Sperberauge

Die wichtigste Schulstufe ist…

Heinz Moser © zvg

Heinz Moser /  Die wichtigste Schulstufe ist die Eingangsstufe. Die Argumentation des Volksschulamts lässt daran zweifeln.

Das Gejammer um die fehlenden 50 unbesetzten Kindergärtnerinnen-Stellen im Kanton Zürich hat dazu geführt, dass im Tages-Anzeiger vom 16. Mai 2014 ein Hohelied des Berufes gesungen wird. Noch immer geistert in den Köpfen das Bild der Gfätterlitante herum. Dabei ist die Eingangsstufe die wichtigste, meint Lehrerverbandspräsidentin Lilo Lätsch. Leider handle es sich immer noch um einen strengen 100-Prozent-Job, der unterbezahlt und zu wenig wertgeschätzt werde. Es sei eine hohe Anforderung, Kinder mit Sprachschwierigkeiten und speziellen Bedürfnissen zu integrieren und jedes Kind einzeln zu fördern, meint dazu auch die Präsidentin des Verbandes Kindergarten Zürich.

Dieses Lob wird an den Kindergärtnerinnen wie Honig heruntergehen.
Doch an seinen Taten gemessen findet das Volksschulamt diesen Beruf überhaupt nicht anforderungsreich: Primarlehrpersonen, die als Notmassnahme im Kindergarten unterrichten, müssen für ihren optimalen Start an der Pädagogischen Hochschule lediglich einen dreitägigen Kurs absolvieren.

So anforderungsreich scheint die vielgelobte Kindergartenpädagogik also nicht zu sein, wenn für Primarschullehrpersonen ein dreitägiger Kurs genügt, um fit für den Kindergarten zu werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinz Moser war Redaktor beim Schweizerischen Beobachter und später Dozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich (bis 1/2013) und an der Universität Kassel. Zurzeit leitet er an der PH Zürich ein Nationalfondsprojekt zur Berufswahl mit visuellen Mitteln.

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4 Meinungen

  • am 20.05.2014 um 10:34 Uhr
    Permalink

    Eigentlich bin ich ja jemand, der nicht glücklich mit der gegenwärtigen «Verakademisierung» der Berufsbildung ist – aber angesichts der Wichtigkeit des Kindergartens bin ich der Meinung, dass hier unbedingt dem skandinavischen Vorbild nachgeeifert werden sollte. In Finnland z.B. sind Kindergärtnerinnen (auch dort primär ein Frauenberuf, auch wenn der Anteil der Männer mit 5+ Prozent wohl höher ist als hierzulande) eigentliche Vorschullehrerinnen mit universitärer Ausbildung, meistens nicht «nur» ein Bachelor, sondern ein Master. Das ist auch nötig, vermitteln diese doch den 3-6 Jährigen Inhalte wie Ethik und Philosophie, Sprache und Interaktion, Mathematik (sic) oder Kunst und Kultur (cf. Natalija Kuch 2007). Der PISA-Erfolg Finnlands ist m.E. grundlegend auf diese Vorschule gebaut. Daher verwundert es auch nicht, dass diese einen grossen Teil der Ausgaben im Bildungsbereich beansprucht. So gesehen sind Kindergärtnerinnen bei uns tatsächlich «Gfätterlitanten» – leider.

    Meine Vorstellung eines idealen Bildungssystem in unserem Land würde unsere erfolgreiche duale Berufsbildung kombinieren mit dem finnischen System für Vor- und Primarschule. Aber das bleibt wohl ein Traum.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 20.05.2014 um 11:10 Uhr
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    Ethik und Philosophie für Dreijährige… Das Wichtigste, wenn man das können will, wäre Verzicht auf Heidegger und Adorno. Das Hochschulstudium hat wenig mit der Arbeit der Kindergärtnerinnen und Lehrpersonen zu tun, sondern dient Lohnforderungen.

    Dass Kindergärtnerinnen bei uns Gfätterlitanten seien, war schon 1951 falsch, auch H.R. Giger und Naturwissenschafter Zinkernagel bezeichneten den Kindergarten als die für sie wichtigste Schulstufe, vgl. meinen im Netz abrufbaren Nachruf auf Giger. Die beste Kindergärtnerinnenausbildung war die seminaristische. Das Niveau war dort ausgezeichnet, wird heute nur schwer mehr erreicht. Kindergärtnerinnen lasen natürlich Kafka, Pestalozzi, Gottfried Keller und Jean Paul. Das Meisterwerk Schulmeisterlein Wutz ersetzt fünf Jahre Hochschule, würde man diesen Text verstehen.

    Als Lehrerfortbildner über 25 Jahre ist mir das durchschnittlichen Hochschulassistenten ebenbürtige Niveau der Kindergärtnerinnen aufgefallen. Mit deutschem System nicht zu vergleichen. Die Akademisierung führt schlimmstenfalls zur Verdummung, auch etwa praktisch.

    Bildungsgeschichtlich interessant sind die Publikationen der Kindergartengegner des 19. Jahrhunderts, so Matthäus Birchmeier aus Würenlingen, Pfarrer, mit seiner Abhandlung gegen die Kleinkinderschule 1880; er ging davon aus, dass ledige Tanten diese Aufgabe besser übernehmen könnten.

    Gigers Kindergärtnerinnen waren Ordensschwestern. Ihre Hinweise auf das Leiden Jesu dienten seiner ästhetische Erziehung.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 20.05.2014 um 11:18 Uhr
    Permalink

    PS. Den Pisaerfolg Finnlands, der durchaus endogene Gründe hat, mit dem im Vergleich zu Mitteleuropa sehr geringen Ausländerinnen- und Ausländeranteil in Zusammenhang zu bringen, gilt als politisch unkorrekt. Mathematik für Dreijährige ist mit Einschränkungen eher möglich als «Ethik". Erziehung ist durch «Ethik", ein Fach, das ohne klare Orientierung so oder so Verwirrung stiftet (war 33 Jahre Ethiklehrer), ohnehin nicht zu ersetzen. Auch ein sehr intelligenter Hund, ein Schimpanse oder ein dreijähriges Kind können mit «Ethik» nicht erzogen werden.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 20.05.2014 um 11:27 Uhr
    Permalink

    PS II.Philosophie im Kindergarten. Dafür könnte man, ebenfalls bei der Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung, bei Kinderphilosophin Eva Zoller fast am meisten lernen. Die Bezeichnung Philosophie ist trotzdem gewagt. Die besten Gymnasiallehrer bringen es als Rekord-Erfolgsquote fertig, dass maximal 15% der Maturandinnen und Maturanden das erkenntnistheoretische System von Kant verstehen. Bei Quine und Poppers Logik der Forschung liegt die Quote auch bei Hochschulprofessoren eher noch tiefer. Geschwätz über Gott und die Welt kann nicht als Philosophie bezeichnet werden.

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