Die NZZ redete die Diktatur in Saudi-Arabien schön
Die NZZ nennt autoritäre Herrscher, die geopolitisch als Feinde gelten, häufig «Diktator» oder «Machthaber». Wenn es sich aber um autoritäre Herrscher handelt, die dem Werte-Westen geopolitisch nützlich sind, hält sich die NZZ meistens an deren offiziellen Funktionen und bezeichnet sie beispielsweise als «Präsident as-Sisi» oder eben «Kronprinz bin Salman».
Über schwere Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien hat NZZ auch schon informiert, aber am 5. August schwärmte NZZ-Reporter Daniel Böhm eine ganze Seite lang über Reformen, von denen «vor allem die Frauen profitieren» würden. Saudi-Arabien sei heute sogar «das Königreich der Frauen», verkündete der fünfspaltige Titel, den die NZZ-Redaktion über den Artikel setzte.
Den NZZ-Podcast dazu übertitelte die NZZ: «‹Die gesamte Gesellschaft wird auf den Kopf gestellt!› Zum ersten Mal seit fünf Jahren besucht unser Reporter Saudi-Arabien – und traut seinen Augen nicht.» Das Land habe sich «radikal verändert».
Der «junge Kronprinz» habe «mit den alten Regeln gebrochen». Also angeblich mit allen alten Regeln. Er habe «den Frauen endlich erlaubt, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Also angeblich allen Frauen. «Die jungen Saudi-Araberinnen geniessen die neu gewonnenen Freiheiten». Also angeblich alle jungen Frauen.
Schön wäre es, wenn jetzt alle die neu gewonnenen Freiheiten geniessen dürften.
Euphorisch fuhrt die NZZ fort, das Vormundschaftsgesetz sei «abgeschafft». Offensichtlich nahm sich der NZZ-Reporter nicht einmal die Mühe, die von Machthaber bin Salman erlassenen neuen Gesetze zu lesen.
«Die sozialen Reformen sind längst nicht das, was sie zu sein scheinen»
Es ist zwar richtig und begrüssenswert, dass sich Frauen ohne Einverständnis eines Mannes ans Steuer eines Autos setzen können, ein Restaurant, Café oder Kino besuchen, reisen und den Mann heiraten dürfen, den sie möchten. Die gefürchtete Sittenpolizei darf Frauen nicht mehr daran hindern.
Doch was der NZZ-Reporter unterschlug: Von diesen fundamentalen Freiheiten können längst nicht alle Frauen in Saudi-Arabien profitieren. Das einschlägige neue Vormundschaftsgesetz ist auf der Webseite der Regierung auf Arabisch veröffentlicht. Die langjährige Kriegs-Korrespondentin* Megan K. Stack hat die saudischen Gesetzestexte studiert und kam in der New York Times zum Schluss: «Der Westen macht sich etwas vor: Die sozialen Reformen sind längst nicht das, was sie zu sein scheinen.» Denn das Gesetz erteile – in dieser Reihenfolge – Vätern, Ehemännern, Onkeln, Brüdern und Söhnen weiterhin das paternalistische Vormundschaftsrecht und damit die Befehlsgewalt über die Frauen. Das betreffe weiterhin das Autofahren, Ausgehen und Heiraten. Das Gesetz lege weiterhin fest, dass Ehemänner von ihren Ehefrauen Gehorsam verlangen können.
Neu sei nur, dass die Männer den Frauen, die unter ihrer Aufsicht stehen, die neuen Freiheiten gewähren dürfen und weder der Staat noch die Sittenpolizei sie daran hindern können, wie dies vorher der Fall war.
Eine Frau also, die in einen liberal denkenden Familienclan geboren werde oder einen fortschrittlich denkenden Mann heiraten könne, habe das Glück, mit dem Segen der Männer von den neuen Freiheiten zu profitieren. Eine Frau dagegen, welche in eine traditionelle Familienstruktur geboren werde, habe keine Chance. Wenn ihr Vater oder Ehemann nicht will, dass sie die Fahrprüfung macht und Auto fährt, muss sie sich diesem Verbot unterziehen. Gegen den Willen ihres männlichen Vormunds dürfen Frauen auch keinen Mann heiraten. Die betroffenen Frauen würden diesen Männern ausgeliefert bleiben und keine Behörde werde ihnen helfen.
«Frauen, die Pech haben und von ihren Männern bevormundet werden, können von den gesellschaftlichen Öffnungen nicht profitieren», erklärte die saudische Frauen-Aktivistin Hala Aldosari der New York Times. Es handle sich dabei um die Mehrheit der Frauen im 30-Millionen-Einwohner-Land, die in konservativen Familienverbünden leben, welche grundlegende Menschenrechte der Frauen nicht respektieren.
«Das Königreich der Frauen», wie die NZZ titelte? Wohl kaum.
Erst in den letzten beiden Absätzen seines langen Artikels räumte Daniel Böhm ein, dass Politik, Religion und Nacktheit in Saudi-Arabien weiterhin Tabuthemen seien. Auch erwähnte er noch die Einbuchtung von liberalen Aktivistinnen wie der Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, die 2018 lediglich das Recht eingefordert habe, Auto zu fahren.
Freiheiten könne man eben in Saudi-Arabien nicht einfordern, meinte der NZZ-Reporter. Sie seien ein Privileg, das der Staat gewährt.
Es gilt hinzuzufügen: Grundlegende Freiheiten für Frauen sind weiterhin ein Privileg, das nur Männer gewähren können. Denn Frauen haben rechtlich nach wie vor den Status von Unmündigen.
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*Hier hiess es zuerst, Stack sei Korrespondentin der New York Times. Sie hat den Beitrag als «contributing Opinion writer» geschrieben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die NZZ als Lautsprecher repräsentiert den USA-Wertewesten, von dem (wie ich finde, insbesondere aufgrund der Leitmedien) leider nur eine Minderheit inklusive ich, Teil zu sein sich weigert.
Beispiel: Ganzer Text (in englisch): Caitlin Johnstone «US Invades Syria, Kills People, Claims Self-Defense», 25.8.22
«Die USA behaupten, in Syrien zu sein, um ISIS zu bekämpfen, aber sie kämpfen selten gegen ISIS. In Wirklichkeit sind sie dort, um Syrien sein eigenes Öl und seinen Weizen zu verweigern und um gelegentlich Syrer und ihre Verbündeten anzugreifen, die die von den USA unterstützten sektiererischen Todesschwadronen besiegt haben.»
Was er sagt, ist völlig richtig. Die USA sind eine Besatzungsmacht, die ohne Erlaubnis der syrischen Regierung vor Ort ist, ohne von Syrien angegriffen worden zu sein und ohne den berechtigten Anspruch, sich gegen irgendjemanden in Syrien zu verteidigen. Die «vom Iran unterstützten» Milizen in Syrien operieren mit der vollen Genehmigung der syrischen Regierung
Mir ist bei einigen Artikeln und Kommentaren eine Art USA-Bashing aufgefallen, was mich immer wieder verwundert. Wer hat 1945 die Europäer gerettet vor den Nazis und Sowjets? Es waren die Engländer und Amerikaner. Die USA sind wahrscheinlich die allerwichtigsten Verbündeten von Europa und für die Zukunft extrem wichtig.
Ihre Behauptungen sind bloss Behauptungen ohne Wahrheitswert, komplett aus der Luft gegriffen. Warum sollte die USA der syrischen Bevölkerung den Weizen wegnehmen wollen oder das Öl? Die haben viel eigenes Öl und sind nicht auf Importe angewiesen. Im Syrienkrieg haben die Amerikaner die Kurden verteidigt und mit Waffen beliefert. Die Kurden sind wahrscheinlich die Friedlichsten in diesem Gebiet. Assad ist seine Bevölkerung komplett egal. Der ist ein Tyrann
Die Russen haben 2015 in Syrien 20 Spitäler zerstört, niemand in Europa hat es gejuckt. Aber die Amerikaner schon, die haben immerhin die Kurden unterstützt.