Kommentar
Burka in Afghanistan: Westliches Versagen
Die Tragödie der afghanischen Frauen unter der zweiten Taliban-Herrschaft vollzieht sich in kleinen Schritten: Nur besonders schockierende Nachrichten wie die neue Verordnung der Verhüllung des ganzen Körpers inklusive des Gesichts schaffen es in die internationale Öffentlichkeit. Damit ist die Burka, das ultimative Symbol der Segregation – der Trennung der Frauen von allem, was öffentlich ist –, wiedereingeführt. Und damit schwindet die letzte Hoffnung, dass Druck von aussen, gepaart mit wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten, die Taliban diesmal zu mehr Pragmatismus im Umgang mit Frauen veranlassen könnte.
Ausgetragen wird der neue alte Kulturkampf am Körper der Afghaninnen. Aber er betrifft uns alle. Afghanistan wurde im August 2021 nicht von den Taliban erobert, es wurde vom Westen aufgegeben. Für die Frauen, die zuvor jahrelang ermutigt worden waren, ihre Werte und Visionen für die Zukunft neu zu orientieren, haben nach der Rückkehr der Taliban nur wenige etwas getan.
Und es wird immer klarer, dass die moralische Autorität, die sich die USA und ihre Verbündeten zusprechen, international Schall und Rauch ist. Die Taliban mögen damit rechnen, dass Staaten wie Russland und China ihr Regime trotz ihrer Frauenpolitik früher oder später anerkennen, nicht trotz, sondern gerade wegen der Empörung des Westens. Nach Moskau und Peking schauen die Taliban, nicht nach Washington.
Dieser Kommentar ist zuerst im «Standard» erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Taliban haben eben den Vorteil in einem Land zu leben, in dem es kein Petrol gibt. Daher ist auch die «Werteverteidigung am Hindukush» nur von relativer Bedeutung.
Poppies hingegen gibt es in jeder Menge. Das wird wohl kaum für den lokalen Konsum angebaut.
Als späte Einsicht würde ich diesen Rückzug bezeichnen. Es ist nicht die Aufgabe des Westens überall auf der Welt unsere Werte zu verbreiten. So etwas machen nur Religionen und was diese auf der Welt schon angerichtet haben und immer noch anrichten ist uns allen bekannt. Die Bevölkerung muss diesen Kampf um ihre Rechte selber führen, sonst ist keine Nachhaltigkeit zu erwarten.
Die einzigen Werte, um denen es dem «Wertewesten» geht, sind die, die sich in Dollars, Pfund und Euro ausdrücken lassen. Das sollte man doch inzwischen begriffen haben, oder? Allein der quasi totgeschwiegene Krieg Saudi-Barbariens (dessen Bomber ohne britische Flugleitung nicht einmal abheben würden!) gegen den armen Jemen im Vergleich zu dem in der Ukraine – von den früheren Kriegen des Westens um seine Werte ganz zu schweigen – sollte doch wohl JEDEM inzwischen die Augen geöffnet haben. Die Heuchelei der «Werte»-Vertreter angesichts der eigenen Kriegsverbrechen, die sie seit Jahrzehnten begehen und/oder unterstützen, ist doch für jeden normalen Menschen einfach nur noch UNERTRÄGLICH!
USA und EU pumpten Milliarden in dieses Land und seine Armee, dessen Führer nichts eiligeres zu tun hatten, als sich rechtzeitig mit einem Teil ebenjenen Geldes in einen schönen Ruhestand im Ausland zu verabschieden. Die teure Armee brach ohne einen Schuss zusammen. 1989 hingegen konnte sich der säkulär und modern gesinnte Nadschibullah nach dem Abzug der UdSSR immerhin noch drei Jahre an der Macht halten und das hatte die UdSSR sicher nicht diese heutigen Milliarden der EU und der USA gekostet. Was also hat der «Westen» seit 2002 dort eigentlich bewirkt? Und warum sollte man lt. Fr. Harrer den «Westen» wieder hinschicken? Es mag uns allen verabscheuungswürdig erscheinen, wie dort Frauen behandelt werden, das rechtfertigt aber keine militärische Intervention in einem souveränen Staat. Kurios wie Journalisten heutzutage mit allergrößtem Freimut hinter der Sicherheit ihres Schreibtisches Waffengänge im Ausland forden.
Der Westen hat dort bereits seit 1979 nichts bewirkt als Tod, Verstümmelung, Mord, Vertreibung, Elend … denn damals begannen die USA dem Rat Brzezinskis folgend, die Gegner der Regierung zu bewaffnen, um für die Sowjetunion den «Bündnisfall» auszulösen und so «den Russen IHR Vietnam zu bereiten», wie Brzezinski sich ausdrückte – der diesen Krieg natürlich nie bedauert, sondern es sich als Verdienst angerechnet hat, damit dazu beigetraten zu haben, das Sowjetimperium zu stürzen. Millionen Russen u.a. Völker des Riesenreiches, die in den 1990er Jahren vorzeitig in Armut verstorben sind, werden es ihm danken … Ebenso wie die Opfer der USA, die sich seitdem als «einzige Weltmacht» überall noch hemmungsloser aufgeführt hat als schon zu Zeiten des Vietnam-Krieges.
Wenn es jemals auf entscheidender ebene um frauenrechte gegangen wäre, dann hätte afghanistan nach ein paar jahren besatzung eine dominierend starke, gut ausgebildete und gut bezahlte frauen armee gehabt.
Wir haben Afghanistan und die Talibanen nicht nur aufgegeben, sondern sie auch total vergessen! Nach der Eroberung haben die Talibanen einiges versprochen, um Sanktionen oder schlimmeres zu verhindern und wir sind ganz naiv hineingefallen! Was nun? Das Problem ist immens und betrifft im Allgemeinen die Religionen. Gestern hatten wir ein weiteres Beispiel in Israel/Palästina. Überall wo Krawallen und Krieg gibt, sieht man ein religiöses Zeichen, Prälaten, Leute, die für sich und gegen die anderen beten, als Gott nur zu einer Seite stünde. Ich bin überzeugt, dass wir daran arbeiten müssen, um alle Religionen, gross und klein, abzuschaffen!
Giovanni Coda
Beim «Engagement» in Aghanistan haben immer vor allem Männer entschieden – in der UDSSR, den USA und bei den Taliban.
Oben bei den Kommentaren melden sich nur Männer.
Mir gefällt der Artikel von Frau Harrer sehr gut.
Auch im Westen wird heute der islamische Kulturkampf vielfach am Körper der Frauen ausgetragen.
Warum lassen die Frauen das mit sich geschehen?
Warum machen sich fast nur junge Männer und nicht Massen von Frauen im Orient auf den Weg gen Westen?
Ich denke da an Lysistrata im alten Griechenland …
Versagen, liebe Frau Harrer, kann man nur, wenn man sich Mühe gegeben hat, etwas zu bewirken. Aber alle Mühe, die sich der «Wertewesten» seit 1979 in Afghanistan gegeben hat, war es, die Sowjetunion in einen Zermürbungskrieg zu stürzen. Dass dafür die Islamisten aufgerüstet und Warlords und Drogenbarone mit Milliarden «gefüttert» werden mussten, hat die USA ebensowenig gekümmert wie im «Goldenen Dreieck» oder in Kolumbien. Im Gegenteil: der rasante Aufschwung des Drogenanbaus und -exports war erst unter den USA überhaupt möglich, denn die Taliban hatten ihn weitgehend und erfolgreich verboten.
Wenn die Taliban jetzt wieder herrschen, hat sich einzig und allein der Westen dies zuzuschreiben, der sie groß gemacht und dann das Land als «failed state» zurückgelassen hat. Was kümmern schon so ein paar Steinzeit-Turbanträger, die Millionen unterjochen, den «Wertewesten». Der hat eben NICHT versagt – denn er hat sich NIE BEMÜHT, außer um seine eigenen Ziele, zuletzt: Geld mit Krieg verdiene
PS: Sie, liebe Frau Harrer, dürften ja noch miterlebt haben, wie Afghanistan seit den 1960er Jahren zumindest in den Großstädten ein relativ fortschrittliches Land war: Es gibt ja immer noch im Netz die Fotos von Studentinnen in kurzen Röcken in den Parks von Kabul … Aber sowas musste beendet werden, weil Herr Brzezinski und seine Kumpane meinten, «den Russen» in Afghanistan «ihr Vietnam» bereiten zu müssen. Was zählen da für den wertewestlichen Schreibtischmörd… äh … -strategen schon ein paar Millionen Menschenleben? Gar Frauenrechte?? Die werden ja selbst «zuhause» (in den USA) gerade abgebaut … Vielleicht empfängt demnächst ja wieder ein US-Präsident die Steinzeit-Islamisten im Weißen Haus und lobt sie als «Freiheitskämpfer» wie einst Reagen?