Kommentar
kontertext: Männlichkeit im Club – Showeffekte der Dissonanz
Es ist vertrackt mit dem Mannsein und gar nicht so anders als mit dem Frausein. Die Genderforschung hat in vielen Jahrzehnten dargelegt, dass es weniger die Biologie ist als ein kulturelles Band, das uns mit unserer Geschlechtsidentität verbindet. Das Band kann ausgedehnt werden, es kann neu gewoben oder anders verknüpft werden, aber verschwinden kann es nicht. Zumindest vorläufig nicht. Es hält uns als Männer und Frauen. Deshalb kann niemand die Klippe umgehen, dass «Geschlecht» zwar ein wissenschaftliches und auch ein politisches Konzept ist, aber zuerst doch eine starke emotionale Kategorie. Wie soll man darüber sprechen?
Aus Fehlern gelernt
Vertrackt ist es auch mit dem «Club», der regelmässig das Thema «Gender» auf die Agenda setzt. Einige mögen sich noch erinnern, wie 2019 unter der Leitung von Barbara Lüthy der Männerarzt und der Männerforscher beinahe aufeinander losgingen und ein Fernsehkoch erklärte, auf welchen Typus Mann Frauen stehen.
Diesmal hat die Redaktion des «Club» unter dem neckischen (von JJ Bolas Bestseller abgekupferten) Titel «Sei (k)ein Mann» eine neue Diskussionsrunde versammelt, deren einziger gemeinsamer Nenner wiederum war, dass sie allein aus Männern bestand. Und wieder waren die Produzent:innen darauf bedacht, Diversität zu inszenieren. Vier Frauen und ein Mann hätten im Vorfeld der Sendung schier endlose Diskussionen geführt, verrät der neue Moderator Peter Düggeli zu Beginn. Am Schluss nennt er Tamara von Almen ausdrücklich als Regisseurin im Hintergrund.
Man war also beruhigt ob so viel Mühe und gleichzeitig gewarnt. Vieles kann schiefgehen in einer reinen Männerrunde, die sich allein aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit selber zum Thema macht. Immerhin wurde darauf geachtet, dass sich eine Mehrheit der Eingeladenen im Vorfeld schon mit dem Mannsein auseinandergesetzt hatte, wenn auch nicht alle professionell. Denn im «Club» scheut man Fachdiskussionen und Expertenwissen wie der Teufel das Weihwasser. Daran hat sich nichts geändert.
Diversität meint etwas anderes
So wurde schon bei der Vorstellungsrunde klar: Die Macher:innen der Sendung haben sich an ein Konzept von Diversität gehalten, das möglichst viel Verschiedenheit garantiert. Das zu Beginn von jedem Teilnehmer formulierte Verständnis von «Männlichkeit» ergab denn auch sofort ein unterhaltsames Konzert: Der kulturelle Ausdruck eines Gefühls sei sie, sagt Politiker Jositsch; eine normative Zuweisung, sagt der wiederum eingeladene Psychologe und Männerforscher Markus Theunert; ein Mensch im Wandel, sagt der Männercoach Mario Meier. Für Arsim Musilija, den anderen Coach, ist ein Mann ein mutiges Wesen, das Risiken eingeht, und für Dragqueen und Oberlehrer Michel von Känel ist Männlichkeit immer auch Weiblichkeit, während sie für den Wrestler und Wikingerdarsteller Josua Meyer reine Kraft ist – «ein Fels in der Brandung». Das so ausgelegte Terrain aus Widersprüchen und Unvereinbarkeiten gehört wohl zum Konzept des «Club»: Man will jede Position, jede Generation, jede Disziplin, Urbanes und Ländliches, Professionelles und Exotisches.
Diversität aber, verstanden als Konzept, das sozialer Ungleichheit und der Fortschreibung von unsichtbaren Machtverhältnissen entgegenwirkt, meint etwas anderes. In der soziologischen Theorie basiert sie auf den Unterdrückungserfahrungen von Minderheiten für bestimmte Formen des ‹Andersseins›. Um als Praxis wirksam zu sein, braucht Diversität also zumindest ein Verständnis davon, um welche befreienden Differenzen es gehen soll. Heisst: Es brauchte zumindest eine These, einen nachvollziehbaren Befund zur «Krise der Männlichkeit» als Anlass für die Sendung. Der offene Titel «Sei (k)ein Mann» war hingegen eine Einladung zu einer Gesprächsrutschbahn mit rein horizontaler, sprich: oberflächlicher Diversität. Mit einem positiven und einigen negativen Effekten.
Ohne Angst anders sein
Der Kern im Anliegen der Diversität, egal ob man von Inklusion, Pluralität oder Differenz spricht, ist nach einem Satz von Adorno einfach zu fassen: Es geht primär darum, ohne Angst anders zu sein. Ohne Benachteiligung und ohne Ausgrenzung. Ein schwer erreichbares gesellschaftliches Ideal.
Eine Diskussionsrunde im Fernsehen könnte ein solches für die Dauer von 80 Minuten verwirklichen – und das hat sie eigentlich geschafft, das ist der positive Effekt der Sendung. Alle Männer zeigten sich gerne in ihrer Spezialität, alle hatten ein gesichertes Selbstvertrauen. Peter Düggeli gab sich mit viel Einfühlsamkeit als behutsamer Moderator, der mehr glättet als zuspitzt. Er liess viele Wortgefechte zu und achtete zumindest zu Beginn darauf, die Redezeit gerecht zu verteilen. Dabei zeigte sich aber bald: Nicht für alle bedeutet Reden das Gleiche.
Die beiden professionellen Redner waren selbstverständlich der Wissenschaftler Theunert und der Politiker Jositsch. Theunert kennt den «State of the Art» der kritischen Männerforschung und Patriarchatskritik in- und auswendig, Jositsch hingegen kennt die Regeln der Wirksamkeit in der Öffentlichkeit. So verbiss sich Theunert zusehends in den völlig entspannten Jositsch – statt sich einmal mit dem queeren Michel von Känel zu verbünden, der aus dem Herzen des Differenzdilemmas heraus sehr anschaulich berichtete, dass es ein Jenseits der Geschlechterpolarität gibt.
Lieber zeigte Theunert (ohne Angst), dass er als Forscher vom Fach einzig befugt sei, über kritische Männlichkeit zu sprechen. Seine Schlüsselrolle wurde zum Schluss nochmals untermauert, als Düggeli eine Grafik präsentierte, die aus Theunerts Feder stammte und die drei Kategorien Männer und ihren Bezug zur «Gleichstellung» vorstellte. Zum völlig falschen Zeitpunkt ein neues Thema, ohne Konsequenzen für die Diskussion. Spätestens dann verfestigte sich der Eindruck: Man wollte den wissenschaftlichen Standpunkt integrieren und fürchtete ihn zugleich, Theunert ruderte allein und wurde dabei immer überheblicher.
Schaulauf der Dissonanz
Die anderen Gesprächspartner, die nichts wissen wollten von «Geschlechtsneutralität», wurden hingegen wie Exoten vorgeführt: der Männercoach, der Männer im Wald zum Weinen und Schreien bringt, der Wikingerdarsteller und Wrestler, der andere Männercoach, der die sexuelle Attraktivität echter Männlichkeit in seinen Seminaren propagiert.
Diese drei «Andersartigen» hatten keinen Anschluss an den Diskurs von Theunert, der seine Thesen rhetorisch zugespitzt präsentierte: die «patriarchale Dividende», die alle Männer aktuell durch grundsätzliche Selbstreflexion offen zu legen hätten (Theunert), ist in einer solchen Männerrunde, die immer wieder vergisst, worüber sie eigentlich diskutiert, nicht zu haben. Wo die aktuelle Auseinandersetzung der Geschlechterforschung nicht deutlich an den Anfang gestellt und für alle nachvollziehbar exponiert wird (wie dies die Sendung «Scobel» auf 3sat seit Jahren erfolgreich vorführt), wird im Karussell diskutiert, mit steigender Dissonanz. Entsprechend beliebig waren die Themen – von Jositschs Wahlkampf über die Vorbildfunktion von Vätern und Lehrern bis zur Floskel, für geilen Sex seien Tränen nicht nützlich.
Hätte man die anspruchsvolle Aufgabe, Kultur und Biologie der Geschlechter immer wieder auseinanderzuhalten, ernstgenommen, wäre vielleicht etwas in Bewegung gekommen. Hätte man eine These gehabt, wovon «die Krise der Männlichkeit» gespiesen wird, wäre man der schwierigen Aufgabe vielleicht ein wenig auf den Leib gerückt. Demgegenüber hat das Konzept des «Club» einmal mehr eine Scheindebatte orchestriert, es hat die Showeffekte der Dissonanz befördert, aber es hat die Akzeptanz für das aktuelle Differenzdilemma der Geschlechter kaum erhöht.
Indem der «Club» am Konzept festhält, Personen allein aufgrund ihrer «Authentizität» einzuladen, um sie mit Expertenwissen zu konfrontieren, wird er immer beiden einen schlechten Dienst erweisen und damit die Sehnsucht nach Vereinfachung verstärken. Entsprechend einfach lautete das Fazit des Moderators nicht anders als seine Einführung: Die Sendung habe gezeigt, wie viel unterschiedliche Männlichkeit es gebe, starre Kategorien und Stereotypien taugten dafür nicht. Damit zeigte der «Club» wohl unfreiwillig eine tüchtige Portion (männlicher?) Ratlosigkeit.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Forschungsschwerpunkte sind Kunst und Religion, künstlerisches Denken, transkulturelle Kunstpädagogik. Sie interessiert sich grundsätzlich für die Widersprüche der Gegenwart, wie sie auch in der Medienlandschaft auftauchen, und veröffentlicht regelmässig Texte und Kolumnen in Magazinen und Anthologien.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Es scheint, dass man nichts verpasst hat, wenn man den «Club» von SRF 1 verpasst hat.
«Denn im «Club» scheut man Fachdiskussionen und Expertenwissen wie der Teufel das Weihwasser», schreibt Silvia Henke. Stimmt. Weshalb jeder Club seit langem eine Enttäuschung ist im Vergleich mit Scobel zum Beispiel oder dem Lanz, Maischberger und Co. Leider zieht sich das oberflächliche Plaudern durch das gesamte Programm und verleiht SRF den Glanz der Beliebigkeit wovon der Priz Walo bloss die Spitze des Eisbergs.
Etwas Gutes hat der Club doch, er hat ein Moderator/Moderatorin im Gegensatz zu Lanz, der ein Meinungsmacher ist. Der eine Person zu einem Thema einlädt und drei dagegen.
Da ist mir der Club trotz allem lieber.
Fast hätte ich diesen Artikel gelesen, bin dann aber schon bald über ein » :innen» gestolpert – ein zuverlässiges Stopschild.
«zuverlässiges Stop-Schild»… genau das gleiche ist mir passiert.
Die Genderforschung hat in vielen Jahrzehnten dargelegt, dass es weniger die Biologie ist als ein kulturelles Band, das uns mit unserer Geschlechtsidentität verbindet.
Was, wenn ich als Mann das Gefühl habe, dass mich meine Biologie *mehr* mit meiner Geschlechtsidentität verbindet?