Frauen kritisieren «Human Rights Watch»-Chef
Die zwölf internationalen Frauenorganisationen (siehe unten) werfen «Human Rights Watch» vor, tunesische und ägyptische Islamisten als Opfer der früheren Regimes ernster zu nehmen als die Opfer der Islamisten – überwiegend Frauen.
Anlass ist ein Essay von Kenneth Roth, Geschäftsführer von «Human Rights Watch», über die Machtwechsel in der arabischen Welt. Unter dem Titel «Zeit, die Autokraten zu verabschieden und die Menschenrechte zu begrüssen» fordert er den Westen auf, mit den neu gewählten islamischen Regierungen in Tunesien und Ägypten «konstruktiv» zusammenzuarbeiten. Roth: «Solange frei gewählte Regierungen grundlegende Rechte respektieren, verdienen sie unabhängig ihrer politischen oder religiösen Ausrichtung internationale Unterstützung.»
Problem mit Menschenrechten
Diese Empfehlung sei beunruhigend, schreibt die US-Feministin Meredith Tax. Manche Menschenrechtsorganisationen hätten ein grösseres Problem mit den Menschenrechten. Denn die systematische Diskriminierung und Verfolgung von Frauen, Homosexuellen und religiösen Minderheiten durch die Islamisten spielten sie herunter. Anstatt die Islamisten kritisch zu hinterfragen, würden einige Menschenrechtsorganisationen diese wie Partner behandeln.
Meredith Tax erwähnt unter anderem die Kontroverse zwischen Gita Sahgal und «Amnesty International». Die Menschenrechtsorganisation hatte vor zwei Jahren die Abteilungsleiterin für Frauenrechte suspendiert. Zuvor hatte diese gemeinsame Auftritte von Amnesty mit einem Islamisten öffentlich kritisiert.
Offener Brief von Frauenorganisationen
Kenneth Roth erwähnt in seinem ganzen Essay die Rechte von Frauen nur einmal, obwohl viele islamische Parteien diese missachten. Roth verteidigt sich damit, dass andere Regimes die Rechte der Frauen ebenfalls missachten würden. Mit dieser Begründung sind mehrere muslimische und säkulare Frauenorganisationen nicht einverstanden. In einem offenen Brief verlangen sie, dass eine Menschenrechtsorganisation fundamentale Rechte mit Nachdruck verteidigen muss, statt autokratische Regimes, die fundamentale Freiheitsrechte verletzen. Roth spreche wie ein Verteidiger der Islamisten und nicht wie ein Verteidiger der Menschenrechte.
Der Chef von «Human Rights Watch» schreibt in seinem Essay, es bestehe die Möglichkeit, dass auch eine islamistische Regierung überzeugt werden könne, keine Menschen zu diskriminieren.
Geschlechter-Apartheid propagiert
Das sei blauäugig, kritisieren die Frauenorganisationen. Im Exil in Grossbritannien hätten die Muslimbrüder systematisch die Geschlechter-Apartheid und die schärfste Version des islamischen Rechts (Scharia) propagiert. Damit sei schon heute klar, dass solche Regierungen die freie Meinungsäusserung, die Religionsfreiheit und die Rechte der Frauen bedrohen.
Die grösste Gefahr sei die Einführung der Scharia, die Roth mit keinem Wort erwähne. Frauenrechte seien Menschenrechte und dürften vom Chef einer Menschenrechtsorganisation nicht als zweitrangig betrachtet werden, schreiben die Frauenorganisationen. Statt sich zum Komplizen der religiösen Fundamentalisten zu machen, müsse «Human Rights Watch» auf die Gefahren islamistischer Regimes für Freiheit und Gleichheit aufmerksam machen und den Kampf für einen säkularen Staat unterstützen.
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Die zehn Frauenorganisationen:
Association Tunisiene des Femmes Démocrates
Association for Women’s Rights in Development (AWID)
Canadian Council of Muslim Women (CCMW)
Centre for Secular Space (CSS), global
Ligue due Droit International des Femmes (LDIF), France
Marea, Italy
Muslim Women’s Research and Action Front (MWRAF), Sri Lanka
Nijera Kori, Bangladesh
One Law for All, UK
Organisation Against Women’s Discrimination in Iran, UK
Secularism Is a Women’s Issue (SIAWI), global
Southall Black Sisters, UK
Women’s Initiative for Citizenship and Universal Rights (WICUR), global
Women Living Under Muslim Laws (WLUML), global
Žene U Crnom, Women in Black, Belgrade
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Gita Sahgal, Meredith Tax und andere Frauenrechtsaktivistinnen haben den Think Tank «Centre for Secular Space» gegründet. Dieser hat den offenen Brief der Frauenorganisationen an Kenneth Roth in Englisch veröffentlicht (Link unten).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Redaktorin und Herausgeberin der Zeitschrift «FrauenSicht»