Glosse
Schwingerkönig oder Mister Schweiz sind Wurst
Vielleicht hätte sich ja noch ein Sponsor oder sogar eine Sponsorin gefunden, wenn Beni national Thurnheer mitgemacht hätte. Aber der würde, womöglich, am liebsten mit einer dieser Taschen herumlaufen, die ich letzte Woche an der Hand einer Frau – deren Aussehen ich den gegenderten Phantasien der LeserInnen überlasse – gesehen habe. «It’s what’s inside that counts.» Stand da Schwarz auf Beige. Thurnheer – dessen Krawatte und Bart im Lauf seiner TV-Karriere auch schon mal öffentlich (und privat) zu reden gab – will nicht auf das Äussere reduziert werden, möchte mit seiner Leistung, zum Beispiel mit seinem Wortschatz, Schlagzeilen machen. Verrät er im «Glanz&Gloria»-Gespräch vom letzten Sonntag. Also kein wirklich ernsthafter Kandidat für die Mister-Schweiz-Wahlen, die dieses Jahr schon zum zweiten Mal aus dem eidgenössischen Veranstaltungskalender gestrichen werden müssen.
Jeder Schwingerkönig ist bekannter als der letzte Mister Schweiz
Keine und keiner will sein Geld auf das Objekt Mann setzen. Schliesslich wollten schon 2012 nur gerade 45’000 («ein Marktanteil von schlappen 3,1 Prozent!») die schönen Männer auf «3plus» sehen. Da stehen bei jedem mittelgrossen Schwingfest mehr Leute in der Arena. Der Sieger von damals, Sandro Cavegn, von der «Schweiz am Sonntag» für ein mediales Blitzlicht aus der Anonymität geholt, ist heute noch amtierender Mister Schweiz und bleibt es vielleicht, ohne dass es jemand bemerkt, bis ans Ende aller Tage.
An willigen Kandidaten kann es nicht liegen, dass sie nicht in den Kampf der Schönen ziehen dürfen. Noch nie taten Männer oder wenigstens ein wachsender Teil von ihnen so viel für ihr physisches Erscheinungsbild – in Fitnesszentren und Kraftkellern, mit Peelings und Schönheitsoperationen. Auch viele meiner ehemaligen Berufsschüler modellierten ihre Muskeln mehrmals wöchentlich mit Hanteln und Aufbaupräparaten aus dem Internet. In der (nicht immer erfüllten) Hoffnung auf «bessere Chancen bei den Frauen».
Es ist ein Indiz für die Unübersichtlichkeit gegenwärtiger Geschlechterverhältnisse, dass die «Schweiz am Sonntag» die traurige Botschaft vom verschmähten Mister Schweiz verkündet, während die «SonntagsZeitung» titelt: «Der (wieder einmal, Jm) neue Mann will begehrt werden – für seinen Körper.» Der Metrosexuelle – der war einmal und den meisten zu schwul. Das hat auch sein Erfinder, der Journalist Mark Simpson, gemerkt und deshalb dessen Nachfolger lanciert – den Spornosexuellen. Der sei «härter beziehungsweise aufgepumpter als der Metrosexuelle». So das Blatt, das dem sprachlichen Hybrid aus Sport und Porno – dem «das Äussere alles» sei – und allen, die es noch werden wollen, auch gleich einen Test zum Sonntagsbrunch serviert.
«Es wartet nur der Zerfall auf Sie»
Auf die Frage, ob es ihnen egal sei, wenn sie «von den Frauen auf ein Sexobjekt reduziert werden», muss der Macho, der «länger im Badezimmer braucht als jede Frau», antworten: «Was kann mir Besseres passieren? Ich meine: Will ich Sex oder will ich keinen Sex?». Das gibt das Punktemaximum. Und wer gezupfte Augenwimpern «affig» findet, ist hoffnungslos out. Der Kandidat hat 0 Punkte. Da kreuzt der Mann, der ganz perfekter Körper ist, natürlich die Antwort a) an: «Hey Mann, mein Körper ist mein Kapital, der ist wie ein Auto, also nicht irgendeines, sondern ein Ferrari, den musst du auch gut unterhalten.»
Aber bevor sich nun alle Männer aufmachen, ihren Körper zu tunen, um den Frauen als schönes Geschlecht (endlich) Konkurrenz zu machen, so dass am Ende alle Glotzende und Beschaute zugleich wären, warnt die Verfasserin des Tests und der vorgegebenen Antworten die mit der höchsten Punktzahl: «Sie sind eindeutig ein Spornosexueller. Das finden wir aber gar nicht gut.» Falls sie nicht im pflegerischen pluralis majestatis schreibt, glaubt sie offensichtlich, im Namen des Kollektivs «Wir Frauen» sprechen zu können und fährt fort: «Sie wollen tatsächlich nur für ihren Körper geliebt werden? Was ist, wenn Sie älter werden? … Es wartet nur der Zerfall auf Sie. Weshalb Sie dann durch einen Jüngeren ersetzt werden.» «Die Frau», die muss es wissen – sie hat die Reduktion des Menschen auf den weiblichen Körper schon hinter sich.
Gefragte Männer sind keine schönen Objekte oder nur mit Mass. Sie kreuzen besser Antwort c) an: «Ich habe es nicht nötig, auf das Körperliche reduziert zu werden, ich verführe mit meinem Intellekt.» Das gibt zwar 0 Punkte, aber wenn Männer mit Köpfchen hinterher 2 Punkte mit ihrer enthaarten Brust machen, bringen sie es womöglich doch noch auf 5–9 Punkte. Und genau da will die Frau ihn haben: «Es scheint sich bei Ihnen um einen gepflegten Mann zu handeln, der durchaus auf sich achtet, aber findet, es gebe Grenzen. Sprich: Sie riechen fein, sind aber kein Gockel.» Die will, offensichtlich, ausserhalb der Tierwelt keine und keiner sehen. Weshalb das Geld in Mister-Schweiz-Wahlen investieren, wenn sich Schweizer und Schweizerinnen allemal noch besser an den Schwingerkönig von 1966 erinnern als an den letzten Mister Schweiz?
Wenn alles Wurst ist
Allerdings, vielleicht ist der spornosexuelle Test, ausgeheckt von einer Frau, Bettina Weber, nicht ganz uneigennützig; womöglich will sie die Vertreter des anderen Geschlechts ganz einfach daran hindern, dass sie, gleich den (emanzipierten) Frauen, zu vielfältigen Menschen werden – stark, clever und sexy. Oder andersherum. Bis frau nicht mehr weiss, wo ihr der Kopf steht. Oder vielleicht hat sie ganz einfach nur Angst vor doppelter Rivalität. Denn heisst es nicht immer wieder «Männer sind die schönsten Frauen»? Und die sind natürlich schwul. Siehe Conchita Wurst. Derdie hätte auch bei den Missen gute Chancen, die – obwohl 2011 ihrerseits vom Schweizer Fernsehen schnöde aus dem Programm gekippt – auch diesen Herbst wieder vor privaten TV-Kameras um das Krönchen der Schönsten im Land stolzieren dürfen. Und das erst noch auf dem Bundesplatz, wo sonst eher innere als äussere Werte gefragt sind. Ob der potente Sponsor aus der Immobilienbranche, der das zum zweiten Mal möglich macht, dann noch dabei wäre? Wenn die Welt derart auf den Kopf gestellt würde, dass es am Ende allen wurst ist, ob Männchen oder Weibchen, Hauptsache von verführerischer Schönheit – physisch, psychisch oder intellektuell?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine (Nahm nie an einer Mister- oder Miss-Schweiz-Wahl und auch an keinem Schwingfest teil)