Leihschwangerschaft

Symbolbild. In der Realität begegnen sich die Leihschwangere und das Paar, welches das Kind grossziehen wird, meist nicht. © iakovenko123 / Depositphotos

«Wish for a Baby» – Besuch auf der Kinderwunschmesse

Irina Herb und Amina Nolte /  Die jährliche Kinderwunschmesse in Berlin zeigt, was für ein Geschäft Leihschwangerschaft und Eizellverkauf inzwischen ist.

Red. – Im Mai fand für Menschen, die sich ein Kind wünschen, die jährliche Kinderwunschmesse statt. Der folgende Artikel erschien auf der Website des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung. Infosperber gibt ihn hier gekürzt wieder. Zwischentitel teilweise von der Redaktion.

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Auf der Messe können sich Menschen mit unerfüllten Kinderwünschen über den Markt rund ums assistierte Kinderkriegen informieren. Beworben werden nicht nur IVF (In-Vitro Fertilisation), Leihmutterschaft und Eizellspende überall auf der Welt, sondern auch genetisch und nach biologischem Geschlecht selektierte Eizellen sowie sogenannte «Garantie-Pakete», die die Unsicherheiten rund ums Kinderkriegen durch finanzielle Versicherungen aufheben sollen. 

Vertreter*innen aus der ganzen Welt, inklusive Georgien, Spanien, Ghana, Ukraine, USA, Albanien und Kanada sind hier, um Geschäfte zu machen mit der Realisierung von Kinderwünschen. Denn der Reproduktionsmarkt floriert: 2022 lag er bei einem Marktwert von 25,6 Milliarden US-Dollar und bei 41,4 Milliarden Dollar im Jahr 2030.

Das «perfekte Kind» als Ware – und mit Garantie

Wunscheltern werden an den Messeständen alle Möglichkeiten feilgeboten: «Eizellspende und Leihmutterschaft? Alles kein Problem», so eine Agentur, die zwischen Eltern, möglichen Eizellspender*innen1 aus der Ukraine und Leihmüttern2 in Ghana vermittelt. Wer es sich leisten kann, erwirbt alles in einem «Paket»: Eizellen aus der Ukraine, Samen von einer europaweiten Samenbank, eine Insemination in der Ukraine oder eine Leihschwangere in Ghana.

Die Messe erweckt den Eindruck: Das perfekte Kind ist keine Sache des Glücks, sondern steht am Ende einer geglückten Kaufentscheidung. So wird suggeriert, dass Wunscheltern3, unabhängig von Geschlecht und Alter (aber abhängig vom Geldbeutel), Eltern werden können und auch sollten. Durch sogenannte «Garantiepakete» kann das Kind auch (fast) mit Sicherheit abgeholt werden, statt am Ende eines häufig langwierigen, schmerzhaften und unsicheren Prozesses zu stehen. 

So bieten portugiesische, kanadische und georgische Kliniken «take home»-Garantien für diejenigen an, die bereit sind etwas mehr zu zahlen, um sich gegen das Risiko, gegen das Hoffen und Bangen abzusichern. Dies bedeutet, dass die Agentur eine Garantie für ein lebend geborenes Kind gibt, egal wie viele Versuche es dafür braucht – in Georgien kostet dies um die 65’000 Euro. Wunscheltern zahlen dementsprechend nicht mehr, wie bisher gängig, pro Schwangerschaft oder Eizelle, sondern, ähnlich wie bei einer Ware, für das Endresultat – in diesem Falle ein Kind.

Das Ideal, welches Wunscheltern dabei unterstellt wird, ist ein «perfektes» Kind. Was genau der Idee eines «perfekten Kindes» zugrunde liegt, wird in Gesprächen und Flyern deutlich: Das Kind soll der dominanten gängigen Vorstellung von «gesund» entsprechen, den Eltern vom Aussehen her ähneln, genetisches Material von Menschen tragen, die als erfolgreich angesehen werden. 

Teilweise kann das Kind sogar nach Geschlecht ausgewählt werden. So erwähnt eine der Vermittler*innen nebenbei, dass die Embryonen nach Geschlechtschromosomen getestet und ausgewählt werden können, und zwei Besucher der Messe erzählen, dass sie ihre «Kinderwunschreise» mit dem Ziel antraten, ein Mädchen und einen Junge zu bekommen – mit Erfolg.  

Die Vorstellungen eines «perfekten Kindes», welches genetisch selektiert wurde, sind so normalisiert, dass eine Agenturvertreterin lediglich auf Nachfrage darüber informiert, dass in den sogenannten «Kinderwunschpaketen» selektive Verfahren automatisch integriert sind: die Embryonen werden in der Ukraine routinemässig mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) «getestet». Embryonen mit möglichen genetischen Veränderungen, würde man besser «zerstören», denn: «Ich nehme an, dass sie ein nicht-gesundes Baby nicht wollen würden?» 

Die PID ist übrigens ein Verfahren, das in Deutschland verboten ist und nur in spezifischen Einzelfällen unter strengen Auflagen in Anspruch genommen werden kann. […] In der Schweiz darf die PID nur angewendet werden, wenn die Gefahr besteht, dass das Kind an einer Entwicklungsstörung oder an einer schweren, nicht behandelbaren Krankheit leiden wird – Anm. d. Red.]

Babys als Ergebnis globaler «Lieferketten»

Auf der Messe wird deutlich, dass Babys am Ende komplexer Lieferketten stehen: Spermien mögen aus einer dänischen Samenbank stammen, die Eizelle von einer französischen Wunschmutter kommen, beides kann in der Ukraine zusammengeführt, und in Georgien von einer Leihschwangeren ausgetragen werden, organisiert von einer Agentur mit Sitz in Lateinamerika.

Solche «Fertilitätsketten»4 verlaufen nicht zufällig, sondern entlang von Unterschieden in Preisen, Regulierungen und Vulnerabilitäten. Beispielsweise ist Leihschwangerschaft in Deutschland bisher verboten, sodass Wunscheltern in andere Länder reisen. Welches Land einen solchen «Reproduktionstourismus» anzieht, hat viel mit globalen Ungleichheiten zu tun: Variierende Lebensstandards, Prekarität und Währungsunterschiede bedeuten, dass Wunscheltern für die Leihschwangerschaft in verschiedenen Ländern unterschiedlich tief in die Tasche greifen müssen: Messebesucher*innen lernen, dass sie in den USA mit um die 200’000 Dollar und in Argentinien lediglich mit um die 75’000 US-Dollar zu rechnen haben.

«Fertilitätsketten» spiegeln also kapitalistische Verwertungslogiken wider, die mit der Auslagerung bestimmter Tätigkeiten einhergehen. […]

Dass die Auslagerung von «Fertilitätsarbeit» dabei häufig entlang ehemaliger kolonialer oder lokaler Ungleichheits-Strukturen verläuft, ist offensichtlich. 

Global gesehen können Wunscheltern dabei nicht nur auf billige(re) Arbeitskraft zurückgreifen, sondern sind teilweise auch lokalem Recht und Unterdrückungsformen gegenüber immun. So wirbt eine Agentur auf der Messe damit, dass sich Ghana bestens für gleichgeschlechtliche Paare eigne, die eine Leihschwangere anheuern wollen. Gleichzeitig wurde in Ghana jüngst die Gesetzgebung für LGBTIQ+ Menschen massiv verschärft und gleichgeschlechtlicher Sex wird mit hohen Gefängnisstrafen geahndet.

Die Rolle der Vermittlungsagenturen

Im Wirrwarr des globalen Reproduktionsmarktes wird ein Akteur zunehmend zentral, der dementsprechend auch auf der Messe glänzt: die Vermittlungsagenturen. Diese vermitteln zwischen Reproduktionskliniken, Eizellspender*innen, Samenspender*innen, Leihschwangeren, Wunscheltern und Jurist*innen. Dabei ermöglichen sie wohlhabenden Personen, nationale Regulierungen zu umgehen, globale Unterschiede mit Bezug auf Preisunterschiede und Arbeitsschutz bestmöglich zu nutzen und legale Hürden mithilfe von Jurist*innen zu überwinden.

Agenturen verfügen über Marktmacht und können Fertilitätsbehandlungen nachhaltig prägen. Das bedeutet, dass sie ab einer bestimmten Grösse Preise drücken und Arbeitsbedingungen beeinflussen können. Ausserdem können sie die Prozesse von Schwangerschaft verschleiern. Indem sie Versprechen wie «Baby take home guarantee» damit kombinieren, dass sie die Koordination und Kommunikation mit den Spender*innen und Leihschwangeren übernehmen, schirmen sie Wunscheltern von Krisen und Fehlschlägen auf dem Weg zum Wunschkind ab. 

Auf der Messe wird dementsprechend nicht davon gesprochen, dass Eizellen nicht einfach gespendet, sondern aufwendig produziert werden müssen: sie wachsen, angeregt durch hormonelle Stimulation, in den Körpern der «Spender*innen» und werden mithilfe eines operativen Eingriffs unter Narkose entnommen. Dieser Prozess birgt kurzfristige und langfristige medizinische Risiken, die von hormoneller Überstimulation hin zu Entzündungen und langfristigen Erkrankungen führen können. Dass Eizellen sich nicht immer befruchten lassen, Embryonen sich nicht immer im Uterus einnisten, dass viele Embryonen auch in sogenannten «Fehlgeburten» wieder abgehen – und dass Kinder zu früh oder tot geboren werden, ist nicht Teil der Geschichten, die auf der Kinderwunschmesse erzählt werden. Dadurch werden die Erfahrungen von Eizellspender*innen und Leihschwangeren – meist prekäre und marginalisierte Frauen – unsichtbar gemacht; ein Prozess der von Feminist*innen wie Jenni Millbank und Donna Dickenson als «disappearing women» («verschwindende Frauen») bezeichnet wird.

Kinderwünsche als Investment – für Eltern und für Finanzmanager*innen

Die Angebote auf der Messe reihen sich in eine internationale Tendenz der Monopolisierung, Kommerzialisierung und Finanzialisierung von Fertilitätsbehandlungen ein. Zum einen werden Reproduktionskliniken zunehmend in grössere Ketten integriert. So auch das «San Diego Fertility Center», einer der Sponsoren der Messen. 

Mit etwa 13 weiteren Kliniken gehört es zu den Ivy Fertility Centern in den USA. Hinter der Kette steht kein Konzern, sondern Assetmanager*innen. Seit der Finanzkrise 2007/2008 wird eine Gruppe von Finanzakteur*innen grösser, die nicht mehr primär an der Börse in Firmen und Rohstoffe investiert, sondern mit Investments in Wohnraum und Infrastruktur in den Bereich der sozialen Reproduktion einsteigt. Das Ziel: Profite aus dem laufenden Betrieb zu extrahieren. Dies bedeutet, dass Entscheidungen darüber, wie Fertilitätskliniken agieren oder in welche Forschung investiert wird, nicht von Ärzt*innen, sondern von Finanzakteur*innen (mit-)bestimmt werden. 

Hinter den soeben erwähnten Ivy Fertility Centern steht beispielsweise InTandem Capital Partners, LLC, welches als «private equity firm» insbesondere im Gesundheitssektor tätig ist und neben Altersheimen und Hospizen auch Fertilitätskliniken aufkauft. Auf ihrer Homepage werben sie damit, dass InTandem nicht nur Kapital zur Verfügung stelle, sondern auch selbst gerne beim Management mithelfen würde.

Wenn also Besucher*innen der Messe zu ihren unerfüllten Kinderwünschen beraten werden, steht ihnen eine Fertilitätsindustrie gegenüber, die darauf ausgelegt ist, grösstmögliche Profite zu erzielen. Dabei ist nicht das Honorar für Ärzt*innen das Problem und einzelne kleinere Kliniken mögen sich der Profitlogik bisweilen entziehen. Doch der Trend der Monopolisierung und Finanzialisierung ist eindeutig: nicht nur in den USA gehören immer mehr Fertilitätskliniken grossen Ketten, hinter denen Assetmanager*innen stehen. Auch in Deutschland werden die vier grossen Fertilitäsklinikketten alle von Investmentmanager*innen wie AXA IM oder Goldman Sachs geführt.

Von Behörden festgelegte Entschädigung für die Eizellspenderin verhilft der Agentur zu mehr Gewinn

Kliniken und Investmentmanager*innen machen also grosses Geld mit Fertilitätsbehandlungen. Trotzdem beziehen sich öffentliche Debatten rund um Kommerzialisierung und Altruismus oftmals nur darauf, ob Eizellspender*innen oder Leihschwangere entlohnt werden oder nicht.

Genaue Zahlen dazu, welche Profite Kliniken und Agenturen machen, sind nicht öffentlich. Ein paar Zahlen lassen aber gewisse Einschätzungen zu: Auf der Messe ist beispielsweise eine Samen- und Eizellbank vertreten. Für eine Eizelle zahlen Kund*innen um die 1200 Euro, indessen «Spender*innen» im Durchschnitt 1000 Euro pro Entnahme bekommen. Jede Eizellentnahme bringt jedoch durchschnittlich 8 bis 15 Eizellen: die Gewinnmarge für die Agenturen und Kliniken ist folglich hoch.

Manche Länder untermauern das Einkommensgefälle zwischen Kliniken und Agenturen auf der einen Seite und Eizellspender*innen und Leihschwangeren auf der anderen Seite durch die Idee des Altruismus. Das legale Konstrukt des Altruismus bedeutet, dass ihnen lediglich eine Aufwandsentschädigung bezahlt werden darf.  Beispielsweise dürfen in Spanien Eizellspender*innen nicht mehr als eine festgelegte Kompensation (um die 800 Euro) erhalten. Die Gewinnmarge steigt dadurch potenziell für die Kliniken und Banken, da die Bezahlung für die Spender*innen gedeckelt ist, nicht aber für die Kliniken. […]

Ein Messeraum für queere Menschen

In Deutschland werden häufig die Rechte queerer Menschen (LGBTIQI+) ins Feld geführt, um für die Legalisierung von Eizellspende und Leihschwangerschaft zu argumentieren. Auch auf der Messe spricht ein «Regenbogenraum» explizit LGBTQI+ Personen an, und dabei insbesondere Männerpaare. «Many gay men don’t have children and we want to change that», heisst es in einem Vortrag. 

Hier wird die Legalisierung von Eizelltransfers und Leihschwangerschaft als logischer nächster Schritt in der Gleichstellung queerer Menschen dargestellt: Queere Paare seien erst dann voll gleichgestellt, wenn auch sie ein, ihnen genetisch verwandtes Kind haben können. Setzt dies den Zugriff auf die Körper Dritter (Eizellspender*innen und Leihschwangere) voraus, so müsse dies im Rahmen der Gleichberechtigung erlaubt sein. […]


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 16.07.2024 um 11:19 Uhr
    Permalink

    Ein bestürzender Artikel. Damit sind wir fast bei den Sklavenmärkten der Antike angekommen. Wünsch› Dir was auf dem Babymarkt. Dabei haben Millionen Kinder nichts zu essen, keine Ausbildung, leben unter schwierigsten Bedingungen oder sind Kriegswaisen. Und hier wird eine zynische, ekelerregende Ausbeutung betrieben, damit einige Schwerverdiener sich einen egoistischen Wunsch erfüllen können. Einen Kinderwunsch mit der Gleichberechtigung zu argumentieren, kann man gleich vom Tisch wischen: um Gerechtigkeit herzustellen, darf kein neues Unrecht geschaffen werden. Nun ist aber das nicht artgerechte Aufwachsen von Kindern – die Mutter-Kind-Bindung wird durch die Weggabe an die zahlenden Eltern zerstört, das Säugen mit Muttermilch und damit die Übergabe wichtige Immunfaktoren entfällt – ein Unrecht, das vermutlich bei vielen Kindern außerdem ein lebenslanges Trauma erzeugen wird.

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