahnungslos einem anderen aufbürdet oder überlässt, je nach Blickrichtung. Und während der Kuckuck seine Eier ganz offen einer anders gefiederten Gattung ins Körbchen legt, gibt sich ja so ein Menschenweibchen meist nur durchschnittlichen Artgenossen hin und nicht etwa einem Schimpansen oder Maulesel, so dass das Menschenmännchen, zumindest auf den ersten Blick, nicht erkennen kann, ob es der «richtige» oder nur ein Scheinvater ist, bevor es sich juristisch zum offiziellen Vater erklären lässt, um hinterher, hoffentlich, auch als sozialer Vater tätig zu werden.

Es ist ja so eine Sache mit der Vaterschaft – lange war gar nicht bekannt, dass Männer etwas mit den Kindern zu tun hatten, die Frauen zur Welt brachten, und seit es raus ist, wie das mit dem Kinderkriegen grob funktioniert, wollen sie es manchmal nicht wahrhaben, dass sie (nicht) die Väter sind. Die Frau müsste es ihm schon sagen, dem Mann. (Welchem, wenn sie mit mehreren Männern sexuelle Kontakte hatte?) Der Mann müsste sie schon fragen, die Frau. (Welche, wenn er mit mehr als einer herumliebelte?)
Vaterschaftstests für alle
Der Verein der Kuckucksväter, den es, betont Klapproth, tatsächlich gebe, fordert – wie das der Väterverein mannschafft schon 2011 getan hat – nach jeder Geburt einen obligatorischen Vaterschaftstest. Der macht allerdings nur Sinn, wenn alle Eventualväter, das heisst sämtliche Sexualpartner der Frau in den letzten neun Monaten, durchgecheckt werden. «Beobachter»-Berater Walter Noser möchte das Problem ein für allemal vom Tisch haben und damit auch illegalen (weil von der Mutter nicht bewilligten) Vaterschaftstestereien den Boden entziehen. «Ein Paar sollte gleich nach der Geburt entscheiden, ob man einen Vaterschaftstest machen will», schlägt er in «10 vor 10» vor, «und wenn man sich dagegen entscheidet, soll man kein Recht mehr haben, später zu klagen.»

Der Gedanke mag auf den ersten Blick bestechen, nur – wird nicht jedes einigermassen verliebte Paar in der romantischen Phase auf diesen Akt «gesunden» Misstrauens verzichten? Und wenn es das nicht tut, wäre es wirklich ratsam, dass es ein Kinderzimmer einrichtet, eine gemeinsame Wohnung bezieht und sich gegenseitige Unterstützung (schriftlich oder mit Kusshand) zusichert? Würden die meisten nicht erst zum Vaterschaftstest greifen, wenn die Schmetterlinge gestorben, der Alltag Einzug gehalten und das herzige Kindchen Verhaltensweisen zu entwickeln begonnen hat, die mann an sich selbst vermisst oder nicht wahrhaben will? Würde der Mann nicht dann erst zu befürchten oder zu hoffen beginnen, es liege an fremden Genen? Und wenn der Test negativ ist – was dann?
Kindswohl oder Treueprüfung
Wenn es wirklich nur ums Kind geht, was spielt dann die Biologie – nach Jahren sozialer, ökonomischer und juristischer Vaterschaft – für eine Rolle? In Zeiten von Samenspenden und Leihmutterschaft? Was wäre das für eine Vaterliebe, die mit dem negativen Vaterschaftstest endet? Muss ein Kind «mein» Kind sein, damit ich um sein oft beschworenes Wohl besorgt bin, damit ich es liebe wie ein Vater? Und «mein» – im genetischen, juristischen oder sozioökonomischen Sinn? Wenn jedes 20. Kind biologisch einen anderen Vater hat als den, den es (zu Recht) für seinen (sozialen) Vater hält, weil er sich (bisher) als unterstützend in allen Lebenslagen gezeigt hat, dann müssen ganz viele Kinder und Väter einigermassen glücklich sein, obwohl sie, biologisch gesehen, nicht zueinander «gehören».

Wenn es aber um die Frau und Mutter geht, der Vaterschaftstest eine verkappte Treueprüfung ist, müsste, ernst genommene Gleichheit der Geschlechter, auch die Treue des Mannes untersucht, müssten sämtliche Kinder aller Frauen, zu denen sich der Mann irgendwann im Verlaufe der Jahre gelegt, auf ihren Chromosomensatz abgeklopft werden. Damit aber würde das Leben des Kindes (einmal mehr) zum Feld elterlicher Schlachten.
Gleichstellung sozialer Vaterschaft und Mutterschaft
Setzen wir allerdings voraus, es ginge in diesen aufgeklärten Zeiten – in denen sexuelle Attraktivität und variationsreiche Erotik an allen Ecken propagiert werden – nicht länger darum, das Meinsolldeinsein auf die eigene und die geliebte Person anzuwenden, Mann und Frau einander zum uneingeschränkten Besitz zu erklären und die (Besitz-)Treue mit Gentesten abzusichern; wenn es tatsächlich um das Kind und die engagierte Vaterschaft (beziehungsweise Mutterschaft) geht, müsste dann nicht die soziale und gelebte Vaterschaft weit höher gewichtet werden als die molekulare? Das wäre durchaus auch im Interesse der Väter, die in Bezug auf die biologische Vaterschaft – ohne lebenslanges Geteste – gegenüber Frauen immer im Nachteil sind, nie sicher sein können, ob sie wirklich der Vater der «eigenen» oder womöglich gar «fremder» Kinder sind.
Der soziale Vater aber ist immer erkennbar, weil er im Alltag vom Kind (und anderen) als Vater wahrgenommen wird. Diese sozial gelebte Vaterschaft müsste vor Gericht und vor allem gegenüber den Kindern in Trennungs- und Scheidungssituationen denselben Stellenwert haben wie die soziale Mutterschaft, unabhängig von Genen und Heiratsurkunden. Solche Gleichheit wäre – unabhängig von individueller Biographie, ich bin etwas voreingenommen, weil ich so etwas wie Vater immer nur in einem sozialen Sinne war – schon fast eine Revolution der Geschlechter- und der Eltern-Kind-Verhältnisse. Für die Väter. Für die Mütter. Für die Kinder. Kuckuck hin oder her.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 10.07.2014 um 09:18 Uhr
    Permalink

    Sehr gute Betrachtungen! Was mir zu diesem Thema ein-, auf- und missfällt ist die allgemein akzeptierte Aussage, das Kind habe ein RECHT seinen leiblichen Vater zu kennen. Ich finde dieses Bedürfnis eines Kindes sehr suspekt.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 10.07.2014 um 16:08 Uhr
    Permalink

    "Soziale» Vaterschaft ist wie der Begriff «geistlicher Vater» aus der kath. Kirche oder generell geistiger Vater, politischer Vater, psychischer Vater usw. vor allem eine auch ideologische Angelegenheit. Auf jeden Fall so wenig absolut zu setzen wie z.B. die unauflösliche Ehe.

    Man kann natürlich auch aus dem Genetischen eine Ideologie machen, aber es ist über alles gesehen eine zuverlässigere Konstante als das rein ideologische. @Baumann. Man darf also alles wissen, nur nicht, wer der eigene Vater ist, das finde ich tausendfach suspekt. Von mir aus gesehen besteht für denjenigen, der wissen will, wer sein Vater ist bzw. der Vater des Kindes seiner Partnerin ein legitimes Wissensbedürfnis, das im Behinderungsfall durch rein ideologische Gesetze per Widerstandsrecht zu bekämpfen wäre.

    Noch sehr interessant für die Abgründe und Spannungen zwischen sozialer und genetischer Vaterschaft ist im übrigen die Erzählung «Der Findling» von Heinrich von Kleist. Kleist und Jean Paul, wie auch schon Shakespeare, wissen über den Menschen ohnehin eher mehr als fast die ganze moderne Psychologie.

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