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Frauen, die hormonfrei verhüten möchten, kommen an Zyklus-Apps kaum noch vorbei. © Bruno Cervera, CC

Zyklus-App wird von Abtreibungsgegnern finanziert

D. Gschweng /  Weg von Hormonen und Verhütungsstress, wirbt die Zyklus-App «Femm». Hinter ihr steht eine extrem konservative Stiftung.

Viele Frauen, die hormonfrei verhüten wollen, verlassen sich auf Zyklus-Apps, die die fruchtbaren Tage anzeigen. Eine in den USA bekannte App namens «Femm», berichtet der «Guardian», wird von einer Stiftung finanziert, die sich vielfach gegen Abtreibung engagiert.

Beworben wird «Femm» wie die meisten Zyklus-Apps als «Hilfe, um schwanger zu werden oder um eine Schwangerschaft zu vermeiden». In den App-Stores von Apple und Google befinden sich Dutzende Apps, die das leisten sollen. Wer solche Apps programmiert und wie gut sie sind, ist meist unbekannt.

Der Financier: eine Stiftung, die Abtreibungen verhindern will

«Femm» hat nach Angaben des Herstellers Nutzerinnen in der EU, den USA, Afrika und Lateinamerika, bisher habe es die App auf 400’000 Downloads gebracht, sagt er. Hormonelle Verhütungsmethoden, berichtet der «Guardian», kommen in einem Whitepaper des Herstellers nicht gut weg. So werden beispielsweise in übertriebener Form mögliche Nebenwirkungen aufgezählt. Einen Disclaimer über die ideologische Ausrichtung des Herstellers gibt es nicht.

«Femm» bezieht den grössten Teil seiner Einnahmen von privaten Spendern, den grössten Teil von der Chiaroscuro Foundation. Ihr Anteil am Spendenbudget betrug 2017 mehr als 70 Prozent. Die Ausrichtung der Stiftung ist streng konservativ, sie unterstützt Organisationen und Politiker wie Mike Pence, die sich gegen Geburtenkontrolle und Abtreibung aussprechen. Die Chiaroscuro Foundation hat in den vergangenen drei Jahren 1,79 Millionen Dollar in die Entwicklung von «Femm» gesteckt. Finanziert wird sie fast ausschliesslich von Sean Fieler. Der wohlhabende katholische Geschäftsmann aus New Jersey sitzt im Verwaltungsrat der Femm Foundation, die die App betreibt. Fieler hat sich öffentlich deutlich dafür ausgesprochen, Abtreibung zu verbieten.

Wissenschaftliche Hintergründe, Forschung und Training für Nutzerinnen bezieht «Femm» vom «Reproductive Health Research Institute» (RHRI). Die beiden dort zuständigen Ärzte, fand der «Guardian», haben beide keine Zulassung für die USA, sondern lediglich für Chile. An derselben Adresse wie RHRI ist eine Anti-Abtreibungs-Organisation namens «World Youth Alliance» registriert. Diese meldete sich auch, als der «Guardian» versuchte, dort anzurufen.

So funktioniert ein Zyklus-Tracker

Wie exakt eine Zyklus-App arbeitet, hängt von Methode und Mathematik, Programmierung und Bedienung ab. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu wissen, wer hinter einer Zyklus-App steckt, wer sie programmiert, finanziert und mit welchen Daten er arbeitet.

Die Grundlage quasi aller Fruchtbarkeits-Apps ist die Messung der Körpertemperatur. Rund um Eisprung herum steigt die Basaltemperatur (das heisst, die Temperatur, die der Körper in Ruhe, also noch vor dem Aufstehen hat) einer Frau um etwa ein halbes Grad an. Ein paar andere Bio-Parameter wie der Ruhepuls ändern sich leicht. Um die Körpertemperatur und andere Parameter zu erfassen, gibt es Zyklus-Tracker, die mit einem Sensor über einen längeren Zeitraum messen, Apps, in die die Nutzerin täglich die Körpertemperatur einträgt, und andere, in die sie noch zusätzliche Parameter eintragen muss.

Die jeweilige Software rechnet aus den eingegebenen Daten, Richtwerten und bereits protokollierten Zyklen die fruchtbaren Tage aus. Bedenkt man, dass «um den Eisprung» zwei bis drei Tage bedeutet, eine unbefruchtete Eizelle maximal 24 Stunden und ein Spermium im weiblichen Körper bis zu fünf Tage überlebt, ergibt sich der Zeitraum, in dem die Nutzerin höchstens schwanger werden kann. Viele Apps zeigen fruchtbare Tage dann übersichtlich und farbig an. Welche Datenbasis und Berechnung am Ende dazu führen, ob gerade ein «grauer», «blauer» oder «roter» Tag ist, weiss die Nutzerin nicht.

Sehr sicher sind die meisten Zyklus-Apps ohnehin nicht

Die Temperaturmessung ist anfällig, je nach Methode und Qualität mehr oder weniger. Ein guter Teil der Exaktheit hängt von der Disziplin und Erfahrung der Nutzerin ab. Deshalb bemühen sich viele Hersteller, zusätzlich aussagekräftige Parameter oder bessere Methoden zu entwickeln. Schon zu wenig Schlaf oder ein Glas Wein am Abend können die Basaltemperatur abweichen lassen. Zyklus-Apps gelten deshalb als sehr viel weniger sicher zur Verhütung als die Pille. Nach Daten des US-Seuchenschutzmisteriums wird damit rund ein Viertel aller Frauen schwanger.

Manche Hersteller bestreiten das und legen dazu Studien auf, von denen wiederum einige als unwissenschaftlich kritisiert werden, wie eine Studie zum Temperaturcomputer «Daysy», von der «Die Zeit» berichtete. Fast alle weisen auf eine wissenschaftliche Grundlage hin.

Die «Stiftung Warentest», die 2017 Zyklus-Apps getestet hat, fand von insgesamt 23 Apps nur drei «gut», davon eine für iOS und zwei für Android. Die meisten schafften es nicht, die fruchtbaren Tage exakt vorherzusagen.

Vorsicht mit persönlichen Daten

Nebenbei warnt «Test» in Übereinstimmung mit vielen IT-Experten ausdrücklich davor, Tracker-Apps mit zu grossem Datenhunger zu verwenden und empfiehlt, die AGB gut durchzulesen. Möglichst viele Daten zu sammeln ist zwar im Interesse der App-Betreiber, um die Datenbasis zu verbessern, davon profitieren aber oft noch viele andere.

Einige Zyklus-Apps verlangen sehr viele persönliche Angaben, die mit dem Monatszyklus nur mittelbar zu tun haben. Neben Namen, Alter, Wohnort und Schlafgewohnheiten fragen sie beispielsweise ab, wie sich die Nutzerin fühlt und wann sie Sex hat. Diese Daten verknüpft die App oft mit der ID des Mobilgerätes, lädt sie in Cloudspeicher hoch oder leitet sie an Tracker, Analysedienste oder Werbefirmen weiter.


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2 Meinungen

  • am 23.07.2019 um 18:26 Uhr
    Permalink

    Was genau ist daran schlecht, dass eine Stiftung die verhindern will, dass ungeborene Menschen ermordet werden, eine Methode der Geburtenkontrolle fördert?
    Wer nicht will, dass seine Daten an irgendwelche Firmen weitergereicht werden, braucht auch keine App zu installieren, da es genügend taugliche Offline Geräte zu diesem Zweck gibt.
    LadyComp / BabyComp zum Beispiel kann ich voll und ganz empfehlen.
    Meine Frau und ich haben das Gerät während mehreren Jahren erfolgreich zur Verhütung verwendet, und nach anfänglicher «Sicherheitsmarge» hat der Computer offline die Zyklen der Frau kennengelernt und die «unsicheren Tage» wurden immer weniger.

    Kein Beweis ohne den Gegentest:
    Als wir uns ein Kind wünschten, brauchten wir lediglich einen einzigen Fruchtbaren Zyklus für die Schwangerschaft.
    Funktioniert also bestens, und BTW: meine frau trinkt gerne und oft ein Glas Wein 🙂

  • am 25.07.2019 um 09:12 Uhr
    Permalink

    Ich sehe das Problem jetzt auch nicht so, ausser, dass die Offenlegung der Hintergründe, Motivation und Finanzierung von solchen Tools wichtig ist. Dann kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er das unterstützen will oder nicht. Aber das kriegen wir ja nicht einmal bei den Parteien bzw in der Politik generell hin. Aus klaren und bekannten Gründen. Also wieso sollte das bei einem rein privatwirtschaftlich ausgerichteten Thema anders oder sogar besser sein?

    Zum Thema Verhütung kann ich nur sagen, dass ich eine natürliche Methode in jedem Fall bevorzuge! Leider ist dies halt mit etwas mehr Aufwand verbunden, als täglich eine Pille einzuwerfen. Diesen Aufwand wollen heute nur noch wenige Menschen betreiben, womit das ganze an Wert verliert, denn nur wenn ich mich selbst wirklich in etwas investiere, ist es auch wichtig, hat es einen Wert und eine Bedeutung.

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