Pisa-Chef: Smartphones stören den Unterricht
Ein Befund der letzten Pisa-Studie erregte Aufsehen: 15-Jährige schnitten weltweit durchs Band weg schlechter ab als in den Jahren zuvor. Als erste Erklärung wurde die Corona-Pandemie herbeigezogen: Schulschliessungen, psychische Problem, weniger direkten Lehrpersonenkontakt.
Doch vor wenigen Tagen sagte Andreas Schleicher, Bildungsverantwortlicher der OECD der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter: «Der Zusammenhang zwischen den Schulschliessungen und dem Wissensverlust ist nicht so stark wie der Zusammenhang, den wir sehen zwischen Smartphonenutzung der Schülerinnen und Schüler und den sinkenden Lernleistungen.»
«Überrascht» vom «starken Zusammenhang»
Nachdem die Resultate der letzten Pisa-Studie kommuniziert waren, setzte die OECD eine Gruppe von ExpertInnen zusammen, um gerade die Auswirkungen der Nutzung von Smartphones auf den Lernerfolg genauer zu untersuchen. Dies geschah anscheinend auf politischen Druck, unter anderem durch Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Der kurze Bericht der Gruppe erschien vor wenigen Wochen. In der Schweiz hat bisher SRF 4 News darüber berichtet.
Andreas Schleicher sagte Dagens Nyheter weiter: «Wir waren ziemlich überrascht, als wir den starken Zusammenhang sahen.»
So gaben gemäss Bericht 65 Prozent aller 15-Jährigen, die in OECD-Ländern an der Pisa-Studie teilgenommen hatten, an, in Mathematik-Lektionen durch digitale Anwendungen gestört worden zu sein. 59 Prozent gaben an, dadurch gestört worden zu sein, dass andere entsprechende Anwendungen benutzten.
Schleicher präzisiert aber, dass man keinen starken Einfluss durch die bewusste Einbindung digitaler Anwendungen in den Unterricht festgestellt habe. Vielmehr stehe im Zentrum, wie die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte nicht primär unterrichtsbezogen benutzen.
Ähnliche Resultate zeigen schon länger aufwändige Langzeitstudien. In einer Langzeituntersuchung mit über 800 Tessiner Schülerinnen und Schülern berichtete ein Forschungsteam der Uni Lugano. Einfacherer Zugang zu drahtlosem Internet führte besonders bei Kindern aus Familien mit tieferem Einkommen zu intensiverer Internetnutzung für Spiele und Kommunikation und hatte einen negativen Einfluss auf die Schulleistungen.
Dänemark und Estland folgen Schweden
Schweden wollte zu den digitalen Pionierländern gehören und entschied vor sieben Jahren, die Nutzung digitaler Endgeräte bereits in Kitas zu verlangen. Doch das Land vollzog unlängst eine radikale Kehrtwende. Grund dafür waren insbesondere Empfehlungen von KinderärztInnen (Infosperber berichtete). Gerade aus Schweden berichteten auch besonders viele 15-Jährige, dass sie durch die Smartphonenutzung im Unterricht gestört würden.
Ähnliche Strategiewechsel im Umgang mit der Digitalisierung in der Bildung vollzogen jüngst Estland und Dänemark. Dänemark hat beispielsweise die staatlichen Mittel für den Erwerb physischer Lehrbücher erhöht und probiert strengere Smartphoneverbote an Schulen aus.
Auch in der Schweiz kommen Verbote aufs Tapet
Es habe sehr viel Enthusiasmus und Experimente mit digitalen Anwendungen und Geräten im Unterricht gegeben, so Schleicher. «Ein Teil davon mag gut gewesen sein. Das Problem ist aber, dass man die Technologie einfach ins Klassenzimmer geworfen hat, ohne sie vorher zu testen.»
Deshalb werden auch hierzulande kritische Stimmen lauter und zahlreicher. So schlägt eine Gruppe von WissenschaftlerInnen mit dem Zürcher Pädagogen und Psychologen Beat Kissling (Infosperber-Interview) ein IT-Moratorium an Schulen vor (Infosperber berichtete). In Freiburg ist die kantonale digitale Bildungsstrategie politisch höchst umstritten. Und in Basel forderte eine GLP-Grossrätin kürzlich handyfreie öffentliche Schulen.
Die privaten Rudolf-Steiner-Schulen gehen bereits weiter. Ein umfassendes Medienkonzept der Zürcher Schule beispielsweise sieht digitale Anwendungen im Schulunterricht erst ab Oberstufe vor und rät Eltern zum weitgehenden Verzicht von Bildschirmmedien bis Ende der 8. Klasse. Zudem rät es zum klassenweisen Abschluss von Elternvereinbarungen über die Mediennutzung der Kinder. Diese soll dem Gruppenzwang innerhalb der Klassengemeinschaft entgegenwirken.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Eigentlich wissen wir es schon lange – nicht nur die Kinder sind suchtgefährdet.
Aber durch die konsequente Abschaffung analoger Lehrmittel werden schon die Kleinkinder zu fremd gesteuerten Zombies.
Ein Aufwachprozess, zumindest bei Lehr- und Fachpersonen, ist überfällig. Aber Massnahmen gegen diesen florierenden Industriezweig sind in der Schweiz im Vergleich zu andern Ländern sehr schwer zu realisieren.
Der Fisch stinkt vom Kopfe her: von uns Erwachsenen! Wer kann nicht täglich irgendwen oder sich selbst dabei beobachten, wie nicht mehr Gehirn und Hand sondern das Smartphone zur Verrichtung einfachster Tätigkeiten benutzt wird. Fremde Telefonnummern, Notizen, Beschriftungen werden nicht notiert oder gar memorisiert, sondern abfotografiert. Straßen in der eigenen oder fremden Stadt werden per google maps gefunden, nicht mehr über eine eigenständige Such- und Gedächtnisleistung über einen Stadtplan. Handschriftlich wird kaum mehr etwas festgehalten. Kommuniziert wird über Bildnachrichten und Emoticons. Natürlich laufen auch in der Schule alle digitalen Geräte auf Hochtouren: was früher erklärt, in Büchern oder an der Tafel gezeigt wurde, gibt es heute als youtube-filmchen vom Smartboard. Schüler schleppen Tablets durch die Gegend, Aufgaben gibt es über MS Teams. Ins Handy geglotzt und Fortnite gespielt wird sowieso die ganze Zeit; die Eltern sind hier das Vorbild.