Nach den «Gelben Westen» kommen die «Roten Stifte»
Die Bewegung der «Gelben Westen» ist – trotz ihrer Pluralität und der damit einhergehenden Uneinigkeit, Führungskämpfen, Gewaltausbrüchen auf den Strassen und Unterwanderungsversuchen von Ultra-Rechten – eine Erfolgsgeschichte: Sie wuchs im Internet und schaffte es, unzählige Französinnen und Franzosen zu vereinen. Die «Gelben Westen» wurden schon bald zur Massenbewegung, sie zwangen Präsident Emmanuel Macron zu verschiedenen Zugeständnissen. Dass die Proteste nicht von Parteien oder Gewerkschaften ausgingen, sondern quer über jegliche Grenzen hinweg zu mobilisieren vermochte, ist eine weitere Besonderheit.
Dieses Erfolgsmodell wird seit fast einem Monat von Frankreichs Lehrkräften kopiert. Unter dem Namen «Rote Stifte» haben sich auf Facebook bereits über 60’000 der total 881’000 Lehrpersonen zusammengeschlossen. Wie die «Gelben Westen» geht es den «Roten Stiften» um ihre Kaufkraft. Weiter fordern sie von ihrem Arbeitgeber, dem französischen Staat, besseren Schutz und die Berücksichtigung ihrer Probleme. Denn die Lehrer sehen rot: Sie alle geben an, ihren Beruf zu lieben, allerdings verspüren sie auch ein «anhaltendes Unbehagen».
Lehrer wollen mehr Kaufkraft
Die Bewegung der «Roten Stifte» wurde am 12. Dezember von Cyrill, einem Professor für Geschichte und Geographie, ins Leben gerufen – nachdem er sich im Internet von den «Gelben Westen» hatte inspirieren lassen. Wie der französische Bildungsminister Jean-Michel Blanquer wolle man die «Schule von morgen» schreiben, sagt Cyrill gegenüber «mediapart». Dazu seien aber Korrekturen notwendig.
Obwohl die verschiedenen Mitglieder der «Roten Stifte» komplett unterschiedliche Laufbahnen und Werdegänge hinter sich hätten, würden sie alle die gleichen Beobachtungen und Erfahrungen machen. Auf «mediapart» fasst Cyrill die wichtigsten Forderungen in groben Zügen zusammen: «Wir wollen die Dinge ändern, wir haben unsere Arbeitsbedingungen satt.» Die Lehrpersonen fordern unter anderem eine Lohnerhöhung in Höhe ihrer tatsächlichen Arbeitszeit und die Erhöhung ihrer Kaufkraft. Nicht nur für die Lehrpersonen, sondern auch für Schulassistenten, Schulpsychologen und für Begleitpersonen von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen.
In Frankreich gelten Lehrpersonen als die am schlechtesten bezahlten Beamten. Zum einen würden die Ausgaben stetig steigen, die Gehälter blieben aber stets gleich niedrig, sagt eine andere Lehrperson gegenüber «mediapart». Ihr Vater sei ein hoher Beamter und befände sich in derselben Lohnkategorie wie die Lehrpersonen. «Als er Praktikant war, hat er mehr verdient als ich mit zwei Jahren Anstellung.»
«Nationale Bildung darf keine Haushaltsvariable sein»
Die Lehrpersonen sprechen sich gegen den in Frankreich angekündigten Stellenabbau im Bildungswesen aus und verlangen ein Ende der Bildungsreformen bei den allgemeinen, technologischen und beruflichen Gymnasien und des Abiturs. Man sei gegen «Managementmethoden, die aus der Privatwirtschaft importiert und in unserem nationalen Bildungssystem angewandt werden», sagt Initiant Cyrill.
Sechs Lehrer verwalten den Facebook-Auftritt der «Roten Stifte». Bereits kurze Zeit nachdem die Seite online ging, wurden die Moderatoren von den Beiträgen der Mitglieder überfahren: Die «Roten Stifte» sind stark in die Debatte eingebunden, jede und jeder will seine Geschichte, Erfahrungen und Befürchtungen teilen, oft gibt es Online-Umfragen.
Beim Durchsehen der Facebook-Beiträge der «Roten Stifte» wird schnell klar: Hier sind die Probleme, denen sich Frankreichs Lehrkräfte ausgesetzt sehen, mit aller Deutlichkeit zu erkennen. Alle Mitglieder betonen, dass sie ihren Beruf lieben und für ihre Schülerinnen und Schüler kämpfen wollen. Allerdings werde nichts getan, um ihnen diese Aufgabe zu erleichtern.
Ressourcen-Knappheit führt zu skurrilen Situationen
Bei vielen der Probleme geht es um fehlende Ressourcen. Aufgrund des zu knapp bemessenen Bildungs-Budgets müssen die Lehrerinnen und Lehrer improvisieren. Ein Mitglied der «Roten Stifte» spricht davon, dass Notizbücher für Schülerinnen und Schüler Mangelware seien. Man müsse rund zwei Wochen warten, um ein Neues zu erhalten. Eine andere Lehrkraft spricht von Schülern, die sich Arbeitsbücher teilen müssen – weil schlichtweg zu wenige davon vorhanden seien. Es gibt Beiträge zu der Decke einer Bibliothek, «die uns auf die Köpfe fällt». Andere Lehrpersonen schreiben von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung, die nur während sechs Stunden pro Woche betreut werden – obwohl eine hundertprozentige Betreuung notwendig wäre.
Es gibt in Frankreich viele Lehrerinnen und Lehrer, die ihren eigenen kargen Lohn verwenden, um dieser Ressourcenknappheit vorzubeugen. Fotokopien werden aus dem eigenen Sack bezahlt, zusätzliche Arbeitsbücher und andere Unterrichtsmaterialien von den Lehrern beschafft.
So erstaunt es wenig, dass die Forderungen der «Roten Stifte» über die Lohnfrage hinausgehen. Frankreichs Lehrpersonen fordern eine Obergrenze von 25 Schülerinnen und Schülern pro Klasse sowie die Einführung eines nationalen Budgets für Schulen. Zudem wollen sie besseren Zugang zur Medizin, um zum Beispiel Burnouts besser zu managen.
Eltern als «Vorgesetzte», Gewalt von Schülern
Ein weiteres Problem sehen die Lehrkräfte bei den Eltern der Schülerinnen und Schüler. Immer mehr Eltern hätten das Gefühl, als Steuerzahlende seien sie automatisch auch ein stückweit die Vorgesetzten der Lehrerinnen und Lehrer. Immer wieder käme es zu Streitigkeiten, in denen sich Eltern auf die Seite der Kinder schlagen und damit die Autorität der Lehrkräfte untergraben würden.
Immer öfter würden Lehrpersonen auf sozialen Netzwerken von Eltern bedroht. Auch damit würden die Lehrpersonen allein gelassen. Es sei an ihnen, sich in Acht zu nehmen, sagen sie. Niemand helfe ihnen. Auch bei Gewalt, die von Schülerinnen und Schülern ausgehen, fühlen sich die Lehrpersonen allein gelassen. Der Staat als Arbeitgeber schütze sie zu wenig. Schon oft habe es Vorfälle gegeben, bei denen die Schulleitung entschlossen habe, keine Meldung zu erstatten.
Nachdem ein Schüler im Herbst 2018 mit einer Schreckschusspistole eine Lehrkraft bedroht hatte, brachen die Lehrkräfte von Frankreich erstmals ihr Schweigen. Unter dem ironischen Hashtag #pasdevague (keine Welle), veröffentlichten Hunderte Lehrerinnen und Lehrer ihre Erlebnisse mit gewalttätigen Schülerinnen und Schülern. Erlebnisse, die oft genug einen eklatanten Mangel an Unterstützung durch den Arbeitgeber aufzeigten. «Als die Bewegung #pasdevague an die Öffentlichkeit ging, erkannten wir uns alle. Mit Entsetzen fragten wir uns, wie es soweit kommen konnte», sagt eine Lehrerin gegenüber «mediapart».
Wie die Initianten der «Roten Stifte» erklären, sehen sie die Ursprünge ihrer Bewegung mehr bei #pasdevague, als bei den «Gelben Westen». Der einzige Unterschied: Nach all den Tweets und Zeugnissen über durch Schüler angegriffene oder bedrohte Lehrkräfte, geschah – nichts. Diese Ergebnislosigkeit wollen die Mitglieder der «Roten Stifte» durchbrechen – und bedienen sich dazu auch bei den Methoden der erfolgreichen «Gelben Westen.»
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- «Gelbe Westen»: Vielfältige Protestbewegung mit Problemen
- Gelbwesten holen Rat bei Schweizer Finanzprofessor
- Dossier: Bildungsreformen
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Für solche Aktionen hat es den Schweizer Lehrpersonen, unter denen immer weniger Männer noch im Aktivalter verbleiben, bisher schlicht an «Eiern» gefehlt, man entschuldige meine etwas saloppe Ausdrucksweise, hoffe auch die Kolleginnen werden es mir nicht übel nehmen.
…die Lehrer sind nur eine der vielen Berufsgruppen denen in den letzten zwanzig Jahren sehr Erfolgreich in den Rücken geschossen wurde…