Glosse

Den Begriff «Altweibersommer» verwende ich mit Lust weiter

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Scherz lass nach: Politisch nicht korrekt, aber was ist denn politisch daran? Wie diskriminierend können alltägliche Begriffe sein?

Wer liebt sie nicht, diese kurze Phase im Herbst mit ihren überraschend milden Tagen, die eine Erinnerung an den vergangenen Sommer zurückbringen, während die Blätter – schon gelb geworden – von den Bäumen fallen? Der Altweibersommer, an dem tatsächlich jene, die die Hitze fürchten, sich nochmals wohlig ins Freie setzen können und die sanfte Wärme geniessen. Es mögen vorzüglich die alten Frauen (und Männer) sein.

Doch darf man das so offen sagen? Ist das nicht etwa diskriminierend? Sollte man eventuell einen anderen Begriff verwenden, um sich politisch korrekt auszudrücken? Keine Ahnung übrigens, was daran politisch sein soll.

Bereits in jungen Jahren liebte ich das Wort; es ist anschaulich, zugleich humorvoll, und vor allem freundlich: Wer mag das wohlige kleine Herbstglück den alten Menschen nicht gönnen? Keine Diskriminierung weit und breit! Warum also soll man das nicht mehr sagen dürfen?

Metereologen haben sich umgehend gewehrt. Für sie ist es ein fester Begriff, weil er ein Wetterphänomen treffend beschreibt und schon lange Zeit in Gebrauch ist. Zudem habe es – historisch gesehen – gar nichts mit alten Weiber zu tun, klären sie jetzt entschuldigend auf. Das Wort gehe auf einen althochdeutschen Begriff zurück: «Alt» meinte damals eben nicht Lebensalter sondern spät, und das Wort «Weiber» stamme von einem Wort ab, das von «Weben» abgeleitet ist und folgende Situation beschreibt: Die Spinnweben sind in den Spätjahres-Tagen überall zu sehen und dominieren das Landschaftsbild. Nix da von alten Weibern! Nix also von Diskriminierung!

Allerdings ist dies eine weit hergeholte Besänftigung. Mir wurde jedoch eine freundliche Illusion zerstört und die Bewunderung für eine fantasievolle und witzige Umgangssprache. Deshalb werde ich den Begriff mit Lust weiterhin gebrauchen und mich mit den alten Weibern freuen.

Doch es bleibt ein Nachtrag: Auch wenn die verbalen Bösartigkeiten in einem unglaublichen Ausmass zugenommen haben; das Gegenmittel kann nicht heissen, alles auszusperren und anzuprangern, was irgendwem in den falschen Hals geraten könnte. Zum Schluss hätten wir jegliche Farbe aus der Sprache getilgt und und es bliebe eine verlogene Korrektheit übrig. 

Zu prüfen gilt einzig, ob etwas wirklich in böser Absicht gesagt wird. Dagegen darf man sich in jedem Falle wehren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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8 Meinungen

  • am 17.10.2022 um 11:08 Uhr
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    Spricht mir aus der Seele. Erfrischend vernünftig. Trifft man heute leider sehr selten an!

  • am 17.10.2022 um 11:58 Uhr
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    Ein wunderbares Wort, das einen wunderbaren Herbstanfang beschreibt. «Altweibersommer» könnte sich auch die Ähnlichkeit der Spinnennetze mit dem silbrigen, feinen Haar mancher alter Damen beziehen. Das Wort «Weib» war lange Zeit nicht negativ besetzt; noch heute wird ja auch entweder erotisch bewundernd «Vollweib» bzw. zärtlich-ironisch «mein Weib», «unbeweibt» usw. gebraucht. Die rein negative, abwertende Bedeutung erschließt sich erst durch den Kontext «Weiberwirtschaft», «Weiberröcke» (hinter denen man sich versteckt), «Weibsbild», «Weiberkram» usw. Das Wort «Weib» kann auch als Überhöhung einer Frau, als Kompliment benutzt werden «ein Weib wie kein anderes», «Prachtweib» usw. «Alte Weiber» sind durchaus nicht harmlos, wenn auch sprachlich vielleicht abgewertet: böse und gute Feen, Hexen und auch Miss Marple gebrauchen sie als Tarnung, zur Verschleierung außerordentlicher Fähigkeiten. Einem alten Weib zu helfen, ist Pflicht für alle Märchenprinzen.

  • am 17.10.2022 um 12:32 Uhr
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    Und wer auf den englischen «Indian Summer» ausweicht, macht sich gleich der kulturellen Aneignung schuldig.
    Mir egal, ich geniesse neben dem Altweibersommer sprachlich wie kulinarisch auch den Mohrenkopf!

  • am 17.10.2022 um 13:02 Uhr
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    Liebe Frau Stibler, dieser Beitrag von Ihnen passt meines Erachtens sehr schlecht zur sprachlichen Qualität vom Infospreber. (Mit Vergnügen lese ich jeweils die Beiträge Sprachlupe von Herrn Goldstein. Sie auch?) In Ihrem Beitrag verwenden Sie nämlich wider besseres Wissen ein Sprachbild, das sich für Ihr Anliegen als unpassend erweist. Die Frage der politisch korrekten Sprache ist durchaus ein wichtiges Thema – was soll wirklich eingefordert werden, was führt zu weit und macht die Sprache nur unnötig kompliziert. Doch Sie scheinen als Methode folgendes anzubieten. «Ach was, wenn es mir gefällt, sage ich doch wie ich will!» Das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Mit freundlichen Grüssen

    • am 18.10.2022 um 01:11 Uhr
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      «Die Frage der politisch korrekten Sprache ist durchaus ein wichtiges Thema – was soll wirklich eingefordert werden, …»
      Wer ist eigentlich durch wen legitimiert, politisch korrekte Sprache einzufordern? Sicher nicht eine verschwindend kleine, militante Minderheit, die von Unwohlsein befallen ist.

  • billo
    am 17.10.2022 um 17:18 Uhr
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    Danke für die gebrochene Lanze, Linda!
    (Darf man das noch so sagen, in Zeiten schrecklicher Kriege?)

  • am 17.10.2022 um 20:30 Uhr
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    Den Nachtrag habe ich mir ins Tagebuch geschrieben. Wie konnte uns nur das Gespür für Vernunft und Unvernunft verlassen? Jetzt habe ich eine neue Antwort: Unsere Sprache hat bereits schon so viel Farbe verloren und hat schon so viel Verlogenheit geimpft bekommen, dass wir mit einfachen Worten kaum noch sagen können, was wir eigentlich meinen. Wir müssen uns dauernd sorgen, mit unserem Satz irgendeinen Korrigiernazi auf den Plan zu rufen, der erklärt und uns in die Verteidigung zwingt. Das passiert inzwischen ja bereits unter Freunden. Es ist schwierig, mit komischen Worten klar zu sein, und plötzlich merkt man, dass man nicht mehr weiss, ob das, was man eben sagte, vernünftig war oder nicht.

  • am 18.10.2022 um 01:16 Uhr
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    Seit ich vor vielen Jahren Gerhard Meiers Baur und Bindschädler (Amrainer Tetralogie) gelesen habe, wandle ich noch lustvoller durch die «Martini- und Altweibersömmerchen».
    Ihre Beitrag, Frau Stibler, spricht mir aus dem Herzen. Danke vielmals.

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