Kommentar

kontertext: Gefühlsverwandte

Johannes Kaiser ©

Johannes Kaiser /  Das Liebesleben des Menschen ist bekanntlich ziemlich kompliziert. Doch das teilt er, wie sich jetzt herausstellt, mit den Vögeln.

Wir sind von Vögeln fasziniert, lieben ihren Gesang, freuen uns an ihrem bunten Gefieder, betrachten sie gerne. Doch das wirkliche Vogelleben und -lieben bleibt uns meist verschlossen, denn die Nester liegen meist gut geschützt in Bäumen und Büschen und auch der Sex lässt sich selten beobachten, nicht zuletzt, weil er oftmals weniger als eine Sekunde dauert. Dass wir dennoch vom «Vögeln» reden, zeigt, dass wir durchaus wissen, was da abläuft.

Das liegt auch daran, dass wir inzwischen viel über deren Ehealltag wissen, denn die Genetik hat inzwischen viele Geheimnisse gelüftet und dabei festgestellt, dass die Vögel uns viel näher sind, als wir vermuten. Der Naturschützer und Ökochemiker Ernst Paul Dörfler, mehrfach für seine Natursachbücher ausgezeichnet, öffnet uns die Augen für eine Vogelwelt, die uns viel näher ist, als wir vermuten.

Das Liebesleben des Menschen ist bekanntlich ziemlich kompliziert. Doch das teilt er, wie sich jetzt herausstellt, mit den Vögeln, denn auch deren Gefühlswelt wird, so die wissenschaftlichen Erkenntnisse, von ähnlichen oder gleichen Hormonen gesteuert wie wir. Sie kennen Stress, Schmerz und Trauer, Freude und Liebe, Wut und Hass.

Ernst Paul Dörfler ist der erste, der das Liebesleben der in Deutschland heimischen Vögel auf über 200 Seiten gründlich dargestellt und allgemein verständlich zusammengefasst hat. Das sind bei ihm immerhin über drei Dutzend porträtierte Vogelarten. Die meisten von ihnen finden sich auch in der Schweiz, so die Vogelschutz-NGO Birdlife, wenn auch in unterschiedlicher Dichte. Insofern gelten die Erkenntnisse des deutschen Vogelexperten auch für die Schweiz. Dörflers Erkenntnisse beruhen auf den neuesten ornithologischen Forschungen, allerdings übersetzt er sie uns in eine allgemeinverständliche Sprache. Dabei sieht er immer wieder Ähnlichkeiten mit menschlichem Verhalten. Wir gleichen ihnen mehr, als wir glauben. Das macht sein Buch zu einer vergnüglichen Lektüre, die uns indirekt auch etwas über uns selbst verrät.

Imponiergehabe

Ihr Liebesleben beginnt im Frühling und zwar durchaus lauthals. Das vielstimmige Vogelkonzert zeigt ebenso wie ein prächtig herausgeputztes Gefieder nicht nur Revieransprüche, sondern ist auch Weibchenwerbung. Man will den Damen imponieren und verausgabt sich dafür.

So haben, wie wir Menschen, viele Singvögel Lebensabschnittsgefährten, da sie oft nur für einen Sommer eine Ehe eingehen. Das ist allerdings insofern viel Zeit, als Männchen und Weibchen nur zwei bis drei Jahre alt werden. Das heisst immerhin, dass sie fast ihr halbes Leben miteinander verbringen, auch wenn sie bisweilen ein zweites Mal heiraten.

Dörfler liebt Analogien. So vergleicht er Stare mit wirklichen Stars in unserem gesellschaftlichen Leben. Sie prunken mit glänzendem Gefieder, stolzieren durch Büsche und Bäume, sind grandiose Sängerschauspieler, die zahlreiche Klänge aus ihrer Umgebung perfekt imitieren. Das hat sogar zum Abbruch eines Fussballspiels geführt, weil ein Star die Trillerpfeife des Schiedsrichters so gut nachahmte, dass keiner mehr wusste, wer wirklich gepfiffen hatte. Immer wieder berichtet der Vogelexperte von solch überraschenden und amüsanten Verhaltensformen. Er betont allerdings auch, dass das Vogelverhalten eher genetisch bedingt ist, als freier Entscheidung entspringt.

Brautschau im Frühling

Das gilt natürlich auch für einen ganz besonders eleganten Sänger: die Nachtigall. Je intensiver, virtuoser und leidenschaftlicher der Vortrag des Männchens, so Dörfler, desto eher bekommt es ein Weibchen. «Ein facettenreicher Sänger, der mit besonders zahlreichen Strophen zu glänzen weiss, wird als Partner bevorzugt.» Und die Weibchen können wählen, denn Männchen gibt es in der Überzahl. Übrigens: Je besser die Sänger, desto grösser die Kinderschar. Sobald vermählt, schweigt der Nachtigallenmann. Dass wir dennoch bis weit in den Juni hinein die schönen Gesänge hören, ist den verschmähten Gesellen zu verdanken, die keine Braut gefunden haben.

Es ist schon ein erheblicher Aufwand, den manche Singvögel treiben. So bauen die zierlichen Zaunkönige nicht nur ein Nest, sondern bis zu sieben Nester. Das imponiert offenkundig den Weibchen, wenn es auf ein Männchen trifft, dass so viele Immobilien vorzuweisen hat. Da fällt es ihm nicht schwer, ja zur Ehe zu sagen. Allerdings ist der Zaunkönig gerne Bigamist, denn er lädt auch andere Weibchen in seine Nester ein und zeugt mit ihnen Kinder.

Ist erst einmal eine Frau gewonnen, wird es in der Vogelwelt erheblich stiller. Dann singen nur noch wenige und zeigen so Konkurrenten ihr Revier. Manches Männchen verliert nach der Balz wie der Pfau sogar sein buntes Prachtgewand, zieht sozusagen ein schlichtes Alltagskleid an.

Monogamie bei Vögeln

Dem Liebeswerben folgt die Vereinigung, oft vielfach hintereinander am Tag, allerdings jeweils in Sekundenschnelle. Das hat, so Dörfler, zu mancher Fehlannahme geführt. So ging man früher bei vielen Vogelarten von festen Sexpartnerschaften aus, doch das erwies sich als Irrtum. Heute enttarnt die DNA aus Federn und Blut Seitensprünge. Dabei zeigt sich, dass Monogamie in der Vogelwelt eher eine Seltenheit denn der Normalfall ist. Bei den allermeisten Singvögeln stammen die Nestlinge oft von zwei, manchmal sogar von drei Vätern.  Die Weibchen waren also im Verborgenen des Öfteren fremdgegangen. Doch auch die verheirateten Männchen schätzen Sex mit bereits vergebenen Weibchen. Bei Meisen sind es immer die Nachbarn, die da zum Seitensprung erkoren werden. Kommt einem bekannt vor. Heute spricht man denn auch von einer sozialen Monogamie, d.h. Männchen und Weibchen erledigen die täglich anfallenden Arbeiten gemeinsam, kümmern sich aufopferungsvoll um die Kinderschar. Die niedrigsten Scheidungsraten, die grösste Treue finden sich, so Dörfler, bei den Gänsen. Alle Arten von Wildgänsen leben in Dauerehe. Auch bei den Rabenvögeln halten die Beziehungen länger als bei Menschen.

Zumindest kümmern sich die Vögel nicht um Moral und Anstand wie wir Menschen. Gegenüber queeren, schwulen und lesbischen Partnerschaften war und ist die Vogelwelt toleranter als die Menschenwelt. Unter Vögeln gibt es alle Varianten des Ehelebens, denn das dient durchaus der Arterhaltung. So gibt es bei den Wachteln selten genügend Männchen oder Weibchen als Partner. Ihr rares Angebot führt dazu, dass sich ihnen viele Weibchen zum Beischlaf anbieten. So kommt es, je nach Lage zu Vielweiberei oder Vielmännerei.

Bei den Grosstrappen halten sich die Männchen einen Harem und bei den Wasseramseln kommt es zum Inzest, weil sich Weibchen immer wieder mal mit ihrem Nachwuchs paaren. Auch lesbische Gemeinschaften gibt es. Angesichts eines Männermangels schliessen sich bei den Enten oftmals zwei Weibchen zusammen, lassen sich schwängern und legen dann ihre Eier in ein gemeinsames Nest, kümmern sich zusammen um den Nachwuchs. Dörfler nennt das gelebte weibliche Solidarität. Und homosexuelle Beziehungen kennen die Graugänse, bei denen zwei Männchen zusammenleben, sich ein Weibchen suchen, es beide befruchten und dann gemeinsam zu dritt die Eier bebrüten und die Küken grossziehen.

Man mag Dörflers Interpretation des Vogelverhaltens bisweilen für allzu menschlich halten, jede Analogie hat ihre Schwächen, das räumt er auch wiederholt ein. Doch das schmälert nicht die Faszination des Buches, das sich in all seinen Aussagen auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt. Ernst Paul Dörflers Buch ist für alle Vogelfreunde eine fröhliche und witzige Entdeckungsreise durch das Liebesleben der Vogelwelt. Was lehrt uns das? «In beneidenswerter Weise haben die Vögel die Leichtigkeit (in Beziehungen) erfunden und machen sich das Leben nicht noch schwerer, als es schon ist.» Eine bemerkenswerte Erkenntnis.

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Voegel_Cover
Ernst Paul Dörfler: Das Liebesleben der Vögel,
Hanser Verlag 2024, 236 Seiten, 22 Euro


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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2 Meinungen

  • am 10.07.2024 um 16:51 Uhr
    Permalink

    Queer, schwul, lesbisch – das sind umgangssprachliche Bezeichnungen für das Sexualleben des Homo sapiens. Ob diese Begriffe so salopp auf Vögel angewendet werden können, wie hier im Artikel, wage ich zu bezweifeln. Erfreulich ist, dass wenigstens im Tierreich noch nach Männchen und Weibchen differenziert und nicht von «als weiblich gelesenen» Wachteln fabuliert wird. Vergleiche zwischen den Arten, hier zwischen Vögeln und Menschen, haben immer etwas Bemühtes. Die Evolution hat es letztlich bei jeder Art immer so gerichtet, dass Fortpflanzung und Überlebenskampf bestens funktionieren; ob es da auch hier und da Spielarten gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gibt, ist letztlich wurscht, solange der Nachwuchs kommt und überlebt.

  • am 10.07.2024 um 18:25 Uhr
    Permalink

    Danke für diese Empfehlung. Das Buch ist schon gekauft. Ein kleines Geschenk für meine Muse Anke Ames. Sie ist improvisierende Musikerin, komponiert und spielt zu Vogelstimmen. Man denke da u.a. an Olivier Messiaen. Vielleicht wird sie ja auch noch so bekannt wie dieser. Wir arbeiten dran.

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