Samenspender können mit DNA-Abstammungstest enttarnt werden
Ende der 1970er-Jahre entstanden in der Schweiz wie weltweit die ersten menschlichen Samenbanken. Sie halfen hunderten Paaren, ein Kind zu bekommen. Die nach einem mehr oder weniger strengen Auswahlverfahren ausgewählten Spender erhielten ein kleines Entgelt und sollten für alle Zeiten anonym bleiben. Mit Folgen rechneten die in der Regel jungen Spender nicht. Ihre Identität wurde oft nicht einmal registriert oder nach einer Zeit gelöscht. Manchmal wurden Spenden gepoolt, das heisst, Sperma verschiedener Spender landete in einem Topf, Nachvollziehbarkeit gab es kaum. Dass eines Tages mit einem Versandtest der Spender identifiziert werden könnte, war undenkbar.
Ahnenforschung per Speicheltest
Inzwischen hat die Technologie aufgeholt. Ein Entgelt für die Spender gibt es immer noch. In Europa bezahlen Samenbanken für eine Spende zwischen 32 Euro (Helsinki) und 297 Euro (Zürich), das hat eine Studie des Telemedizinportals «Fernarzt» ergeben. In nur zwei der untersuchten Länder gab es kein Geld.
Rechtlich hat sich jedoch einiges geändert. So werden die Spender inzwischen registriert. Die den damaligen Spendern zugesicherte Anonymität bröckelt. Mit einem in fünf Minuten zuhause durchgeführten Speicheltest, der vom Anbieter analysiert wird, kann jeder Ahnenforschung betreiben oder verlorene Verwandte finden. Abstammungstests werden zu Geburtstagen und Hochzeiten verschenkt.
Die daraus gewonnenen persönlichen DNA-Profile werden von Unternehmen wie «23andMe» oder «Familiy Tree» online gestellt und mit anderen verglichen. Die Suche ergibt Treffer für Personen, mit denen eine Verwandtschaft mehr oder weniger wahrscheinlich ist. Falls sie in der Datenbank erfasst sind, finden sich wahrscheinliche Halbgeschwister oder Elternteile.
Darunter die jungen Spender von damals, die inzwischen im heute angekommen sind. Vielleicht hat es einer von ihnen zum Manager geschafft oder zum leitenden Angestellten, ist Theaterregisseur, Feuerwehrmann oder Politiker. Vielleicht klingelt es irgendwann an der Türe eines Einfamilienhauses und vor einem von ihnen steht jemand, der sagt: «Ich bin dein Kind».
Zwei Biografien treffen aufeinander
Vor der Tür steht ein Mensch, der meist viel Zeit und Geld investiert hat, um seiner Herkunft auf die Spur zu kommen. Für den es eine dringende Frage ist, zu sehen, von wem er abstammt. Ein «Retortenkind» will endlich wissen, wie sein biologischer Vater aussieht, spricht, lebt. Ein Bedürfnis, das völlig unterschätzt wurde, als in den 1970er-Jahren die ersten menschlichen Samenbanken entstanden, sagen die beteiligten Frauenärzte heute. Zwei Biografien, für die das nie gedacht war, treffen aufeinander. Der Nachkomme verlangt im hier und jetzt Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Beim ehemaligen Spender läuten vielleicht die Alarmglocken der bürgerlichen Existenz. Was, wenn das unerwartete Kind nicht nur biografische, sondern auch rechtliche oder finanzielle Ansprüche hat? Auf Unterhalt oder gar auf das Erbe?
Erfreuliche, interessante und bedenkliche Auswirkungen
Ganz so dramatisch wie hier konstruiert dürfte eine solche Begegnung nicht stattfinden. Ihr voraus geht wahrscheinlich die Kontaktaufnahme über Email, Social Media oder ganz altmodisch per Post. Sowie einer der erwähnten Gentests, der zum Spender geführt hat.
Dazu gehört eine möglichst umfangreiche Datenbank mit vielen Einträgen. Anbieter werben mit deren Grösse, das Geschäft mit der Abstammung läuft gut. Besonders in den USA haben Menschen ein grosses Interesse daran, festzustellen, woher sie stammen. Durch die Profildatenbanken sind bereits erfreuliche und interessante Verwandtschaftsbeziehungen offenbar geworden.
Hunderttausende suchen mit Hilfe solcher Datenbanken einen biologischen Elternteil. Es wurden während der Franco-Diktatur in Spanien gestohlene Kinder gefunden und Kriminalfälle gelöst. Aber sie haben auch Leben gehörig durcheinander gebracht. Eine mögliche Folge, die sich nur wenige klarmachen, die aus Neugier ein Röhrchen verschicken.
Halbgeschwister im Dutzend
Für die ehemaligen Spender geht es oft nicht um einen Nachkommen, sondern um fünf, zehn, Dutzende. Die Zahl der pro Spender gezeugten Kinder ist erst seit vergleichsweise kurzer Zeit reglementiert. In die Medien gelangte die Geschichte eines Gynäkologen, der – je nach Quelle – 40, 50 oder 60 Kinder gezeugt haben soll, indem er einfach sein eigenes Sperma verwendete. Dem Erfinder der künstlichen Befruchtung blieb mangels gesellschaftlicher Akzeptanz gar nichts anderes übrig, er soll um die 600 Kinder haben. Aus heutiger medizin-ethischer Sicht ist das unhaltbar. Personengruppen wie Medizinstudenten, die häufig gebeten wurden, eine Spende abzugeben, um kinderlosen Paaren zu helfen, könnten heute viele Kinder haben.
DNA-Testkit von 23andMe (Wikimedia Commons)
In einem Fall, den die «New York Times» dokumentiert hat, sind es 150 Nachkommen eines einzigen Spenders. Es könnten durchaus noch mehr dazukommen. Auf der Seite donorsiblingregistry.com sind Gruppen von Halbgeschwistern mit mehr als 100 Mitgliedern keine Seltenheit. Die Frage, ob man das einem Spender zumuten kann, stellt sich da schon.
Der Fotograf Eli Baden-Lasar hat eine vor kurzem veröffentlichte Fotoreportage über seine mehr als 30 Halbgeschwister gemacht, in der er seine Halbschwestern und -brüder in ihrem Lebensumfeld fotografiert hat. Nicht abgebildet, aber dennoch auf jedem Bild präsent ist der «Spender». Baden-Lasar suchte nach dem Projekt selbst die Gesichter in der U-Bahn nach Ähnlichkeiten mit sich selbst ab, erzählt er.
Die Geschichte wird meist aus der Perspektive des Kindes erzählt
Für Medien ist diese moralische Verwirrung ein gefundenes Fressen. Die Geschichte vom verlorenen Kind wird dabei meist aus der Perspektive des Kindes erzählt. Für die Spender ist das eine zweischneidige Sache. Damals haben sie Anonymität zugesichert bekommen, damit ist es aufgrund moderner Gentechnik aber weitgehend vorbei.
«Wenn ich gespendet hätte, dann nicht mit der Absicht, ein Kind zu wollen, zu dem ich keinerlei Beziehung aufgebaut habe», sagt ein Bekannter. Andere Befragte äussern sich ähnlich. Von aus einer Spende entstandenem Nachwuchs würden sie lieber nichts erfahren wollen. Dem Recht auf Abstammung steht das Recht auf Privatsphäre des Spenders gegenüber.
Die Gesetzgeber hinkten der technischen Entwicklung lange hinterher. Am Ende ging die juristische und moralische Abwägung zugunsten der Nachkommen aus und bestätigte mehr oder weniger den aktuellen Stand der Technologie. Seit 2001 werden Spender in der Schweiz zentral registriert und müssen damit rechnen, von ihrem Nachwuchs kontaktiert zu werden. Kinder haben ein Recht darauf, ihren biologischen Vater kennenzulernen. Deutschland ging ähnliche Wege. Das Recht auf Herkunft sei zwar anerkannt, zu einem Vaterschaftstest zwingen könne ein Gericht einen mutmasslichen Vater jedoch nur, wenn kein rechtlicher Vater existiere, urteilte das deutsche Verfassungsgericht 2016.
An Geld haben Spenderkinder meist kein Interesse
Zu Unterhaltsklagen von Kindern war es nach einer Aussage des Vereins «Spenderkinder Deutschland» von 2015 bis dahin noch nie gekommen. In der Schweiz sei eine solche rechtlich so gut wie unmöglich, sagt der Verein «Spendenkinder Schweiz». Normalerweise hätten Kinder anonymer Spender daran auch kein Interesse.
«In der Regel sind wir Spenderkinder hauptsächlich an der Kenntnis unserer biologischen Abstammung interessiert. Wir wollen wissen, wer da ‹in uns steckt›. Und es ist mitunter auch eine Frage der Identitätsfindung. Unterhaltsforderungen sind nicht in unserem Interesse – weshalb auch, wir haben ja Eltern», schreibt die Sprecherin des Vereins auf Nachfrage. Für die Zukunft brisant wäre allenfalls der umgekehrte Fall, bei dem ein Spender seine Nachkommen auf Unterhalt verklagt.
Verschiedene Arten der Elternschaft
Vor dem Jahr 2001 oder im Ausland gezeugten Kindern helfen die neuen Gesetze nicht. Den meisten, die ein Elternteil suchen, bleibt die Veröffentlichung der eigenen Daten in der Hoffnung auf einen Treffer in der Datenbank.
Bisher ging es ausschliesslich um männliche Spender, aber die Spenderproblematik betrifft auch Frauen, die Eizellen spenden. In der Schweiz ist das verboten, in einigen anderen Ländern legal. Und wie, beispielsweise, ist das mit einem schwulen Paar, das ein mit Hilfe einer gespendeten Eizelle gezeugtes Kind von einer Leihmutter austragen lässt? Auch diese hat massgeblich Anteil an der Geburt des Kindes, selbst wenn sie keine genetischen Spuren hinterlässt. Muss sie ihre Identität preisgeben?
Trotz zahlreicher Patchworkfamilien, so ganz scheinen sich Menschen noch nicht daran gewöhnt zu haben, dass es verschiedene Arten der Elternschaft gibt. Da gäbe es gesellschaftlich noch vieles zu verhandeln, schreibt beispielsweise die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Anje Schrupp in der «Zeit».
Fachleute warnen vor DIY-Gentests
Fachleute raten von Do-it-yourself-Gentests eher ab. Nicht nur, weil in deren Folge Identitäten wackeln und unvermutete Treffer Familien vor eine schwere Belastungsprobe stellen können. Weder die Probennahme noch die Errechnung von Verwandtschaftsbeziehungen sind völlig zuverlässig. Die Unternehmen, die die Daten verwalten, gehen nicht immer so sorgfältig damit um, wie es sein sollte, zeigen Berichte, auch solche aus der Schweiz.
Dazu kommt: Wer seine eigenen Daten zur Veröffentlichung preisgibt, berührt dabei auch die Privatsphäre Verwandter, ob diese das wollen oder nicht. DNA-Profile werden nicht nur zur persönlichen Suche nach Verwandten verwendet. Nach einer Studie, die in «Science» veröffentlicht wurde, genügt es, wenn zwei Prozent einer Gruppe in eine Datenbank aufgenommen wurden, um Mitglieder zu identifizieren.
Abstammungsdatenbanken wurden bereits von Strafverfolgungs- und Einwanderungsbehörden benutzt, um Unbekannte über Verwandte zu finden. Jeder, der ein Testkit einschickt, hat diese Möglichkeit auch, egal wie seine Motive sind. Ob die verschickte DNA auch seine ist, lässt sich vom Anbieter nicht überprüfen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine